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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

„I weiß nit, ob’s nit besser g’west wär,“ entgegnete sie halblaut.

„Laß dich nit auslachen! Dös is a dummes G’red’ und a sündhaftig’s G’red’ auch noch dazu!“ sprach sich der Romedi in völligen Eifer hinein. „Und a Narretei is ’s, daß du in so ei’m Wetter in Berg aufi rennst. Hättest ja den Tod davon haben können! Und was hätt’ denn nachher i ang’fangt?“

„Du?“ fragte sie aufhorchend.

„Ja, i!“ rief er. „Oder bin i vielleicht der Niemand auf der Welt? Hätt’ i vielleicht noch a ruhige Stund’ haben können, wenn du mir da draußen verfroren wärst? Daß i ’s g’rad’ außer sag’, Emerenz, oft g’nuag hat’s mich trieben, amal nachz’schauen, wie ’s dir geht! Aber der Eigensinn hat mich nit lassen. Doch wenn du mir heut’ z’ Grund gangen warst und i wär’ die Schuld dran g’wesn, i weiß nit, was mit mir geschehen wär!“

Er schöpfte tief Atem. Sie hatte sich weit vorgebeugt und lauschte in atemloser Spannung seinen Worten. Sie glaubte zu träumen. So sprach nicht jemand, der sie verachtete, der ihr noch etwas nachtrug. Hatte er ihr verziehen? Der Romedi maß einigemal mit hastigen Schritten die Stube. Er rang offenbar nach den richtigen Worten und fand sie doch nicht. Endlich trat er auf das junge Weib zu, faßte sie an beiden Händen und zog sie langsam an sich: „Außer muß es! Zu was sollen wir uns noch lang verstecken. Schau’, i weiß es, Emerenz, daß du dein Hochmut schwer g’nuag büßen hast müssen, daß du neben dei’m Mann nit z’frieden warst. Und i hab’ dich nimmer vergessen können. Der Herrgott hat uns beide in a harte Schul’ g’nommen. Lass’n wir’s jatz guat sein! Vergessen hast mich auch nit, Emerenz, das merk’ i! Und wie i dich eben g’funden hab’, draußen im Schnee, da is mir a Stich durchs Herz gangen, und g’schworen hab’ i mir’s, mein mußt sein, wenn d’ noch amal lebendig wirst! Und davonlaufen hast du wollen? G’rad’ so mir nix dir nix davonlaufen?“ meinte er lachend und drückte das junge Weib an sich. „Davonlaufen über alle Berg’! So was! Lauf’ jatz davon, wenn d’ kannst!“

Sie lehnte ihren Kopf wie betäubt an seine Schulter. „I verdien ’s ja nit, Romedi!“ sagte sie kaum hörbar.

Er nahm ihr Gesicht zwischen beide Hände und drückte ihr einen Kuß auf die Lippen. „Gelt, wir bleiben beisammen, Emerenz? Es giebt kein Auseinandergehen mehr zwischen uns beiden?“

Sie schüttelte leise mit dem Kopf. Sie schien es noch immer nicht recht glauben zu wollen.

Da ging die Stubenthür auf. Der Bruder des Romedi trottete mit der Stall-Laterne herein. „Sein der Viech in der Stall gans wild,“ tutto furioso von der Wetter. Aber ick mussen bissel nachsau –“ Erst jetzt bemerkte der „Krautwallische“ die Emerenz, die ihre Arme um den Hals des Romedi geschlungeu hatte. Er ließ ein verblüfftes: „Ostia! Madonna!“ hören und wollte wieder zur Thür hinaus, als ihm der Romedi zurief: „Bleib’ nur da. Bist grad’ recht kommen, daß du deine zukünftige Schwägerin kennen lernst!“

Der Bruder stellte die Laterne eilig auf eine Bank, wischte sich die rechte Hand umständlich an seiner Schürze ab, ging dann auf die Emerenz zu, der das Glück aus den Augen strahlte, und schüttelte ihr kräftig die Hand. Die Thränen liefen dem ehrlichen Burschen vor lauter Freude über das Gesicht. „Dio mondo!“ rief er aus. „Du sein wollen Swagerin? Va ben’! Du sein eine brave Weibele. Iste nix mehr gewest mit die Romedi! Sein gewest die ganse Tak gans traurik! Aber nix mehr wollen fress’, nix mehr wollen trink’. Aber ik immer sak, sempre, sempre – du, aber ik sak, Romedi, stecken dir der Wittiben drunten in deine Goff! – Drum aben du niente Unger, niente Durst und gehen erum tutt’ il giorno – die ganse Tak – wie einer Kuh, der aben perdutto – verlor’ – Kalbel. Sein besser du heirat’- dann du wieder könn’ trink’ und fress’ und tanz’ und spring’. Warum du nit heirat’ der Wittiben? Nun sein gut! Du werden Swagerin! Sein eine gute Kerl, meine fratello, die Romedi!

Emerenz mußte trotz der Aufregung der letzten Minuten über das Kauderwelsch des sonst wortkargen Burschen herzlich lachen.

„Da siehst es, wie man dasteht, wenn alles aus’plauscht wird!“ meinte nun auch der Romedi lachend, indem er der Emerenz vor seinem Bruder einen lauten Schmatz gab. „Das wird a Aufsehen geben drunten im Dorf, wenn der ,Stoandlnarr’ Hochzeit halt’t! – Weißt, Emerenz, daß du mir eigentlich den Namen aufbracht hast, wie i damals alleweil mit dö Stadtherrn umanand’ g’stackelt bin? In seinen Augen blitzte es schalkhaft. Ein fröhlicher Uebermut war über ihn gekommen. „Es thät’ mir so viel gut g’fallen, wenn i den Nam’ justament iatz von dir wieder hören könnte.“

Sie sah ihn einen Augenblick wie verdutzt an. Dann meinte sie mit einem hellen Lachen: „Das kannst ja hören, du, du – Stoandlnarr!“ Dabei war sie ihm mit den Händen in die buschigen Haare gefahren, bedeckte seinen Mund mit Küssen und rief ein über das andere Mal wie ein mutwilliges Kind: „Stoandlnarr! Stoandlnarr!“

„Jatz hab’ i mein Diandl wieder, wie ’s war!“ jubelte der Romedi und tanzte mit ihr durch die Stube, daß der Boden zitterte. Der „Wallische“ aber hatte eine Mundharmonika aus der Leibeltasche gezogen, blies dazu auf und stampfte mit den Füßen den Takt. Er glänzte im ganzen Gesicht vor Freude, weil er den Bruder glücklich sah und er sicher sein konnte, daß er wieder anfangen werde, zu „freß’ und trink“.

Schlafen gegangen wurde in dieser Nacht nicht mehr, da es ja gar nicht der Mühe wert gewesen wäre. Der Romedi heizte selber noch in dem Kachelofen tüchtig ein. Alle drei blieben in der heitersten Stimmung in der Stube beisammen, bis es Tag ward. Die Emerenz hatte Kaffee gekocht, obwohl der Romedi behauptete, das könne er selber auch. Sie ließ es aber nicht gelten.

Das Wetter hatte über Nacht seine ärgste Gewalt ausgetobt, der Sturm legte sich fast gänzlich. Ein herrlicher Wintermorgen war angebrochen. Trotzdem hatte der Weg ins Dorf immer noch seine großen Beschwerlichkeiten. So lud der Romedi das junge Weib auf einen leichten Holzschlitten. Und er und sein Bruder zogen sie thalab, teilweise auch, wo der Schnee mehr Halt gewährte, in rasendem Fluge über diese und jene Böschung abfahrend.

Einige Holzhauer, die sich des günstigen Wetters halber schon zeitig in der Frühe auf den Weg gemacht hatten, schauten ganz verdutzt, als sie dem seltsamen Fuhrwerk begegneten, an dessen Spitze der Romedi einem jeden zujuchzte. Wenn sie schon früher an dem Verstand des „Stoandlnarr“ gezweifelt hatten, so waren sie nunmehr der festen Ueberzeugung, daß ihm heute das letzte Radl auch noch abgelaufen sei.

Und dennoch hatte der Romedi heute seinen gescheitesten Tag. Das bewies er damit, daß er seine Last direkt vor dem Pfarrhause ablud, kräftig an der Glocke zog und sich dem alten Herrn Pfarrer gleich darauf als einen vorstellte, der baldmöglichst in den heiligen Ehestand treten wolle.

Der „Wallische“, der heute gesprächig geworden war wie noch nie zuvor, versicherte dem geistlichen Herrn zu wiederholten Malen, was für „eine gute Kerl seine fratello sei und wie es absolut notwendig sei, daß „die Romedi eiraten!“ - - -

Der alte Nußbaum im Anger beim Praxmarer sollte noch vergnügte Tage zu sehen bekommen, da im Laufe der Jahre eine ganze Schar von kleinen Buab’n und Diandln unter ihm spielte und sich um die Nüsse rauften, die er auf den grünen Rasen warf, manchmal auch einem allzu Lauten auf den Kopf. So ein alter Baum hat auch seine „Mucken“.

Der Hochlechner aber und das Weib des Altvorstehers haben bei allen Kindern Pate gestanden. Zu heiligen Zeiten schleppte dann die alte Hochlechnerin stets eigenhändig einen großen Korb voll „Godelzeug“ – Patengeschenken, Backwerk und Spielzeug, für die Patenkinder nach dem Praxmarerhof. Und der Altvorsteher selbst kam gewöhnlich noch mit einem neuen „Goaselstiel“ (Peitschenstiel) für den ältesten Sprößling des Romedi und mit einem halben Dutzend hölzerner Kühe und Schafe für die jüngeren hinterdrein.

Sein Geschäft hatte der Romedi keineswegs aufgegeben, wenn er sich auch mehr der Bauernarbeit widmete und die „Stoaner“ zum größten Teil seinem Bruder überließ, der das einsiedlerische Leben schon so gewöhnt war, daß er aus der Behausung am Berg gar nicht mehr heraus wollte. Er machte sich des Titels „Stoandlnarr“, der von Romedi allmählich auf ihn überzugehen begann, in vollstem Maße würdig.

Der Kramer Luis ist bald nach der Hochzeit des Romedi und der Emerenz gestorben. „Den hat die Gall umbracht!“ meinten die Leute.


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