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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Beendigung des Blumenwalzers – damals Cotillon benannt – einig und glückselig waren!

Die Frage meiner kleinen Braut: ‚Aber wie sind Sie denn so rasch zu dem Entschluß gekommen?‘ denn das Du fand sie an diesem ersten Abend noch absolut unmöglich und unerhört für den eigenen Gebrauch – mir wurde es gar nicht sauer, ich bin immer ein talentvoller Mensch gewesen! – diese Frage also überhörte ich geflissentlich und etwas beschämt. Daß ich in diesen unvergleichlichen Stunden noch manche andere, innerlich gestellte Frage meines Gewissens überhören und übertäuben mußte, das war der einzige bittere Wermutstropfen in meinem Glücksbecher. Ich kam mir vor wie ein Dieb, der den Schatz, den er nicht auf ehrliche Weise erringen konnte, auf listigen Umwegen an sich gebracht hat, und das war ein peinliches Gefühl für einen anständigen Kerl.

Aber ich ertränkte die Gewissensstimme für den Augenblick erfolgreich in Glück und Sekt, und als ich am späten Abend, oder besser frühen Morgen, den Kopf aufs Kissen legte, da wußte ich, daß ich einer der fröhlichsten und zufriedensten Menschen auf Gottes Erdboden sei – und das Gefühl ist gar nicht zu verachten!

Am nächsten Morgen flutete dies Glücksgefühl mit der neuen Kraft des jungen Tages wieder neu auf mich ein – ich hielt es nicht im Hause aus, ich fuhr vom ‚Blumenschmidt‘ zum Goldschmied, dann tobte ich zwecklos in den Straßen umher, bis ich mit einiger Wahrscheinlichkeit annehmen konnte, daß Ines den Ball ausgeschlafen habe und sich wieder bei der Tante befände. Dann sprang ich die Treppe hinauf, als wenn sie nur eine Stufe hätte, und verlebte den Tag in einem wahren Taumel von Lustigkeit und Behagen.

Am nächsten Tage sollte nun Ines nach Hause reisen und ich ihr mit einem etwas späteren Zuge folgen, um ihren Eltern meine Herzenswünsche vorzutragen. Am Abend aber, an diesem ersten und letzten des Beisammenseins vor der offiziellen Aussprache mit den Autoritäten, saßen wir bei unserer alten, lieben Tante Stettendorf so recht vergnügt um die Bowle exquisitesten Punsches, wie ihn die Tante und sonst niemand zu brauen verstand. Es hätte übrigens des Punsches gar nicht bedurft, denn mir war die ganze Situation schon so wie so in den Kopf gestiegen, wie sich aus dem Verlauf der Begebenheiten nur zu klar erweisen wird.

Ich wußte mich vor Uebermut und Lustigkeit gar nicht zu lassen und mein ernsthaftes Mädchen wurde auch schon angesteckt und lachte mit – der Tante gar nicht zu gedenken, die sich solche Gelegenheiten unter keinen Umständen entgehen ließ. Plötzlich, während ich so recht fidel, die Cigarre, die mir gnädigst verstattet worden war, zwischen den Zähnen, im Zimmer auf und ab promeniere, sehe ich auf einem Stuhl die Hexenhaube von dem verhängnisvollen Maskenball liegen.

Nun ist man bekanntlich in lustiger Stimmung nie zum Ueberlegen geneigt – ich war es auch nicht. Ich nehme – ich weiß nicht, plagt mich der Böse! – die Haube vom Stuhl, setze sie mir auf, trete damit vor den Spiegel und sage, indem ich mich an dem Anblick labe, so recht strahlend und selbstzufrieden: ‚Die Haube hat mir doch vorgestern abend ausgezeichnet gestanden!‘ Tableau!

Das lähmende Entsetzen, welches mich in diesem feierlichen Augenblick mit Geierkrallen anpackte – die innere Stimme, die mir widerwärtig gellend ins Ohr schrie: ‚Mein Junge, du hast eine kolossale Dummheit gemacht!‘ – das absolute, bleierne, nach meiner Empfindung etwa zwei und eine halbe Stunde dauernde Stillschweigen, das sich über die eben noch so fröhliche, kleine Tafelrunde lagerte – das alles muß man erlebt haben, um sich eine Vorstellung davon machen zu können!

Ich wagte nur einen einzigen Blick nach meiner Braut – aber ich hatte genug! Ines saß da wie zu Stein erstarrt – mit weit aufgerissenen Augen, deren Ausdruck aus fassungslosem, nicht verstehendem und begreifendem Schreck sich zu verständnisvoller, grenzenloser Empörung und Beschämung wandelte, und plötzlich sprang sie mit einem ihr sonst ganz fremden Ungestüm auf – der Stuhl krachte um – die Thür wollte sich nicht lumpen lassen und krachte gleichfalls – effektvoller Abgang! – weg war sie, und die Tante und ich saßen uns in tödlicher Verlegenheit und Wortlosigkeit gegenüber.

Endlich fand meine alte Freundin das erlösende Wort: ‚Ja, aber sagen Sie mal,‘ begann sie so recht schonend, ‚eine solche bodenlose Dummheit ist mir denn doch in meinem ganzen Leben nicht vorgekommen!‘

‚Mir auch nicht,‘ sprach ich dumpf ergeben und ließ mich moralisch zerschmettert in einen Sessel fallen.

Dann schwiegen wir wieder beide und warteten auf einen Einfall, und es schien mir ganz wahrscheinlich, daß wir so in vierzehn Tagen auch noch sitzen würden.

Die Tante starrte mich feindselig an – ich gab es ihr zurück, denn ich fand, sie hätte mich doch wenigstens beklagen können. Die Situation wurde immer gespannter.

Plötzlich erhob sich das Fräulein, schlug mit der geballten Hand kräftig auf den Tisch und hielt mir eine längere Rede. ‚Hören Sie einmal!‘ begann sie mit großem Nachdruck, ‚jetzt oder nie will ich Ihnen meine Meinung sagen. Ich fühle mich so ein bißchen dazu verpflichtet, denn ich habe durch meinen Hexenvorschlag

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 91. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0091.jpg&oldid=- (Version vom 22.12.2019)