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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

„Aber selbstverständlich!“ Frau Eggebrecht machte eine erschrocken abwehrende Bewegung.

Linchen hatte indessen eifrig mit Männe geflüstert.

„Was uns beide betrifft,“ sagte sie nun hastig, „wir wandern aus. Ich fürchte mich entsetzlich vor Ansteckung. Ich könnte die ganze Nacht kein Auge zuthun. Ich würde sicher krank, wenn ich hier im Hause bliebe, und dazu bin ich denn doch nicht hergekommen. Thu du, was du verantworten kannst, Mama, – ich ziehe mit Männe in das Palasthotel.“

„O Gott, Mama,“ sagte Evchen weinerlich. „Und wenn ich es nun kriege!“

Frau Eggebrecht gab sich einen kleinen Ruck.

„Du siehst, liebe Hanna“, sagte sie in einem Ton, der aus Verlegenheit und Würde gemischt war, „ich bin in diesem Augenblick nicht mein eigener Herr. Wäre ich allein hier, so hielte mich nichts zurück, mich in die Pflege des Bruders mit dir zu teilen. Als Mutter habe ich andere Pflichten. Und schließlich – wenn ich mir es recht überlege, so thun wir dir eigentlich nur einen Gefallen, wenn wir dich vorläufig von unserer Gegenwart befreien – –“

„Wenn ich ehrlich sein soll, ja,“ sagte Hanna mit einem Lächeln, das Evchen noch nachträglich als frivol und herzlos erklärte. „Ich könnte in den nächsten Tagen nur eine sehr schlechte Wirtin sein und müßte eure Verpflegung ganz dem Wohlwollen der Dienstleute überlassen. So wäre es also schon besser für alle Teile, wenn wir uns erst nach Ludwigs Genesung wieder vereinigten.“

38.

Noch bevor Meinhardt abends zum zweitenmal erschienen war, hatte die Einquartierung mit Sack und Pack die Festung geräumt.

Vom Theater aus siedelten die Herrschaften gleich ins Palasthotel über, von wo aus man sich ja so und so oft am Tage telephonisch unterhalten konnte. Das war eine große Beruhigung für Frau Selma, die sich ja „natürlich“ nur der Kinder wegen zu dieser Fahnenflucht entschlossen hatte. So wie sie am andern Morgen nur die Augen offen habe, werde sie anklingeln.

Daß dies erst gegen Mittag geschah, war Schuld der Migräne, die sie der Sorge um den Bruder verdankte und die ihnen zum Schrecken aller zuerst als die schon vollzogene Ansteckung erschienen war. Zum Glück hatte sich diese Befürchtung als grundlos erwiesen, und nach einem Dutzend Austern und einigen Gläsern Sekt – –

August, der am Telephon stand, grinste lautlos. „Das wird die gnädige Frau sehr beruhigen. Gnädige Frau lassen sich bei Frau Bankdirektor entschuldigen, daß sie nicht selbst an den Apparat kommen, aber gnädige Frau können den Herrn nicht allein lassen – jawohl – – die Nacht war sehr unruhig – – nein, gnädige Frau sind überhaupt nicht zu Bett gegangen – – der Herr fühlt sich sehr schlecht – – große Schmerzen, ja – – der Sanitätsrat sind sehr besorgt wegen der Lungenentzündung, das Fieber will nicht nachlassen, und die Medizin verträgt der Herr nicht – – jawohl, gestern abend noch einmal, und heute ganz früh, und in einer halben Stunde werden Herr Sanitätsrat wieder erwartet – – gewiß, gnädige Frau wird sofort wieder melden lassen.“ – „Besten Dank.“ „Bitte sehr.“

Wahres Glück, daß dir deine Austern doch geschmeckt haben, brummte August vor ich hin, indem er abläutete und den Hörer anhängte.

Mit seinen langen, leisen Zweistufenschritten begab er sich dann wieder hinauf, um neben dem Krankenzimmer für jeden Ruf bereit zu sein. Thomas duldete ihn nur widerwillig in seiner Nähe, er wollte niemand als seine Frau um sich haben.

Jetzt lag er mit zurückgeworfenem Kopf und halbgeöffnetem Mund in einem leichten Fieberschlummer, dem ersten seit Ausbruch der Krankheit, also seit beinahe vierundzwanzig Stunden. Zum erstenmal auch hatte sich Hanna ordentlich neben ihm niedersetzen können, um auszuruhen. Sie war bis dahin nicht von ihrem angewiesenen Posten auf seinem Bettrand gewichen. Nun schmiegte sie den müden, schmerzenden Rücken an die Sessellehne. Leise wagte sich der verscheuchte Schlaf aus dem Winkel und breitete lächelnd seine Schwingen auch über ihre wachsamen Augen. Die Lider wurden ihr immer schwerer, der Kopf sank zur Seite. Wie durch einen Nebel sah sie Ludwigs entstelltes, gequältes Fiebergesicht, seine machtlos ausgestreckte, von einem unsichtbaren Feind gefällte Kraftgestalt, hörte sein hastiges, lautes Atmen. Sie wußte noch: Er schläft, das wird ihm gut thun nach dieser entsetzlichen Nacht, nach dieser Ruhelosigkeit, diesen Schmerzen. Wenn er aufwacht, wird ihm besser zu Mut sein.

Dann schlief sie schon selbst. Traumlos, bleiern, erschöpft, nur zu leicht erschöpfbar.

Stimmengeräusch weckte sie, sie zuckte zusammen und richtete sich auf. Niemand war da. Der Kranke lag unverändert, aber mit einem neuen, fremden Ausdruck von Angst in den Zügen. Die geschlossenen Augenlider zuckten. Hatte er im Schlaf gesprochen? nach ihr gerufen?

Ganz plötzlich überkam sie ein schauerliches, eiskaltes Furchtgefühl, als ob jemand hier im Zimmer gewesen wäre, derweil sie geschlafen hatte, und etwas Böses, Feindliches gethan hätte. Jemand – – wer denn? Das Märchen von Andersen fiel ihr ein, das von der „Geschichte einer Mutter,“ wie sie da am Bett ihres kranken Kindes sitzt und von Müdigkeit überwältigt einschläft und der Tod hereinkommt und das Kind mitnimmt in das unbekannte Land – –

Sie strich mit der zitternden Hand über die Stirn. Wenn ihr am ersten Tage der Krankheit ihre Nerven schon solche Streiche spielten, wie sollte das dann im Verlauf noch werden? Sie mußte sich unbedingt zusammennehmen. Nur das Frösteln nach diesem kurzen Erschöpfungsschlaf, aus dem sie aufgefahren war, hatte ihr das peinliche Schreckgefühl verursacht. Weiter war es nichts. Und Ludwig hatte im Traum gesprochen. Jetzt bewegte er wieder die Lippen, flüsterte, murmelte unverständliche Worte. Schwerfällig hob sich die eine Hand und griff tastend um sich her. Hanna erfaßte sie, sofort schlossen sich die glühenden Finger wie Klammern um die ihren und blieben dann auf der Bettdecke ruhen, als ob sie gefunden hätten, was sie suchten. Auch das Flüstern und Murmeln hörte auf. Lauter, hastiger und angstvoller klangen dafür die kurzen Atemzüge.

Nach einem Weilchen öffnete er plötzlich die Augen.

„Du –“ sagte er rauh, geradeaus ins Leere starrend.

„Hier bin ich.“ Hanna rührte sacht ihre in seiner Hand gefangenen Finger, sie beugte sich auch vor, damit er sie sehen könne.

„Hat der Schlaf dir gut gethan?“

„Was denn?“ Er wandte langsam den Kopf zu ihr. Das Atmen schien ihm Mühe zu machen, mehr als vorher, er sprach in kurzen Absätzen. „Ich habe ja – gar nicht geschlafen.“

„Nicht? Ich dachte,“ sagte sie nachgiebig. „Du lagst so schön ruhig, und hattest die Augen zu.“

„Ich – dämmerte nur. – Hab’ alles gehört.“

Hanna lächelte. „Viel Lärm kann ich nicht gemacht haben. Ich war nämlich selbst ein bißchen eingenickt.“

„Also – wie kannst du behaupten – daß ich – geschlafen hätte?“

„Es schien mir so, und weil es mir so schien, machte ich auch die Augen zu. Aber sprich lieber nicht, es strengt dich an. Trink’ lieber einen Schluck. Der Mund ist dir gewiß trocken. Komm’.“

Von ihr unterstützt, richtete er sich mühsam auf. Sie hielt ihm das Glas an die Lippen, das er gierig leerte. Stöhnend preßte er dann die Faust an die Seite.

„Schmerzen – hab' ich hier! – Jeder Atemzug ist – Qual – Zu wenig Luft überhaupt – –“

Hanna schlang den Arm um seinen Nacken und ließ ihn, dicht neben ihm auf den Bettrand sitzend, sich an sie lehnen. Sie fühlte seine brennende Stirn an ihrer Wange; von seinem stoßweisen Atmen wurde ihr Körper leise mitbewegt.

„So ganz aufrecht ist dir leichter, nicht?“ sagte sie sanft, seine Hand streichelnd und die geballten Finger langsam

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 791. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_791.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2017)