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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

„Der ist wohl übergeschnappt?“ fährt es ihr unbedacht heraus, sie wird noch röter; „er kennt mich ja gar nicht,“ entschuldigt sie sich.

„Er kennt dich genau genug, um zu wissen, daß er in dir eine tüchtige Hausfrau, eine treue Lebensgefährtin finden wird.“

„Aber – aber –“ stottert sie.

„Ueberlege es, Kind. Des Weibes Bestimmung ist, Gattin zu sein.“

Ihr fallen plötzlich die Klagen der alten Frau droben ein. „Lieber Gott, das kommt mir ja so über den Kopf, Schwager,“ sagt sie, „was sollen denn die Mutter und deine Frau anfangen, wenn ich heirate? Ich kann ja gar nicht, wirklich nicht!“

„Darauf darfst du keine Rücksicht nehmen. Deine Mutter geht dem Grabe zu, meine gute Charlotte wird, so Gott will, gesunden und Louischen wird mit Freuden deine Stelle hier einnehmen, verläßt du uns. Deshalb darfst du eine solche Gelegenheit, dich zu versorgen, nicht versäumen, liebe Christiane. Ueberlege es dir. Er ist, soweit ich beurteilen kann, ein einfacher guter Mensch, ein tüchtiger Landwirt –“

„Ich bin schon fünfundzwanzig,“ wendet sie ein.

Er lächelt. „O, ihr Weiber! Mit fünfundzwanzig wollt ihr alt sein, und mit vierzig fühlt ihr euch wieder jung! Red’ nicht so, Christel, überleg’ es dir!“

„Gut – ich will’s überlegen,“ giebt sie zu.

„Wann soll er sich Antwort holen?“

„Um die Vesperzeit, Schwager; so lange Frist muß ich haben.“

Sie verläßt mit starkem Herzklopfen das Zimmer, aber in der Küche greift sie alles verkehrt an. Sie zankt die Kinder aus des Lärmens wegen, läßt die Bratensauce anbrennen und schilt die Lene. Endlich geht sie zur kranken Schwester; an deren Bette sitzt schon der Schwager, sie haben über das Ereignis bereits gesprochen.

„Nun, was meinst du denn dazu, Lotte?“ fragt Christel.

„Wenn du so glücklich würdest wie ich,“ antwortet die blasse Frau einfach und faßt die Hand ihres Mannes. – Dem Mädchen steigen die Thränen in die Augen. Es ist doch was Großes um so eine innige treue Gemeinschaft! denkt sie. Und vor ihren Augen steht das Bild des stattlichen ernsthaften Mannes und sie sieht sich Hand in Hand mit ihm, wie diese Zwei, in guten und in bösen Tagen.

„Eßt allein,“ sagt sie, „ich kann nicht mithalten; ich will hinunter in den Garten, vielleicht, daß ich draußen ruhiger werde.“

Sie lassen sie auch. Die Lene weint freilich in der Küche um den vereitelten Ausgang, aber wie sie merkt, es ist etwas Außergewöhnliches im Anzüge, tröstet sie sich.

Um drei Uhr kommt Christel zurück. Sie hat große, klare Augen, und es liegt etwas Frohes, Entschlossenes in ihren Zügen. „Ich will es wagen,“ sagt sie zu den Geschwistern, indem sie ihnen die Hand giebt. Und dann beginnt sie den Kaffeetisch zu rüsten in der besten Stube, alles ohne Hast und mit größter Umsicht.

„Hast du ein paar Cigarren?“ fragt sie den Schwager.

„Meinst du, daß er viel rauchen wird heute?“ giebt er lächelnd zurück. „Als deine Schwester und ich Brautleute waren, habe ich das wenigste Geld für Tabak verbraucht, solange ich rauche.“

„Wieso?“ erkundigt sich Christel.

„Thut das Mädel wie ein Neugebornes – wegen dem Küssen!“

Der Scherz ist nicht nach ihrem Geschmack. „Zuerst soll er zur Mutter hinaufgehen, ich erwarte ihn droben,“ sagt sie ausweichend, „das gehört sich so.“

Die alte Frau in ihrem Giebelstübchen ist ganz außer sich vor Glück. „Nun kann das Louischen herkommen, an deiner statt,“ ruft sie einmal über das andere.

„Ich hätte gar nicht geglaubt, daß eine Mutter sich so freuen kann, wenn sie ein Kind hergeben soll,“ bemerkt Christiane.

„Hergeben? Ist das Hergeben? Wirst’s schon selbst sehen, wirst’s schon selbst erleben, wenn du mal eine Tochter hast, wie man sich freut, wenn sie glücklich wird. Wann will er denn Antwort holen?“

„Um vier Uhr, Mutter.“

„Und ist doch schon halb Fünf!“

„Wahrhaftig!“ giebt Christiane erstaunt zu mit einem Blick auf die alte Schwarzwälderin.

Dann sitzen sie sich still gegenüber, und nun schlägt’s fünf, dann halb sechs Uhr.

„Er scheint’s nicht eilig zu haben,“ bemerkt die alte Frau spöttisch. Das Mädchen hat ein merkwürdig blasses Gesicht. Wer weiß, es ist ihm vielleicht leid? denkt sie, dann sagt sie zur Mutter:, „Vielleicht hat er auf eine Antwort gewartet, oder hat Robert falsch verstanden?“

„Der macht immer solche Tappereien, der gute Robert.“

Auf einmal springt Christel vom Stuhle auf, bleich bis in die Lippen. „Jetzt kommt er – ich gehe nebenan ins Schlafzimmer, rufe mich nachher!“ Ihr wanken die Kniee, als sie da drinnen steht und seine Stimme hört. Herrgott, sie kennt ihn doch gar nicht und soll ihm von nun an angehören mit Seele und Leib! Es ist eigentlich schrecklich – wie hat sie sich nur entschließen, so rasch entschließen können!

„Ich will sie lieb und wert halten bis an mein Ende!“ hört sie jetzt. Und dann kommt die Mutter an ihrem Krückstock zu ihr. Christel fühlt, sie muß hinein gehen, und sie geht auch. Die alte Frau bleibt in der Kammer zurück; sie will nicht stören bei dem, was sich die beiden zu sagen haben.

Und Christel steht vor dem Manne, der sie begehrt. Sie ist jetzt ganz ruhig, er aber der Befangene; er stottert irgend etwas, und sie giebt ihm die Hand.

„Wenn Sie es denn wollen,“ sagt sie, „ich bin nur ein einfaches Mädchen –“

„Eben darum,“ antwortet er, und dann noch einmal: „eben darum, Fräulein Christel – was meinst du denn, was ich bin?“

Er hat den Arm um sie geschlagen. „Ein recht einfacher Mann bin ich, der mit seiner Hände Arbeit sich durch die Welt bringen will, sich und dich.“

„Ich will Ihnen keine Last sein, ich kann auch arbeiten,“ versichert sie dagegen.

„Das soll ein Wort sein, Christel!“ Wie Jubel klingt’s aus seiner Rede. „Arbeit wird’s geben in Hülle und Fülle, aber auch hie und da ein Ausruhen und hie und da einen Kuß –“ und dabei küßt er sie auf den Mund. „So, Mädchen, nun hast du einen Bräutigam.“

Drunten beim Kaffee wird die Verlobung gefeiert. Der neue Bräutigam trägt die alte Schwiegermutter zum Ergötzen der Kinder die Treppe hinunter, und von Hausthür zu Hausthür fliegt durchs Dorf die Kunde: der Herr Pächter hat sich mit Christiane Nölling verlobt! Das Brautpaar geht dann beim Abendsonnenschein im Garten spazieren; sie sprechen nicht viel von Liebe, aber desto mehr von ihrer Zukunft. Er will absolut zu Pfingsten heiraten, sie weist ihn an die Mutter und fragt errötend: „Warum kamst du denn so spät heute?“

Er wird ebenfalls rot, aber lügen kann er nicht und will er nicht. „Ja, siehst du,“ beginnt er stockend, „Heine – du kennst doch den Verwalter? Also, Heine blieb nach Tische ein bißchen bei mir sitzen, Sonntags ist’s so hergebracht, bei einem Glase Rotspohn. Ich kann den Leuten das nicht gleich mit einem Male abgewöhnen, mein Vorgänger hat’s so eingeführt – den Wein nämlich, gegen das Sitzenbleiben Sonntags habe ich nichts. Und da kamen wir auf die Wolle und Heine sagte, der Altwitzer mache ein recht großes Geschäft mit Wolle und die Wiese am Herrnbusch brächte so gut wie nichts an Heu, wäre aber die beste Weide. Ich stritt dagegen und so gab ein Wort das andere, und auf einmal da sehe ich, ist’s halb Sechs.“

„Wirst du denn Schafzucht anfangen?“ fragt sie dagegen, ohne einen Schein von Empfindlichkeit.

„In diesem Herbst noch nicht, denn, siehst du –.“ Und nun fängt er ein langes und breites über mangelhafte Stallungen und schlechte Futtervorräte und Gott weiß was zu reden an. „Man muß nicht gleich ins Blaue hinein gehen,“ setzt er hinzu, „erst mal beobachten, was sich am besten schickt. Nur die Milchwirtschaft, die hätt’ ich gern ausgedehnter, wo doch so ’n schönes Absatzgebiet in der Nähe ist. Aber, wie mir Heine sagt, haben wir die beste Kundschaft verloren, weil die Helbig eine Schlampe ist. Raus! sage ich, raus muß sie, sowie –“

„Sowie ich da bin,“ ergänzt sie mit einem Zucken in den Mundwinkeln.

Er nickt ernsthaft: „Sowie du im Hause bist. Es läßt sich was daraus machen – du verstehst’s ja wohl ein bissel, Christel?“

„Hab’s gelernt,“ antwortet sie, „auf Domäne Nutwitz bei der alten Amtsrätin.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0006.jpg&oldid=- (Version vom 6.4.2024)