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die Mahnung aus: „Fahren wir fort auf allen gesetzlichen Wegen die gesetzliche Freiheit, die zugleich der kräftigste Schutz der Throne ist, zu erstreben. Wenn der hochherzige Stamm der Preußen, der uns, im innigsten Verein mit seinem ruhmwürdigen Fürstenhause, im Kampf um unsere Freiheit gegen den äußeren Feind voranging, ebenso vorangehen wird in dem gesetzlichen Kampfe um die Entwicklung der bürgerlichen Freiheit, dann erst wird unser Vaterland auf der Stufe des Glanzes, des Glückes und der Macht stehen, die ihm gebührt!“ In Hamburg fügte es ein schöner Zufall, daß Hoffmann von Fallerslebens kurz vorher auf Helgoland entstandenes Lied „Deutschland, Deutschland über alles“ zum erstenmal öffentlich in einem Welcker dargebrachten Ständchen und in Gegenwart des Dichters gesungen wurde. Als das bei Fackelschein gesungene Lied mit den Worten verklang:

„Einigkeit und Recht und Freiheit
Sind des Glückes Unterpfand –
Blüh’ im Glanze dieses Glückes,
Blühe, deutsches Vaterland!“

rief der Sprecher der Sänger, Dr. Wille: „In der Gesinnung dieses Liedes der Deutschen, sei hier dem heldenmütigen, nie ermattenden Vorkämpfer für die heiligen Rechte des deutschen Volkes, dem badischen Ständedeputierten Welcker, als dem Manne der Entschiedenheit in Richtung und That ein dreifaches Hoch gebracht.“ „Ein donnernd Hoch,“ berichtet der Dichter in seinem Tagebuch, „ertönte aus tausend Kehlen. Seit der Anwesenheit Blüchers vor vielen Jahren soll man solche Begeisterung, solche Einmütigkeit nicht gesehen haben.“

Beide Männer, der Dichter wie der Politiker, sollten nach dieser festlichen Begegnung schweren Enttäuschungen entgegengehen. Als Hoffmann von Fallersleben nach Breslau heimkam, um sein Amt als Professor der deutschen Litteratur aufzunehmen, erfuhr er, daß inzwischen gegen ihn eine Untersuchung eingeleitet worden sei wegen der Anstößigkeit seiner „Unpolitischen Lieder“. Bald darauf war er seines Amtes entsetzt und aus Preußen verwiesen. Auch Welcker wurde wegen seiner in Preußen gehaltenen Reden daheim gemaßregelt und verlor aufs neue seine Freiburger Professur, in die er kaum erst wieder eingesetzt worden war. Ein erneuter Vorstoß der Reaktion war im Zuge.

Sehr bald zeigte sich auch, daß Friedrich Wilhelm IV keineswegs gesonnen sei, seinem Volke eine Verfassung zu geben. Und als er die Censur wieder in alter Strenge walten ließ und jeder liberalen Forderung die schroffste Ablehnung entgegenstellte, da begannen auch die Hallgartner Verbündeten in ihrem Kampf für das friedliche Ziel eine schärfere Tonart. Sie wurden die Leiter einer weitverzweigten Organisation der politischen Aufklärung: sie vereinbarten immer neue Formen, um die Ueberzeugung von der Unerträglichkeit der herrschenden Zustände in immer weitere Kreise zu tragen. Sie benutzten dazu nicht nur die ihnen noch belassene Redefreiheit der Kammern, sondern auch, im Wetteifer mit den Poeten der Zeit, die Litteratur und die mancherlei Möglichkeiten, welche der Buchhandel unter dem Druck jener Tage erfunden hatte, um trotz Censur und Preßpolizei politische Druckschriften unter die Leute zu bringen. Eben hatte die badische Kammeropposition, die durch Rottecks Tod 1840 einen schweren Verlust erlitten, bedeutsamen frischen Zuwachs in dem jungen temperamentvollen Mannheimer Advokaten Friedrich Hecker, dem aus der Schweiz heimgekehrten staatsmännisch veranlagten Karl Mathy und dem redegewandten Mannheimer Kaufmann Bassermann erhalten, die alle drei hinfort an den Versammlungen in Hallgarten teilnahmen. Mathy und Bassermany vereinigten sich zur Gründung einer Verlagsbuchhandlung in Mannheim; einer ihrer ersten Verlagsartikel waren die „Zehn Aktenstücke über die Amtsentsetzung des Professors Hoffmann von Fallersleben“. Im Jahre 1843 beging das badische Volk den 25jährigen Bestand seiner Verfassung mit großer Begeisterung. Die reaktionäre Regierung überließ es der Opposition, den milden Fürsten zu feiern, der sie verliehen, und Itzstein wußte mit großem Geschick die Gelegenheit auszubeuten, die überall im Lande veranstalteten Feste zu Kundgebungen im Sinne der vaterländischen Freiheitsforderungen zu machen. Als solche wirkte auch Mathys Schrift „Die Verfassungsfeier in Baden“. Blums Lieferungswerk „Der Verfassungsfreund“, sein Taschenbuch „Vorwärts“, an welchem u. a. Welcker, Hecker, Uhland, Herwegh, Hoffmann v. Fallersleben und Prutz beteiligt waren, dienten, gleich anderen Unternehmungen, der volkstümlichen Propaganda der politischen Grundsätze, welche Welcker in dem mit Rotteck gegründeten „Staatslexikon“ für das gebildetere Publikum leicht faßlich darzustellen bemüht war. Auch die politischen Dichter, die Friedrich Wilhelm IV hoffnungsvoll begrüßt hatten und zu denen sich jetzt Ferdinand Freiligrath, von allen das stärkste Talent, und der junge Bonner Professor Gottfried Kinkel gesellten, verschärften ihre Anklagen und Mahnungen als bekenntniskühne Anwälte der Rechte des deutschen Volkes. Bekannt ist, wie Hoffmann v. Fallersleben den feurigen Freiligrath bei einer Begegnung in Koblenz aus seinem beschaulich romantischen Poetenleben am Rhein aufrüttelte und dafür warb, den Interessen des Volks und des Vaterlands mit seiner Dichtung zu dienen. Es geschah auf einer jener Wanderfahrten, die in, den Jahren nach Hoffmanns Absetzung dessen Leben ausfüllten. Gleich den fahrenden Sängern des Mittelalters sah sich der Dichter genötigt, unstet von einer Rast bei guten Freunden zur andern zu ziehen, da die Ausweisung aus Preußen auch in anderen deutschen Staaten eifrige Nachahmung fand. Aber, unterstützt von seinen geselligen Talenten, der Gabe leichter Improvisation und der Fähigkeit, seine echt volkstümlichen politischen Lieder nach eigener Melodie vorzusingen, wurde er auf diesem Wege ein erfolgreicher Agitator für die Fortschrittsideale der sich ihm befreundenden Politiker, zu denen fast alle die Verbündeten von Hallgarten zählten.

Auf Welckers Landsitz bei Heidelberg, in Mannheim und Hallgarten bei Itzstein fand er wiederholt ein gastliches Standquartier.

Wie die Verbündeten aber im geschlossenen Vereine verfuhren, davon hat uns Friedrich Hecker ein Beispiel überliefert in einem gar anschaulichen Berichte, der sich auf die Zusammenkunft des Jahres 1843 bezieht. In späterer Zeit und im Exil hat er ihn für die „Gartenlaube“ als Lebenserinnerung niedergeschrieben; im Jahrgang 1869 (S. 552) ist derselbe unter dem Titel „Wie die geheimen Wiener Konferenzbeschlüsse an das Tageslicht gezogen wurden“ erschienen. Daß dem reaktionären Verhalten sämtlicher deutschen Regierungen ein gemeinsamer Plan zu Grunde liegen müsse, diese Erkenntnis hatte, wie wir sahen, zur Vereinigung der Männer des Volks geführt. Aber den Plan selbst kannte keiner der Teilnehmer. Da erhielt im Frühjahr 1843 „Vater Itzstein“ durch einen Gesinnungsgenossen von hohen Beziehungen eine Abschrift des geheimen Protokolls jener Wiener Konferenzbeschlüsse, welche die Antwort auf Welckers Forderung einer Volksvertretung beim Bunde, auf das Hambacher Fest, das Frankfurter „Attentat“ gewesen. Mit diesem Fund überraschte er bald danach die nach Hallgarten einberufene Versammlung. Nachdem er sich im geheimen mit sechs bis acht der Anwesenden beraten, wurden sämtliche Gäste nach dem größten Raume des Hauses, nach dem Billardzimmer geführt: man nahm Platz und Itzstein, ein Manuskript hoch in der Hand haltend, erklärte, endlich in den Besitz des Dokumentes der Verschwörung gegen das deutsche Volk gelangt zu sein. Feierliche Stille folgte seiner energischen, ausdrucksvollen, kurzen Anrede. Drüben glitzerten im Sonnenschein die Fenster des Johannisberger Schlosses. Erwartung, Spannung, gewaltsam niedergehaltene Erregung malte sich auf den Gesichtern der schweigenden Versammlung. Jtzstein händigte das Manuskript einem der Anwesenden – Hecker meint sich zu entsinnen, daß es Robert Blum gewesen sei – zur Vorlesung ein.

Langsam, feierlich, sonor und betont wurde das Aktenstück verlesen; mit der größten Spannung hingen die Blicke der Anwesenden an den Lippen des Vorlesenden. „Wir hatten,“ fährt Hecker fort, „mit einem Male den offiziellen Schlüssel zum Gebaren der Minister in allen konstitutionellen Lebensfragen, zu der Preßknebelung und dem Censurunwesen, der ganze Volks’ knebelungs und Verknechtungsapparat lag vor uns …. Daß die vollständige Enthüllung dieser Verschwörung gegen die Völker wie ein Sturm über das Land brausen und auch den Ungläubigsten und Blindesten, welche uns stets der Uebertreibung beschuldigten, die Augen öffnen müsse, daß der Einfluß der Veröffentlichung dieser geheimen Konferenzbeschlüsse auf die öffentliche Meinung und Stimmung ein unberechenbarer sein müsse, darüber war man sich allseitig klar.“ Und so wurde denn beschlossen, das Aktenstück heimlich drucken zu lassen, und zwar – um jeder Entdeckung der Urheber vorzubeugen – im Ausland, mit Pavier

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 63. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0063.jpg&oldid=- (Version vom 22.3.2020)