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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

gleich die Larve abnehmen – das war nun schon ‚ein Aufwaschen‘, wie das der Volksmund ausdrückt.

Ich griff verzweifelt zu einem letzten Ausweg.

Vorsichtig schielte ich umher – dann begann ich tonlos zu flüstern – ein Talent, welches ich erst in jener sauren Angststunde an mir entdeckte.

‚Wie gewöhnlich kann ich nicht sprechen‘ hauchte ich zart, ‚das hört am Ende ein Bekannter in unserer Nähe – sieh mal, der Andalusier dort spitzt ohnehin schon die Ohren nach uns – aber so leise flüstern, das geht, und flüstern kann man auch die ernsthaftesten Dinge!‘

Sie dachte einen Augenblick nach.

‚Du hast vielleicht nicht unrecht,‘ sagte sie mit einem leichten Seufzer, ‚und nun sage mir einmal, Tantchen – aber auf dein Wort, glaubst du, daß –‘ Sie verstummte und nahm die Larve ab, als wenn es ihr darunter zu heiß wäre – dann wendete sie das reizende, ernsthafte Gesicht seitwärts und sah sinnend vor sich hin.

‚Daß?‘ wiederholte ich unbarmherzig und stellte mich dumm – nun war meine Stunde gekommen!

‚Daß er mich ein bißchen gern mag?‘ brachte sie stockend und mühselig hervor und schlug die Hände vors Gesicht, ‚trotz der vielen Courmachereien bei anderen Leuten – glaubst du’s, Tantchen?‘

Daß ich in diesem Augenblick nicht von meiner ‚guten, alten‘ Stimme Gebrauch machte und ein so donnerndes ‚Ja und dreimal Ja!‘ in den Saal hinein schmetterte, daß die Fensterscheiben klirrten, das habe ich mir durch mein ganzes Leben sehr hoch angerechnet. Aber ich bezwang mich, so schwer es mir wurde. Ich dachte mir: heute ist vielleicht das erste und letzte Mal, daß du ihr eine Strafpredigt halten kannst – was mit der Wirklichkeit ungefähr übereingestimmt hat – und ich begann im lehrhaften Flüsterton, so zart und leise wie der Südwind, der durch die Wipfel streicht, eine wohlgesetzte Rede.

‚Nun, mein Kind,‘ zischelte ich so recht tantenhaft, tonlos und würdig, ‚du machst dir wirklich unnötige Gedanken. Der junge Mensch – er mag ja ein Windbeutel sein‘ – (mir blutete das Herz bei dem Zugeständnis!) ‚ich halte ihn nicht dafür!‘ (nein, das that ich wirklich nicht, ich protestierte immer in Gedanken gegen mich selbst, wenn ich mich so schlecht machte) – ‚aber du mußt dir nun darüber klar werden, was du eigentlich willst. Er liebt dich – er hat es mir selbst unzählige Male gesagt.‘ –

‚Tante!‘ rief Ines atemlos und sprang auf.

Ich zog sie wieder auf ihren Platz zurück.

‚Aber er wird sich entschieden nicht mehr lange so schlecht behandeln lassen,‘ fuhr ich strafend fort, ‚du siehst, er ist heute abend auch nicht auf den Ball gekommen – wenn er nun etwa ganz fortbleibt – bedenke mal!‘

Sie hing das Köpfchen unter dem rosa Schäferhut und erwiderte kein Wort. Und ich konnte auch nicht mehr flüstern – mir war die Kehle wie ausgedörrt, ich stützte den Kopf in die Hand und gab mir das Ansehen, als dächte ich tief und schmerzlich über die verwickelte Situation nach.

‚Ach, du hast gewiß wieder stärkeres Kopfweh, liebe, gute Tante,‘ sagte Ines zärtlich und besorgt, ‚und ich bin ein solcher greulicher Egoist und klage dir hier mein Leid vor – wollen wir nicht nach Hause fahren? Ich bin freilich noch zum Souper und den dummen Tänzen allen engagiert – aber ich führe so schrecklich gern mit dir – mir ist der ganze Ball verleidet!‘

Ich erschrak nicht schlecht bei diesem Vorschlag, der mein mühsam bewahrtes Inkognito rettungslos zu vernichten drohte.

‚Nein, du bleibst!‘ sagte ich mit Autorität, ‚es wäre unfreundlich, wenn du so mit polnischem Abschied auf und davon gingst. Komm’ jetzt zu Frau von Massenburg und morgen früh zu mir, da wird sich alles aufklären. Daß du dann aber auch nett zu Rotenberg bist!‘ säuselte ich noch drohend, ‚man darf die Saiten nicht zu straff spannen!‘

Sie war sehr nachdenklich geworden und ließ sich wortlos – was mir zu großer Befriedigung gereichte! – zu ihrer Beschützerin führen, der ich, nun wieder piepsend – nach dem Prinzip ‚So eine Mumie will doch mal eine Abwechslung haben‘ – meine Gründe für das Verlassen des Balles mitteilte. Dann aber sprang ich, selig wie der König eines schuldenfreien Reiches, meiner weiblichen Würde und Kleidung nicht achtend, die Treppe hinunter, riß mir die Larve vom Gesicht und warf mich in eine Droschke und fuhr rücksichtslos, wozu Liebe und Glück im Anfangsstadium ja zu machen pflegen, im Jagdgalopp nach dem Hause meiner alten, braven Freundin, um ihr mein übervolles Herz auszuschütten.

Das Schicksal wollte mir anscheinend auch weiterhin wohl: es brannte noch Licht oben in dem behaglichen Wohnzimmer, und so riß ich, im Vollgefühl meines guten Rechtes, mit allen Sorgen und Freuden zu der lieben alten Dame zu kommen, kräftig an der Klingel – kräftiger, als ich es eigentlich selbstbeabsichtigt hatte, denn es gellte nur so durch das nächtlich stille Haus – es war ja mittlerweile halb elf Uhr geworden.

Das Mädchen erschien mit verschlafenen Augen und sichtlich gesträubten Federn. ‚Gnädiges Fräulein gehen eben zur Ruhe!‘ bemerkte sie mit giftiger Betonung der Ruhe, die ich so schonungslos unterbrochen hatte. Sie musterte dabei meine hexenhafte Persönlichkeit mit unverkennbarem Hohn und schien nicht geneigt, mich zu melden.

‚Ich lasse bitten, das gnädige Fräulein möchte mich nur einen einzigen Augenblick empfangen,‘ drängte ich, ‚sagen Sie, in höchst wichtiger Angelegenheit.‘

Und ein Thaler, dieser Märchentalisman aller Zeiten, glitt in die Hand der mürrischen Zofe, die sich sofort zum sanften Engel verklärte und auf ihren so rapid gewachsenen Engelsflügeln davonflog. – Nach einigen Augenblicken des Parlamentierens wurde ich ins Wohnzimmer gelassen und stand, vor Ungeduld im Galopptempo mit dem Fuß wippend, am Kamin, in dem eben die letzten Funken träge und schlaftrunken durch die Asche krochen.

‚Die Tante putzt sich wohl anderthalb Stunden,‘ dachte ich ingrimmig, als die Sekundenuhr gerade zweimal um ihre kleine Bahn getrippelt war. Da ging die Thür auf, die Tante trat ein – ich wollte sie gerade mit einer Flut von Entschuldigungen und Erklärungen bestürmen, aber sie ließ mich gar nicht zu Worte kommen, sie sah mich einen Augenblick starr und entgeistert an

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 87. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0087.jpg&oldid=- (Version vom 15.11.2019)