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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Wo sie nur bleibt? Es gehn ja noch ausreichend Züge …

„Hedwig!“ ruft ihre Stimme in den Flur, und er hört des Mädchens Schritte schlürfen. Das kommt nicht wieder und kommt nicht wieder. Endlich! er öffnet die Thür. „Wo bleibt meine Frau?“ fragt er gedämpft.

„Sie hat sich schon niedergelegt,“ sagt das Mädchen, als ob das etwas Selbstverständliches wäre.

„Zu Bett.“

Er macht Augen, als sähe er Gespenster – und doch durchrieselt es ihn wunderbar …

„Ja“, nickt Hedwig und stutzt sichtlich.

„Es ist gut … nein … legen Sie sich auch nieder.“

Er wird in sein Zimmer gehn, sich mit einer Decke aufs Sofa legen.

Er hat ja kein Recht, es ihr zu wehren. Noch ist die Scheidung ja nicht gerichtlich bestätigt … Und er löscht alles Licht, begiebt sich mit starken Schritten hinüber … da ist ein Schlafsofa, und die Decke noch vom Mittagsschlafe her. Er löscht auch hier die Lampe und bettet sich.

Aber schlafen … jetzt schlafen …!

Es muß möglich sein!

Und in der Abgespanntheit, in der Dunkelheit stimmt’s endlich, daß er müde wird, dämmert … da drüben … da drüben …

Als er aufschrickt, ist’s stockfinster vor seinen Augen. Er richtet sich auf, es ist, als hätte etwas seine Hand gefaßt und wieder losgelassen. Da steht’s, etwas Lichtes, Undeutliches … er reißt die Augen auf … . auf einmal ist er sehr munter … sie …

„Ich bin’s, Franz.“

Sie zögert einen Augenblick, dann setzt sie sich zu ihm auf den Sofarand.

„Ich kann nicht schlafen, will ein vernünftiges Wort mit dir reden. Bist du dafür zu haben?“

„Bitte,“ sagt er.

Ein Fieber durchfährt ihn.

Ihr Gesicht mit den dunklen Augen dämmert zwei Schritt von ihm, das Knistern ihres Kleides neben ihm regt alle Nerven auf.

„Es wird mir nicht leicht; aber drüben atmen unsre Kinder in der Stille, ihre kleinen duftenden Atemzüge sagten mir: du mußt! Wir beide haben hart gekämpft miteinander, das entfremdet. Ob wir uns je das wieder werden könnten, was wir uns waren … ich weiß es nicht. Ich habe dir einen Eklat bereitet, und du bist im Vorteil gegen mich. Du bringst ein größeres Opfer als ich, wenn du nachgiebst, mit mir im selben Hause weiter zu leben. Aber ich möchte dich fragen: Willst du’s versuchen?“

Diese Worte, so eintönig gesprochen, wie gedämpfte Rede klingt, sehen nach kühler Verständigkeit aus, und doch – in der Stimme bebt etwas, eine unterdrückte Bewegung, die erlöst sein will.

„Versprichst du dir etwas davon?“ fragt er nach kurzem Besinnen.

Ihre Hand spielt nervös mit den Falten der Decke.

„Wenn wir mit dem einzigen Wunsch nebeneinander gehen, den Frieden zu hüten und für unsere Kinder zu leben – dann glaub’ ich: wir kommen aus. Ich kann nicht erwarten, daß du von früheren Empfindungen … von einst meine ich … noch für mich übrig hast … das wäre vielleicht nicht einmal gut. Aber die Kinder! Die Sehnsucht nach ihnen hat mich all die Zeit her gequält, wo ich von dir fort bin, doch habe ich’s ausgehalten – bis heute. Bis Weihnachten …. Wie ich heute in die Stadt ging und die Leute in den Spielzeugläden einkaufen sah – wie ich in meiner Todeinsamkeit saß, so verlassen und verloren, da zitterte ich nach meinen kleinen Vögelchen … ich wäre gestorben oder verrückt geworden, wenn ich sie heute nicht gesehen hätte, mit ihnen gespielt, ihre Stimmchen gehört! … ich sage es ganz offen, wie es war … Ich kann nicht von meinen Kindern gehen,“ schloß sie mit leidenschaftlichem Aufbäumen.

„Hasse mich, laß mich’s fühlen … aber ich will bei meinen Kindern sein!“

Ihre Stimme brach zuletzt, erstickte, – der Mann auf dem Sofa fühlte ohne Berührung, daß sie am ganzen Leibe bebte.

„Und ich?“ fragte er mit tiefer Bitterkeit, „und ich?“ Und er setzte sich höher auf.

Ein paar Augenblicke schwieg sie, saß wie erstarrt, nur die dunklen Augen suchten geheimnisvoll, als könnten sie nicht finden, hier nicht, da nicht, weithin nicht … und plötzlich fühlte er die weichen Frauenarme um seinen Hals geschlungen und ihr Antlitz an dem seinen, heiß, schwer atmend …

„Franz,“ stammelte sie … „Franz!“ …

Und in tiefer Scham raffte sie sich auf und entfloh.

*  *  *

Am andern Tag kam der Amerikaner Felix. Er hatte sich einen netten Plan zurecht gemacht: Herrgott, müssen denn die zwei sich wirklich durchaus scheiden lassen? Er wird die Sachlage genauer untersuchen, vielleicht läßt sich da ein gutes Werk thun.

Er machte Augen wie Theetassen.

„Na nun adieu, alter Sohn – – da hast du mich gestern schön angelogen …“

In der Weihnachtsstube fand er das Paar, niemand war ihm entgegengegangen, ihn zu bewillkommnen.

Die Tanne hinter den beiden duftete zu ihm, er stolperte beinahe über Maxis Kaninchen, der ihm damit in die Beine fuhr.

„Weihnachtszauber,“ sagte der Hausherr und kam strahlend mit ausgestreckter Hand auf ihn zu, „Friede auf Erden …“

„Und dem Menschen ein Wohlgefallen,“ schloß lachend der Freund und deutete mit langem Zeigefinger auf seine breite Brust.

„Von Herzen, meine gnädige Frau! – Ich wollte Sie heute noch auf dem Umwege über den Mann hier wo anders aufsuchen …“


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 834. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_834.jpg&oldid=- (Version vom 9.7.2023)