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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

„Na, anstoßen wollen wir, Prosit!“ nickt der Amerikaner. „Du armer Teufel … reitet dich die Scheidung nicht pekuniär ein bißchen hinein, oder bist du geschäftlich schon so weit, daß du ihr Eingebrachtes liegen hast?“

„Sie geht drauf ein, mir einen Teil noch zu lassen. Im nächsten Jahre stoße ich’s vielleicht schon ab. Ach …“ Der traurige Mann preßt den Kopf in die Hand, „ihr Geld hat mir ja Gewinn gebracht, aber keinen Segen!“

Der Freund, dessen klugem, jovialem Gesicht die teilnehmende Leichenbittermiene wie eine Maske steht, gönnt ihm eine Pause bis der andere sich mit energischer Bewegung aufrafft.

„Raus man – was ist passiert? Scheidungsgrund – Fragezeichen!“

„Böswillige Verlassung … ganz einfach, wir haben uns verloren.“

„Das ist alles? Das heißt also, ihr habt euch so lange gekabbelt, bis sie rabiat geworden und dir durchgebrannt ist! Mein lieber Franz, nimm mir’s nicht übel, wenn die Sache so liegt dann seid ihr alle beide schuld!“ Er zog ein Etui und öffnete es. „Willst du rauchen?“ – „Danke,“ sagte der andere … „ich habe …“ Sie tauschten aus und zündeten die Cigarren an.

Dann tranken sie wieder.

„Wenn nur ein Teil in der Ehe die Geschichte richtig anfängt, so kann es zu solchem Krach nicht kommen! Deine Frau ist ja immer ein bißchen forsch gewesen – den Eindruck habe ich gleich von ihr gehabt … aber du …?“

Er schüttelt den Kopf. Der andre pafft hastig.

„Es mag sein … es wäre ja wohl zu verhindern gewesen. Aber dann war ich unterm Schlitten, Felix! Ich bin auch eigensinnig, ich weiß es. Doch was meine Frau mir zuletzt geboten hat, das hält kein Mann aus, der Schamgefühl im Leibe hat …“

„Um die letzte Zeit handelt es sich gar nicht, alter Sohn vorher, vorher! Eine Verbitterung, die ihr Heil nur in einer Scheidung sieht, kommt nicht von heute auf morgen, die ist immer das Ende eines langen Guerillakriegs. Ihr habt euch das so sacht herangeärgert, anders ist’s gar nicht möglich!“

Der andere spielte mit dem Fuß seines Glases und blickte tiefsinnig vor sich hin. „Das ganze Unglück kam davon, daß ich eine vermögende Frau geheiratet habe. Wahrhaftig nicht des Geldes wegen – du kennst sie, diese Frau nimmt einer wohl ohne Auskunftsbureau! Aber ich hatte nichts als eine leidliche Stellung. Das gab von vornherein eine schiefe Lage. Sie war verwöhnt, Temperament hat sie reichlich – was sie wollte, ich mußte mit! Das hätte ich mir ja gefallen lassen, aber die Art, wie sie das selbstverständlich fand!- Du hättest es so wenig ausgehalten wie ich …“

„Ich? Ich hätte sie ausgelacht.“

„Hm – du … es mag sein, daß ich nicht genug Humor habe. Und das Geschäft, das ich mit ihrem Gelde gründete, machte mir in der ersten Zeit den Kopf gehörig warm. Ich hatte immer ein katzenjämmerliches Gefühl, daß es ihr Geld war, was ich riskierte, erzählte ihr vom Geschäft …“

„Das war eine große Dummheit. Nur mit Frauen nicht vom Geschäft sprechen! Die haben keine Courage.“

„Ja so – sie fing an, sich drein zu mengen … was soll ich dir lang und breit erzählen, die Geschichte ist verpfuscht. Mir thun bloß meine armen Jungen leid.“

„Wie alt sind sie denn jetzt?“

„Vier und zwei einhalb.“

„Wen hast du denn bei ihnen?“

„Für jetzt ein tüchtiges Mädchen. Ich werde ja schließlich mich nach einer Gesellschafterin umsehen müssen. Man schiebt eben so etwas hinaus, kann sich so rasch nicht in den Gedanken finden, daß das Alte zerbrochen ist, daß man sich anders einrichten muß!“

„Wie lange ist denn deine Frau weg von dir?“

„Ein halbes Jahr etwa.“

„Doch schon? So lange wär’s her, daß ich keinen Brief von dir bekommen? Wahrhaftig, es kann sein, der letzte wurde mir nach Chicago nachgeschickt, wenn ich mich recht erinnere …“

Diese ganzen Auseinandersetzungen waren geflüstert worden, während sich das vierblättrige Kleeblatt drüben ohne viel Aufwand an Temperament, wie Leute, die hier zu Hause sind, unterhalten hatte. Jetzt sah der bedrückte Ehemann nach der Uhr: „Ich muß gehn, Felix, hoffentlich hat das Wetter nachgelassen. Ich kam nur herein, um Zuflucht zu suchen, habe keinen Schirm mit. Kommst du die Feiertage mal herüber zu mir? Es wäre nett, würde mir ein bißchen über die traurigen Gedanken weghelfen.“ Er stand auf.

„Natürlich, alter Sohn, ganz gern.“

Der Kellner eilte herbei. Der andere zahlte, ließ sich in den Ueberrock helfen: „Auf Wiedersehn, also. Grüß deine Mutter!“

Der Wirt erhob sich wieder zu der stereotypen Verbeugung, die drei Stammgäste schielten …

Nun war er draußen, das Schneetreiben hatte fast ganz nachgelassen. Er ging in die Leipziger Straße einkaufen.


Eine hübsche, nicht große Villa in einem verschneiten Garten. Eine Laterne am Gittereingang wirft das notdürftigste Licht. Der Himmel ist stichdunkel. In der Wohnstube sitzt ein älteres Mädchen am Fenster. „Is will sehn!“ ruft ein kleiner Kerl im Sammetkittel sehr energisch und zieht das Mädchen am Rock, und immer wieder mit dem Eigensinn der Jugend: „Is will sehn! Is will sehn, Hedwis!“ Er ist blond und rosig.

„Du bist dumm, Maxi,“ spricht es aus einem Fauteuil, dort sitzt der ältere Bruder, lässig zurückgelegt, die Aermchen rechts und links auf den Lehnen, schmal und brünett im Gesicht wie der Vater. „Es hat noch nicht gepfiffen; wenn er kommt, pfeift er auf der Erbsenpfeife, hat er gesagt, und was er gesagt hat, ist wahr.“

„Siehst du, Edi ist viel artiger als du,“ spricht das Mädchen. „Der Weihnachtsmann hört alles.“

„Is bin auch artig,“ sagt der Kleine nach kurzem Bedenken.

Das Mädchen setzt sich gelangweilt auf einen Stuhl. „Edi, du sollst nicht immer mit den Füßen an den Stuhl schlagen!“

Der sieht nachdenklich aus. „Hedwig,“ sagt er, statt zu reagieren, „ich glaube, gestern habe ich den Weihnachtsmann gesehn.“

„So? Wo denn?“ Sie nimmt Maxi auf den Schoß. „Hat der Weihnachtsmann eine rote Mütze auf, wie ein Dienstmann?“

„Bewahre, eine Pelzmütze.“

Edi besinnt sich. „Dann ist es doch vielleicht bloß ein Dienstmann gewesen …“

Ein schrillender Pfiff draußen, die Kinder werden plötzlich lebendig, Maxi zappelt vom Schoß hinab, Edi rutscht aus dem Sessel. „Papa – Papa … wird jetzt beschert, Hedwig?“

Sie stehen beide dicht an der Thür, der Kleine schlägt mit den Fäusten dagegen. „Ja ja, gleich …“ Draußen stapft es in dem Hausflur, stapft an der Thür vorbei, öffnet nebenan eine Thür. „Hier setzen Sie ab … So, da haben Sie … Und nun erst kommt es zur Thür, wo die Kinder warten, und öffnet. Edi späht rasch hinaus, während sich der Vater erst zu dem Kleinen bückt, ihn aufhebt und küßt.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 829. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_829.jpg&oldid=- (Version vom 9.7.2023)