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bescheren. Wer wollte ohne sie leben?! Ich keinen Augenblick! Und Sie – seien Sie offen in dieser schönen Stunde: wenn jetzt solch ein kleiner Geist dort aus den Büschen zu Ihnen träte und sagte: ‚Ich bin der Geist des Cognacs. Ich habe mich in Basel versteckt, als du mich suchtest. Ich habe deinen Papa aus dem Coupé herausgelockt und ihn an den Rockschößen festgehalten, als er wieder einsteigen wollte. Ich habe dich mit dem fremden Manne in die weite Welt geschickt‘ – würden Sie ihm zürnen, dem kleinen Geiste, könnten Sie ihm böse sein?“

„Nein – nein,“ erwiderte sie sehr schnell. Aber als er die Hand nach ihr ausstreckte, da trat sie einen Schritt zurück und hob wie abwehrend beide Hände ihm entgegen.

„Und wenn wir morgen beide auseinander gehen und wir uns dann nie wieder sehen – niemals mehr, werden Sie es bedauern, diese Fahrt mit mir nach Heidelberg gemacht zu haben?“

Sie antwortete nicht, aber über ihrem bleichen Antlitz lag ein weicher Schimmer, der deutlicher zu ihm sprach als Worte es je vermocht.

„Ja,“ fuhr er fort, und so sehr er die Stimme auch dämpfte, die leidenschaftliche Erregung, die durch jedes Wort bebte, vermochte er nicht zu verhüllen, „wenn wir morgen aus diesem Traum erwachen und reichen uns die Hände und gehen beide unserer Wege, wie wir gekommen sind – eins nehme ich mit mir, das wird mir folgen in alle Arbeit, in alle Mühe meines Lebens, und auch – in alle Verzagtheit. Das ist die Erinnerung an diese Nacht, an dieses Schloß – und an Sie! – Und Sie?!“ fuhr er fort, und das zuckende Lächeln, das um seine Lippen spielte, verriet seine Bewegtheit mehr, als daß es sie verdeckte – „nun, Sie gehen zurück in das gewohnte Leben. Die glänzenden Feste, die Liebe Ihres Vaters, die Aufmerksamkeit und Verehrung Ihrer Umgebung werden Sie diese Stunde, diesen treuen Gefährten bald vergessen lassen. Aber manchmal, wenn sich in all das rauschende Leben doch ein klein wenig Langeweile, so eine leise Spur von Enttäuschung oder Ueberdruß stehlen wird, oder des Abends, wenn Sie einmal allein sind und Ihr Auge am sternenfunkelnden Himmel weilt, dann wird sie emportauchen, diese einsame Mondesnacht, und zu Ihnen herübergrüßen wird das alte Schloß von seinem grünen Berge. Und das Bild wird dann zu Ihnen sprechen und Sie mahnen und locken wie – nun, wie ein kurzer Sommernachtstraum, den Sie geträumt in einer stillen Nacht, als Ihr Schicksal Sie nach Heidelberg verschlug.“

Sie lächelte unter Thränen. Sie wollte etwas erwidern – da mit einem Male wie aus geheimnisvoller Tiefe steigend, empor vom dunkelnden Neckar und näher und näher kommend, klang es durch die stille Nacht:

0„Alt Heidelberg, du feine,
Du Stadt, an Ehren reich,
Am Neckar und am Rheine
Kein’ andre kommt dir gleich.
0Stadt fröhlicher Gesellen,
An Weisheit schwer und Wein,
Klar ziehn des Stromes Wellen,
Blauäuglein blitzen drein.“

Waren es die Geister, die da unten in der Tiefe sangen? Immer berückender wurde der Zauber, immer schöner die Nacht.

Er war einen Schritt näher an sie herangetreten, ihre Arme berührten sich, ein jähes Erröten flammte durch ihr Antlitz, ein leiser Schauer flog über ihren Leib. Sie wehrte ihm ihre Hand nicht mehr, als er suchend die seine nach ihr ausstreckte.

Ihre Augen ruhten eine Weile ineinander. Ein stilles Glück leuchtete aus ihnen und der Schimmer einer unaussprechlichen Sehnsucht wie der Abglanz der unergründlichen Nacht dort unter ihnen, aus der es emporklang:

0„Und kommt aus lindem Süden
Der Frühling übers Land,
So webt er dir aus Blüten
Ein schimmernd Brautgewand.
0Auch mir stehst du geschrieben
Ins Herz gleich einer Braut,
Es klingt wie junges Lieben
Dein Name mir so traut!“

Noch immer standen die beiden Hand in Hand – noch immer ruhten ihre Augen ineinander. Mit einem Male beugte sich Rupert schnell zu ihr herab, sein heißer Atem berührte ihre Wange. Da riß sich das Fräulein gewaltsam los.

„Wir müssen gehen,“ sagte sie sehr rasch, „es ist tiefe Nacht. Wenn man uns allein hier sähe!“

„Wir sind auf Reisen,“ scherzte er, „da kennt keiner den andern, da ist man einmal frei.“

„Nein!“ erwiderte sie kurz und entschlossen, „es ist die höchste Zeit – der Traum ist zu Ende.“

Eine graue Wolke huschte über den leuchtenden Mond und deckte ihn eine Weile. Der helle Schimmer erblaßte, das Silber des Neckars erbleichte. Die Schloßruine schaute mit einem Male so ernst, so nachdenklich hinunter ins dunkelnde Thal.

„Ja!“ wiederholte Rupert, „ich glaube beinahe, Sie haben recht. Der kurze Traum ist zu Ende. Ich werde bald in meiner Schule erwachen, meinen Jungen Exercitien diktieren – und Sie –

0„Und stechen mich die Dornen
Und wird mir’s draus zu kahl,
Geb’ ich dem Roß die Spornen
Und reit’ ins Neckarthal“

klang es ganz nahe mit vollen kräftigen Accorden an ihre Ohren.

Ein Trupp buntbemützter Studenten zog in den Schloßgarten, dicht an ihnen vorüber. Neugierige Blicke spähten nach dem Fräulein, halblaute Bemerkungen drangen an ihr Ohr.

„Kommen Sie,“ sagte sie und trieb ihren Begleiter zu größerer Eile. – – –

In tiefem Schweigen waren sie ihren Weg gegangen. Sie hatten dabei nicht gemerkt, wie die Zeit verrann. Beide sahen erstaunt auf, als sie sich plötzlich vor dem vornehmen Portal des in elektrischer Beleuchtung strahlenden Hotels befanden. Der Oberkellner empfing sie und machte ihnen die Honneurs. Sie waren so in ihre Gedanken vertieft, daß sie wenig von seinen Bemühungen merkten. An der großen Treppe reichte das Fräulein Rupert die Hand, ihm Gute Nacht zu wünschen.

„Nein!“ rief er, „so dürfen wir uns nicht trennen – so nicht. Morgen kommt Ihr Herr Vater, und der entführt Sie mir und Heidelberg in aller Frühe. Wir sehen uns vielleicht nie wieder und“ – setzte er sehr ernst hinzu – „ich habe Ihnen noch viel zu sagen. Sie müssen mir eine Bitte erfüllen. Wollen Sie? Nein, Sie müssen bedingungslos Ja sagen!“

Einen Augenblick schaute sie zweifelnd in sein Antlitz. „Nun denn – Ja!“

„Ich danke Ihnen. Also: Sie kürzen morgen den gewohnten Schlaf um ein kostbares Stündchen! Wir gehen dann noch einmal da oben hinauf und besehen das Schloß im Morgensonnenschein. Sie haben heute in der Abendbeleuchtung zu wenig von ihm gesehen – und wer weiß, wann Sie wieder nach Heidelberg kommen? Wollen Sie?“

„Ich habe es ja versprochen – gewiß will ich!“ erwiderte sie lachend und reichte ihm noch einmal die Hand.

„Gute Nacht,“ sagte sie dabei mit leiser inniger Stimme.

„Auf Wiedersehen,“ sagte er ebenso leise.


8.

Sie war in ihr Zimmer getreten. Durch die weit geöffneten Fenster drang ein erfrischender Luftzug in die warmen Räume, aus der Ferne vernahm sie das Rauschen des Neckars. Sie ging ans Fenster und schaute hinaus in die weithin glänzende Nacht, empor zu dem Schlosse, das jetzt, vom weichen Mondlicht wieder voll umgossen, hinausdämmerte ins ferne Thal.

Dort oben hatte sie eben gestanden. Dort hatte jemand Worte zu ihr gesprochen, wie sie solche nie gehört zu haben vermeinte, dort war eine neue Welt vor ihren Augen aufgegangen, eine Welt, in die sie zagend und sehnend zugleich zum erstenmal den Blick gerichtet. Und vor ihrem Geiste stand die alte, in der sie bis jetzt gelebt, in der sie glücklich gewesen bis heute. An ihren Augen vorüber zogen all die Menschen, mit denen das Leben sie in Berührung gebracht – so mancher Mann, den ihr Vater hochgeschätzt, den seine Kameraden priesen wegen seiner Vorzüge und den die Damen verhätschelten. Er hatte sie bevorzugt vor den andern allen, er hatte ihr gedient in unentwegter Ritterlichkeit und Treue, er hatte still und verschlossen um ihre Liebe gefleht so manches Mal.

Und sie war immer dieselbe geblieben, kalt und ungerührt,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 55. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0055.jpg&oldid=- (Version vom 22.4.2024)