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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Christel, du hast ja Geld, willst du dich beteiligen an unserm Unternehmen?“

„Nun spann’ mich doch nicht so auf die Folter, sondern sag’s endlich,“ fordert sie und starrt ihn an mit ängstlichen Augen.

„Ja, sofort! Also kurz gesagt, ich habe dir schon einmal vom Freund Buchenberg gesprochen?“

„Nein!“ sagt Christel.

„Aber, Frau!“ ruft er vorwurfsvoll, „er hängt doch drinnen zwischen den andern Bildern in der Wohnstube mit dem Verbindungsband über der Schulter, dem Schmiß auf der Backe und dem Cerevis.“

„Ach so, ja, jetzt weiß ich,“ unterbricht ihn Christel, „nun, was ist’s mit ihm?“

„Na, der hat im Harz, in der Nähe von Winderode geschürft auf Flußspat. Weißt du, was ‚Schürfen‘ ist?“

„Nein,“ erwidert sie ganz beschämt über ihre Unwissenheit.

„Schürfen ist, sozusagen, das Aufsuchen von einem Mineral unter der Erdoberfläche, und dazu bedarf es der obrigkeitlichen Erlaubnis, eines sogenannten Schürfscheines, in vorliegendem Falle für Flußspat. Er hat also geschürft und ein kolossal günstiges Resultat erzielt; denke dir, chemisch reinen Flußspat hat er gemutet. Weißt du, was ‚muten‘ ist, Christel?“

Sie schüttelt abermals den Kopf.

„Muten nennt man das Ansuchen bei der Bergbehörde um Verleihung des Bergwerkes als Eigentum, behufs Ausbeutung desselben. Hast du das verstanden, Christel?“

Sie nickt.

„Schön! Also wir wollen Flußspat gewinnen, weißt du, was Flußspat ist?“

Sie schüttelt den Kopf, sie weiß es nicht.

„Flußspat ist ein Mineral, kleines Schaf, ein wertvolles, und wird zu allerlei Dingen gebraucht; unter anderm ist es unentbehrlich bei der Emaille- und Porzellanfabrikation, und wenn uns das Unternehmen glückt, fällt uns ein schönes Stück Geld in die Hände. Chemisch reiner Flußspat, was das sagen will!“

„Und dein Freund Buchenberg?“

„Buchenberg ist Bergassessor, hat auf einer Urlaubsreise im Harz umhergeschnüffelt, dann geschürft und schließlich gemutet. Es ist auch alles klipp und klar und absolut kein Schwindel dabei. Der gute Junge würde übrigens sicher kein Sterbenswörtchen von seinem Vorhaben verraten haben, wenn er das Betriebskapital im Portemonnaie hätte; dieses fehlt indes so gänzlich, daß er einen Kompagnon mit dem nötigen Kleingeld braucht. Nun war es ein ganz gescheiter Gedanke, daß er sich meiner erinnert hat – na kurz, ich sehe die Geschichte für gut an und habe ihm ein Kapital in Aussicht gestellt. Nächste Woche geht’s los, da wird der erste Spatenstich gemacht, Beamte und Bergleute sind bereits fest engagiert und das erforderliche Betriebsmaterial ist bestellt –“

„Und du glaubst, daß es rentieren wird?“ unterbricht sie ihn.

„Sonst hätt’ ich mich nicht eingelassen damit. Siehst du, Christel – – aber, mein Gott, das verstehst du doch nicht, überhaupt, man soll nicht soviel davon reden! Und wenn du jetzt ein wenig Zeit hast, setz’ dich her und mach’ deinen Rapport, Christel – was giebt’s Neues auf Wartau?“

Sie sitzen jetzt beide nebeneinander im Wohnzimmer auf dem Sofa und Christel berichtet eine lange Reihe kleiner Vorkommnisse, zuletzt auch, daß Heine sich wirklich verlobt hat und daß die Fräulein vom Schlosse jeden Morgen Buttermilch im Keller trinken und am liebsten einen stundenlangen Schwatz machen. „Gestern haben sie mich sogar zum Kaffee gebeten, als ob unsereiner Zeit hätte wie sie, Anto.“

„Wart’ nur, Christel,“ sagt er ernsthaft, „die Zeit kommt, wo du dich mit deinem Strickstrumpf ans Fenster setzt und Kaffeegesellschaften hältst, wart’ nur!“

„Um Gotteswillcn, das wäre mein Tod, Anto! Ich möcht’s nicht.“

„Wirst schon mögen, Christel, besonders wenn du dann Zeit hast zum Lesen.“ Er lacht, weil sie verlegen wird wie immer, wenn er sie mit dieser ihrer Leidenschaft neckt, und sie schüttelt leise den Kopf.

„Anpumpen müssen wir dich aber,“ sagt er dann und schlägt sie kameradschaftlich auf die Schulter. „Giebst du gern etwas Kapital dazu als stiller Teilhaber – was?“

„Anpumpen? Es ist ja dein, was ich habe,“ erwidert sie, „und du wirst schon wissen, was du thust.“

Und als der unruhige Mann schon aus der Stube gegangen ist, weil er den Verwalter sprechen will, sagt sie still für sich: „Und wenn’s wirklich glückt, wir brauchen’s ja nicht – wozu denn? Ja – wozu denn?“




Zwei Jahre sind verflossen. Es ist an einem kalten Oktobertage, da kommt Anton im Wagen zurück von der Station; neben ihm sitzt ein Herr, den er abgeholt hat. Christel wartet droben im wohlgeheizten Zimmer mit einem Imbiß, und nachdem sich die Herren etwas aufgetaut haben, gehen sie hinüber ins Schloß.

Christel weiß nichts weiter, als daß der Herr der Anwalt des Barons ist, und daß letzterer Geschäfte mit Anton und im Beisein des Rechtsbeistandes zu ordnen hat. Aber sie ahnt etwas, und das liegt wie Centnergewicht auf ihrem Herzen.

Um sie her sieht’s noch ebenso aus wie damals, als sie einzog vor sieben Jahren. Bis auf ein einziges Stück sind’s noch die alten Möbel, und Christel selbst ist noch die stattliche blonde, wie aus dem Ei gepellte Hausfrau von damals, aber es liegt etwas in ihrem Gesicht, etwas Gespanntes, Sorgenvolles, und um die Mundwinkel zuckt’s wie Trauer. Dieses Möbel da, das sich so großartig von sechs Männern die Treppe hinauftragen ließ, dieser eiserne Geldschrank! Da steht er, groß, breit, trotzig, bereit, jeden Augenblick seinem Herrn ein Vermögen zu übergeben, damit sich dieser auf eigene Füße stellen kann, wie er es immer so sehnlich gewünscht hat. Christel hat mit Freude, in die sich auch ein gut Teil Bangigkeit mischte, erlebt, wie das Unternehmen im Harz sich in ein Vermögen verwandelte, in ein recht respektables sogar. Jetzt ist die Anlage Aktiengesellschaft geworden und wirft ihren Gründern einen mehr als reichlichen Gewinn ab. Für Mohrmanns giebt das eine schier fürstliche Rente, so wertvoll ist die Grube geworden.

Christel hat das Anwachsen der Einkünfte wie etwas Unheimliches angesehen und hat es nicht glauben wollen, daß sie jetzt reiche Leute sind. Schließlich hat sie viel geweint, Nächte hindurch so geweint und in ihre Kissen geschluchzt, daß Anton grob geworden ist. – „Heiliges Kreuzdonnerwetter, ist das der Dank dasür, daß man dich zur reichen Frau gemacht hat?“

Sie hat ihre Thränen seitdem verschluckt und ihre Frage: „Ach Gott, für wen denn nur?“ unterdrückt. Anton ist ja so glücklich, und vor zwei Tagen hat er zu ihr gesagt: „Christel, setz’ dich in die Sofaecke, damit du nicht umfällst – ich kaufe Wartau!“

„Es ist recht,“ hatte sie ungläubig geantwortet, „daß wir wieder Sorgen bekommen, denn es ist nicht gut, wenn der Mensch keine hat,“ und weiter kein Wort über das gesprochen, was er im Ernst zu thun beabsichtigte. Aber nun ist er wirklich drüben mit dem Notar, nun drückt ihr die näherkommende Thatsache wie betäubend auf Kopf und Herz. Sie steht am Fenster, obgleich in der Wirtschaft vollauf zu thun wäre, und stiert nach dem stillen Schloß hinüber; wie gelähmt ist sie.

Auf den großen Steinfliesen des Platzes, der vom Wirtschaftshofe durch ein köstliches schmiedeeisernes Thor abgeschieden ist, treibt der Wind sein Spiel mit den dürren Blättern der Linde. Die vorhanglosen Fensterreihen des Schlosses sehen traurig durch den leichten Nebel herüber, wie tote, weit offene Augen; das Portal ist geschlossen. An den zwei einzigen mit Gardinen versehenen Fenstern glaubt Christel Fräulein Josepha von Wartau zu erkennen, die da unbeweglich verharrt und starr auf einen Fleck niederblickt. Wie oft schon hat Christel sie so gesehen, unthätig, freudlos, eine durch Armut Gefangene. Und doch, wie hängen die alten Mädchen an dem Schloß ihrer Väter! Christel hat’s gesehen, wie sich ihre Wangen röteten, wenn sie erzählten vom einstigen Glanz ihres Hauses; sie hatten’s ja noch erlebt. „Als Seine Majestät hier war!“ hatte Josepha erzählt, „damals, als der König uns die Ehre gab, drei Tage unser Gast zu sein,“ erzählte Tonette. Weiße Kleider hatten sie angehabt,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 42. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0042.jpg&oldid=- (Version vom 20.12.2018)