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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

nicht auch ein armer Landedelmann von seiner Scholle. Auf Wiedersehen, lieber Mohrmann, besten Dank!“

Anton kommt nach Hause, nicht gerade erbaut von seinem Besuche, aber auch nicht verstimmt; er ist in der Lage, dem alten Herrn die Gefälligkeit zu erweisen, warum soll er nicht? Er sucht in der Wohnstube nach Christel, um ihr zu berichten, und da er sie nicht findet, setzt er sich an seinen Schreibtisch, um der Leipziger Bank, bei der er ein laufendes Konto hat, zu schreiben, damit sie die Summe schicke, die er dem alten Baron zahlen soll. Im Begriff, dies zu thun, erblickt er einen Brief, der mit dem Abendblatt der Magdeburger Zeitung dorthin gelegt ist, ergreift ihn und besieht sich die großen energischen Schriftzüge ein Weilchen. „Kenne doch die Klaue,“ murmelt er, „wer ist’s doch gleich in aller Welt? Na, Werden’s gleich sehen.“ Er öffnet das Couvert mit seinem Taschenmesser, faltet den Bogen auseinander und sieht nach der Unterschrift. „I, guck’ mal an – Willi Buchenberg, lebst du auch noch? Na, was will er denn, der alte Bursche? Königlicher Bergassessor? Ich sag’s ja, diese Titel! Na, denn los!“

Er liest den ziemlich langen Brief mit regem Interesse, und als er geendet hat, fängt er nochmal von vorne an. Dann geht er, das Briefblatt in den auf dem Rücken gefalteten Händen, im Zimmer auf und ab, liest nochmals, holt einen Band von Brockhaus, sucht nach, zuerst im Stehen, dann vor seinem Schreibtisch, vergleicht das Gelesene mit dem Brief, streicht sich einigemal über seine erhitzte Stirn und murmelt endlich: „Scheint nicht ohne! Wäre vielleicht näherer Betrachtung wert!“ Dann setzt er sich nieder und sinnt, liest wieder und überlegt. –

Christel findet ihn nach einer guten Stunde am Fenster stehend und in die beginnende Dämmerung starrend. „Anto,“ sagt sie, „du bist hier? Du bist so still gewesen, daß ich dich nebenan gar nicht gehört habe; ich sitze schon ein ganzes Weilchen mit meiner Arbeit da drinnen und sehe über den Hof, ob du nicht kommst.“

„Hättest du nur lieber mal hier herein geguckt, ich warte schon eine Ewigkeit auf dich.“

„Ach? Aber warum riefst du nicht?“

„Na, Scherz beiseite, ich wartete nicht, ich dachte an – du wirst’s ja erfahren seiner Zeit. Und nun falle nicht in Ohnmacht, Kind, ich muß morgen wieder verreisen; kann drei bis vier Tage dauern, daß ich wegbleibe.“

Sie sieht erschreckt zu ihm hinüber.

„Es ist nichts, Kind; wenn’s gelingt, erzähl’ ich’s dir. Frage mich jetzt mal nicht aus, mir geht so wie so schon ein Mühlrad im Kopfe herum.“

„Etwas Unangenehmes?“ forscht sie, trotz seines Verbotes.

„Ach was – im Gegenteil! Es kann sehr angenehm werden, und wenn nicht – hat’s weiter nicht geschadet. Wenn du mir einen Gefallen thun willst, Christel, dann fragst du mich nun nicht weiter, gelt? ‚Sobald’s gar ist, wirds gegessen‘, sagte meine Mutier zum Vater, wenn er wissen wollte, was sie zu Mittag kochte.“

Christel schweigt. Er hat sonst alles mit ihr beredet, und es thut ihr einen Augenblick weh; aber sie sagt sich, daß er seine Gründe haben wird, ihr jetzt keine Mitteilung zu machen von dem, was er vorhat, und sie erkundigt sich mit ihrer freundlichsten Miene: „Was soll ich dir einpacken, Anto? Kommst du aus mit dem Handkoffer?“

„Allemal, Christel! Thue nur genügend Wäsche hinein, es könnte doch möglicherweise, wie schon gesagt, ein paar Tage dauern. Meine Adresse lasse ich dir hier; dem Heine sitze ein wenig auf dem Pelz, der Windhund hat in Regwitz eine Liebschaft. Könntest auch mal auf die Felder fahren, wenn du Zeit hast; in den Auwiesen hauen sie diese Woche.“

„Die Zeit muß ich haben, Anto,“ antwortet sie einfach.

„Bist eine Hauptperson, Christel,“ lobt er und streicht ihr flüchtig die Wange. „Nun paß auf! Uebermorgen kommt Geld von der Leipziger Bank, das händigst du dem Baron aus, bittest um eine Quittung und – hör’, Christel, daß du ordentlich anschreibst, was auf das Schloß geliefert wird! Wir schinden uns genug um die Pacht, und umsonst ist der Tod. Solche Herrschaft hat eine verflucht vornehme Vergeßlichkeit für Kleinigkeiten.“

„Vielleicht auch zuweilen thatsächlich kein Geld,“ lächelt sie.

„Erzieh’ sie nur. Alle acht Tage schickst du ihnen eine Nota.“

„Natürlich, Anto, wenn du es willst.“

Er pfeift ein paar Takte, stellt sich an das Fenster und betrachtet das Schloß, das dunkel und massig wie ein riesiger Würfel da liegt. Nirgends Licht, nur aus den Zimmern der alten Fräulein schimmert ein schwacher Lampenschein durch die Aeste der großen Linde herüber.

„Arme Würmer,“ murmelt er, „’s ist ’ne Sünd’ und ’ne Schande! Ihr könnt sehen, wie ihr durchkommt, wenn der Herr Vater die Augen zuthut; nicht der Ziegel auf dem Dache gehört euer.“

„Was sagst du, Anto?“ fragt Christel und tritt neben ihn.

„Daß es ein verfluchter Egoismus ist, wenn einer Kinder hat und sorgt nicht für sie, sondern sieht zu, wie er sein liebes Ich möglichst gut durchs Leben amüsiert! Gemein ist’s, ein Tier macht’s besser.“

„Du denkst an die alten Fräulein drüben?“ fragt sie. „Lieber Gott! Hast recht, Anto; an ihrer Stelle könnte ich kein Auge zuthun bei dem Gedanken, was wird aus mir? Und dabei soll ich doch jedes Ei aufschreiben, du alter Geizkragen?“ fügt sie hinzu und schmiegt sich ein wenig an ihn.

„So lange der alte Rabe lebt – ja! Denn wenn wir auch umsonst in die Küche stiften würden, was und wieviel wir können, so käme doch alles nur ihm zu gute. Man muß nie helfen, die Leute in ihren Schwächen zu bestärken.“

„Tu wirst ihn schwerlich noch erziehen,“ spricht sie leise, und dabei denkt sie: Wie würde er sorgen für seine Kinder! Und die alte tiefe Traurigkeit legt sich wie lähmend auf ihr Herz.

Er sieht noch immer das Schloß an, und dabei sagt er weich: „Ich kenne dich schon, Christel, ich weiß, was du meinst. Meinetwegen zähle falsch, wenn du ein halb Schock Eier hinüberschickst; es kommt mir wahrhaftig nicht darauf an –“

„Wir haben ja auch genug,“ unterbricht sie ihn.

Er fährt herum. „Du bist himmlisch! Genug? Noch lange nicht! Wollen wir denn immer nur pachten? Nee, Schatz – mein Traum ist die eigene Scholle.“

Sie preßt in der Dunkelheit die Hände aufs Herz. „Für wen denn?“ will es sich auf ihre Lippen drängen, „für uns beide? für uns, die wir fast die beste Zeit des Lebens hinter uns haben? Wir sind ja allein, wir haben keine Kinder, Anto – –.“ Aber sie schweigt, schweigt aus Bangigkeit, daß dieser Gedanke von ihm aufgegriffen werden könnte, ihn lähmen könnte in seiner frischen Lust zur Arbeit, zum Erwerb. Wenn ihr doch Gott diesen einen Wunsch erfüllte, diesen einen! Aber Gott giebt und verfügt über menschliches Wissen und Verstehen. Bei Pastors sind nun sieben, ein achtes wird erwartet, und die arme geplagte Frau seufzte gestern zu Christel: „Ich hätt’ es diesmal dir so gegönnt! Wie soll’s werden mit dem Häuflein?“ Aber der liebe Gott hat Christel wohl vergessen, und sie muß noch dankbar sein, daß Anton nicht murrt – das könnte sie nimmer ertragen.

Und Christel wendet sich um, zündet Licht an und beginnt seinen Koffer zu packen für die morgende Reise.

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Acht Tage ist Anton fort, einmal hat er auch geschrieben, aus irgend einem Orte, der auf –rode endigt; und dann ganz unversehens, als sie von den Wiesen nach Hause kommt eines Nachmittags, warm vom Gehen, in einem leichten blauen Leinenkleid, das frische Gesicht versteckt unter dem großen braunen Strohhut, sitzt er in der Eßstube vor dem Vespertisch und ißt, als habe er während der acht Tage seiner Abwesenheit gehungert.

„Anto!“ ruft sie glückselig, „gottlob, daß du wieder daheim bist!“

Und im nächsten Augenblick sitzt sie ihm gegenüber und sieht ihn mit leuchtenden Augen an. „Dir ist etwas geglückt! Dir ist was geglückt,“ wiederholt sie, sein Gesicht studierend, und als er ihr verschmitzt zwischen zwei Schluck Bier zunickt, wird sie rot vor Freude.

„Eine Mühle habe ich gekauft, Christel, bei Winderode.“

„Herr Jesus, Anto – was willst du mit einer Mühle?“ fragt sie erstaunt.

Er schluckt eben an einem großen Stück Schinken. „Du,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 39. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0039.jpg&oldid=- (Version vom 20.12.2018)