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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Wie das erste Deutsche Parlament entstand.

Ein Rückblick von Johannes Proelß.0 Mit Illustrationen nach gleichzeitigen Lithographien und Holzschnitten.
II.0 Der Umschwung in Preußen. (Schluß.)


Noch vor der Gründung des Deutschen Bundes, im Jahre 1814, hatte Karl Theodor Welcker, damals ein junger Professor des Staatsrechts in Gießen, aus den Hoffnungen der im Befreiungskrieg siegreichen patriotischen Jugend den Plan gestaltet: ein neues Deutsches Reich, das seine Kraft und Einheit nicht allein durch ein Bundesverhältnis der deutschen Fürsten, sondern zugleich durch eine Nationalvertretung der deutschen Völker erhielte! Abgeordnete aus den Ständekammern der Einzelstaaten sollten dieses Parlament bilden. Stein und Hardenberg hatten den Plan willkommen geheißen, Metternichs Reaktionspolitik war über ihn höhnisch hinweggeschritten. Die Karlsbader Beschlüsse stempelten die Forderung Welckers zum Hochverrat, er selbst wurde eines der ersten Opfer der Demagogenverfolgung. Doch das von ihm geschaffene Ideal blieb das Ziel seines Strebens und Lebens. Und als nach der Pariser Julirevolution der von Frankreich drohende Krieg Metternich bestimmte, die Zügel seines Regiments ein wenig zu lockern, da brachte Welcker, wie wir sahen, im badischen Landtag von 1831 den Antrag ein: Die badische Regierung solle beim Bundestag eine Nationalvertretung durch Abgeordnete der deutschen Ständekammern erwirken. Die Vertreter der Regierung aber erhoben gebieterisch Einspruch gegen die Beratung des Antrags, und als Rotteck sie durchsetzen wollte, verließen sie drohend den Ständesaal. Die reaktionären Bundesbeschlüsse von Frankfurt, von Wien erstickten die kühne Forderung und den begeisterten Wiederhall, den sie bei allen Vaterlandsfreunden gefunden. Doch das verfolgte Ideal lebte fort in den Herzen seiner Märtyrer und Pioniere.

Friedrich Liest.

Karl Biedermann.

Eine stillschweigende Voraussetzung des Welckerschen Antrags war es gewesen, daß auch Preußen endlich die ihm versprochene konstitutionelle Verfassung erhalte; noch vor Ausbruch jener Reaktion wurde unter dieser Voraussetzung von dem Schwaben Paul Pfizer, von Dahlmann in Göttingen, W. Schulz in Darmstadt und anderen fast gleichzeitig die Idee vertreten, daß gerade Preußen den Beruf habe, die ersehnte Bundesreform durchzuführen, und daß aus diesem Grunde die kleineren und mittleren deutschen Staaten ihr Heil in einem festeren politischen Anschluß an Preußen suchen sollten. Wir sahen, wie dann diese Idee seit dem Regierungsantritt Friedrich Wilhelms IV im Jahre 1840 von den süddeutschen Politikern der Welckerschen Richtung, von den Vaterlandsfreunden, die heimlich bei Itzstein in Hallgarten tagten, wie von den Freiheitsdichtern der Epoche zum Gegenstand einer lebhaften politischen Propaganda gemacht wurde. Pfizer gab ihr in seinen „Gedanken über Recht, Staat und Kirche“ 1842 nähere Begründung. Aber auch außerhalb dieser Kreise hatte die Idee eifrige Wortführer gefunden. In Preußen selbst durch den pommerschen Großgrundbesitzer v. Bülow-Kummerow in dem Buche „Preußen, seine Verfassung, seine Verwaltung, sein Verhältnis zu Deutschland“, in welchem sich konservative, ja feudalistische Grundsätze merkwürdig mit der Forderung der Nationaleinheit unter preußischer Hegemonie mischten; in Braunschweig durch den Präsidenten der dortigen Kammer Karl Steinacker in der Schrift „Ueber das Verhältnis Preußens zu Deutschland“, die für die ersehnte Reichseinheit eine freiheitliche Verfassung, ganz im Sinne Welckers, verlangte. Mit seinem feurigen Enthusiasmus für eine starke deutsche Handelspolitik und den Ausbau eines einheitlichen Eisenbahnsystems für ganz Deutschland war der Schwabe Friedrich List für eine politische Ausgestaltung des in seiner Entwicklung stockenden Zollvereins unter Preußens Führung eingetreten; in Verzweiflung über das Scheitern seiner Pläne hatte er sich Ende 1846 das Leben genommen. Die nationale Bedeutung des seit 1834 bestehenden „Deutschen Zollvereins“, welcher die süddeutschen Staaten, Thüringen, Sachsen mit Preußen wenigstens handelspolitisch zu einer Einheit verband, und seine Entwicklungsfähigkeit wurden mit besonderem Eifer auch von dem jungen Leipziger Professor Karl Biedermann in seiner Aufsehen erregenden Schrift „Das deutsche Nationalleben“ und der von ihm gegründeten „Deutschen Monatsschrift“ betont. Das Ideal aber, das sich in all diesen Forderungen spiegelte, erhielt in poetischer Form durch Ferdinand Freiligrath wirksamste Gestaltung. Es geschah in seinem „Glaubensbekenntnis“, in jenem Gedichte, das den Schatten des „Alten Fritz“ beschwor und zeigte, wie der große Preußenkönig sich droben im Himmel mit seinen alten Generalen und den Helden der Befreiungskriege unterhält, ganz empört über die Zustände, die da unten in seinem geliebten Preußen jetzt herrschen, wo „Schall und Rederei“ die Stelle von Thaten vertreten, während die Zeit dringend mahnt, den „Staat der neuen Zeit“ zu gründen.

König Christian VIII von
Dänemark.

Wilhelm Beseler.

„‚Ich thät’s! Einschlüg’ ich mit der Faust dies Diplomatennetz!
‚Reichsstände! öffentlich Gericht! ein einig deutsch Gesetz!
Und überall das freie Wort!‘ Bei Gott, so trät’ ich hin!
Bei Gott dem Herrn, so schlüg’ ich durch! – so wahr ich König bin!‘ - - -

Und nach dem kurzen Wetter dann ein Land voll Sonnenscheins!
Ein neues Deutschland, frei und stark; ein Deutschland, groß und eins!
Ja, nach dem Sturm die Iris dann auf flieh’nder Wolken Grund!
Ein Bund der Fürsten mit dem Volk – ein rechter deutscher Bund!“

Der Dichter führte seitdem ein unstetes Dasein als Flüchtling: sein „Glaubensbekenntnis“ war verboten worden; aber das Bild, das sein prophetischer Geist von der Zukunft Deutschlands entworfen, prägte sich immer weiteren Kreisen des Volkes ein. Die nationale Freiheitsbewegung, welche seit dem Verfassungsbruch des Königs von Hannover zu so mächtiger Entfaltung gelangt war, ließ sich trotz aller Anstrengungen Metternichs und des Bundestags nicht mehr unterdrücken. Und noch ehe der Verfassungskonflikt in Preußen durch Friedrich Wilhelms „Nimmermehr!“ zum vollen Ausbruch gelangt war, hatte der Konflikt des Dänenkönigs mit Schleswig-Holstein die „deutsche Frage“ in einer Weise aufgerollt, daß sie sich auf die Dauer auch von den deutschen Mächten nicht mehr abweisen ließ. Am 8. Juli 1846 war der „offene Brief“ Christians VIII erschienen, welcher der alten

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 109. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0109.jpg&oldid=- (Version vom 22.4.2024)