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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Das Kind.
Roman von Adolf Wilbrandt.

(7. Fortsetzung)

19.

Die Drei, die zu den Mandarinen gegangen waren, kamen vom Hause her zurück, Schilcher hatte jetzt statt der Serviette etwas wie einen Brief in der Hand, das er wie eine Fahne schwenkte. „Eine Depesche!“ rief er, während sie näher kamen. „Ein Telegramm! An dich!“

„Endlich!“ sagte Rutenberg und nahm es ihm aus der Hand. „Du, Alter! Errätst du, von wem es ist?“

„Hab' so eine Ahnung!“

Rutenberg öffnete die Depesche und las sie vor: „Heute, mit dem Dampfer. Whist, Wild, Lugau.“

„Siehst du wohl, sie sind es! Lakonisch, aber deutlich. Schilcher, wir haben sie! Wo ist die Hotelkanone, um sie zur Begrüßung abzufeuern, wo ist eine deutsche Flagge! – ,Mit dem Dampfer‘ steht da. Nach meiner Uhr muß der schon da sein. Schilcher, sie sind schon da!“

Fritz deutete mit dem Arm hinaus. „Der Dampfer hält bei der Marine –“

„Richtig!“ rief Rutenberg, der an die Brüstung stürzte und hinuntersah. „Da rudert auch schon eine Barke vom Dampfschiff her. Sie sitzen ja auch drin! Sie sind‘s!“ – Er zog sein Taschentuch heraus und wedelte damit. Schilcher und Gertrud, von seiner Freude angesteckt, thaten es ihm nach. „Kinder!“ rief Rutenberg und blickte triumphierend herum. „Nun werden wir also wieder Lugaus Imitationen und Wilds Erfind – –“

Er sprach das Wort nicht zu Ende. Eben kam ihm Arthurs Gesicht vor die Augen, das rosige, glatte, gleichsam abgeleckte; dabei fielen ihm Fritz Waldecks Worte wieder ein ‚jede Gefahr vermeidet er meilenweit, wenn es möglich ist!‘ – Wilds Erfindungen, dachte er. Ah! Wild wäre mein Mann!

Schilcher war auch an die Brüstung getreten, noch immer sein Taschentuch schwenkend. „Sie sehn uns!“ rief er jetzt. „Bei Gott, sie sehn uns. Sie ziehn auch ihre Flaggen auf. – Rutenberg, ich geh‘ hinunter, geh‘ ihnen entgegen, diesen alten Jungen!“

Er wollte sich schon in Bewegung setzen, doch Rutenberg hielt ihn fest. „Nein, nein,“ sagte er. „Ich! – Laß mich, Schilcher,“ flüsterte er hastig, ihn ein paar Schritte weiter führend. „es ist eine Idee über mich gekommen, von diesem Wild soll sie ausgehn; ich führ‘ ihn herauf und sag‘ sie ihm. Gieb dann acht, gieb dann acht!“

Er stieß seinen Schilcher freundschaftlich zurück und ging allein zur Felsentreppe. „Ich bin der Hausherr!“ rief er noch über die Schulter. „Ich begrüße sie!“

Schilcher sah ihn hinuntersteigen, sah die andern landen. Pasquale und dessen Gehilfe Antonio schifften das Gepäck aus. „Gepäck!“ summte er und wandte sich zu Gertrud. „Die müssen also doch auch wohnen, das ist nicht zu leugnen. Wo sollen sie wohnen, Kind? Das kleine Hotel ist voll. Wir müssen vorläufig zusammenkriechen wie die Mäuse!“

„O nein, sagte Fritz Waldeck. „das müssen Sie nicht. Mein Zimmer wird frei. bald. in einer Stunde.“

„Was? Sie wollen fort?“

Auch Schilcher war erschrocken. Gertrud sah den jungen Mann herzlich an und schüttelte den Kopf. Indem er that, als bemerk‘ er das nicht, indem er ihr seine Gefühle mit Gewalt zu verbergen suchte, entgegnete Fritz auf Schilchers Fragen „Ja, natürlich. Was ich hier zu thun hatte, das ist ja gethan! …“

Wie rührend freundlich schauen Sie mich an, Herr Oberappellationsrat. Sie drücken mir gar die Hand. Sie schütteln den Kopf … Ich muß ja fort.“

„Warum müssen Sie? …“

„Meine Reisegesellschaft, in Pompeji … morgen wollen sie nach Neapel zurück. Von da dann nach Rom … – und von Rom wieder nach Haus!

Schilcher ließ verzagend den Kopf hängen. So gefällt mir‘s! dachte er. „Der andre“ geht uns durch und wir sitzen wieder da – er warf einen grimmigen Blick auf Arthur, der über die Brüstung dem Ausschiffen zusah …. mit dem Wasserhuhn, der Taucherente allein!

„Und was wollen Sie dann zu Hause? fragte er verdrießlich.

Fritz Waldeck lächelte, ihm war selber nicht gut dabei. „Was ich will? Was lernen.“

„Und was lernen Sie denn eigentlich, wenn ich fragen darf?“

„So ungefähr Kunstgeschichte,“ erwiderte Fritz, die Achseln zuckend. „Das sieht ja nicht nach Broterwerb aus. aber mein Professor – der uns jetzt nach Neapel und Rom führt – der macht mir auf jede Weise Mut. Er glaubt an mein Talent, mein Auge, meinen – und so weiter. Ich soll an seiner Zeitschrift mitarbeiten, Mitredakteur werden, sobald ich so weit bin. Ein Lehrstuhl, meint er, wird mir dann auch nicht fehlen. Er will mir auf jede Weise beistehn,“ sagt er. Fritz zuckte wieder lächelnd die Achseln. „Er hat mich eben merkwürdig gern!“

„Kann ich ihm gar nicht verdenken,“ brummte Schilcher. „Und das nötige Geld haben Sie einstweilen?“

„Mein Onkel hat's, er will aber durchaus Vater an mir spielen. Studier' du nur drauf los, sagt er, ich lass' dich nicht im Stich, darauf kannst du Gift nehmen! – Kurz – es ging mir früher so schlecht – aber seit einiger Zeit geht's unsinnig gut. Auch dieser Onkel hat mich sehr lieb – wie ein eignes Kind –“

„Kann's ihm auch nicht verdenken,“ fiel Schilcher ein. „Aber daß Sie uns so ventre à terre wieder verlassen wollen – – das hatt' ich mir schöner gedacht!“

Man hörte jetzt Wilds und Rutenbergs Stimmen, die beiden stiegen voran herauf, Lugau folgte mit den gepäcktragenden Schiffern. Der kleine Oberappellationsrat lief ihnen entgegen, auf der obersten Stufe der Treppe blieb er stehn, mit beiden Armen zum Willkomm grüßend.

„Aber das ist ja ein Felsenmärchen“ sagte Wild, der entgegenwinkte, „wie aus dem alten Vater Homer. Nu, was sagen Sie, Gottfried Schilcher? Auf Tassos heiligem Boden sehen wir uns wieder!“

Schilcher drückte ihm die Hand, dann streichelte er ihm mit drolliger Zärtlichkeit das volle, humoristisch behagliche Gesicht. „So gescheit waren Sie noch nie, lieber Wild, wie in dieser Sache. – Ich freue mich! Sehr! – Lugau! Mensch!“

Etwas atemlos keuchte. nun auch Lugau zur Terrasse hinauf; er winkte mit dem Taschentuch, mit dem er sich die Schläfen getrocknet hatte. „Man hat uns gerufen,“ sagte er, „und wir sind gekommen. Uebrigens, Sie sind noch am Geben, Schilcher!“

„Bin ich noch am Geben?“

„Ja. – Sehen Sie mich an. Wild behauptet, ich wär' auf der langen Fahrt von der Ostsee bis Neapel um hundert Pfund magerer geworden. Finden Sie das auch?“

Schilcher betrachtete den kleinen dicken Mann mit ernsten Naturforscheraugen. „Ich kann keinen Unterschied wahrnehmen, Lugau, aber es mag ja doch sein!“

Alle hatten die Höhe erreicht, alles begrüßte sich, Rutenberg schickte die Schiffer, die mit Handkoffern und Reisetaschen beladen waren, einstweilen in sein Zimmer hinauf. Er stellte die jungen Männer vor, „junge Wandervögel“, er drückte dann vor Vergnügen die wohlbeleibten alten Herren gegeneinander und an seine Brust. „So, und nun seht euch hier gefälligst um, so wohnen wir und so leben wir. Unter uns die Brandung, vor uns der Vesuv!“

„Bei Gott, ein Irrtum ist nicht mehr möglich,“ sagte Wild, der die vertretenden Schelmenaugen rundum wandern ließ, „wir sind wirklich hier. Vierzig Jahre lang hab' ich mir's gewünscht, auf diesem Felsen zu stehn, vierzehn Tage lang hab' ich euch beneidet, jetzt steh' ich da! Das ist schon der Mühe wert, meine Freunde, sich in Gefahr zu begeben, da werden wir uns denn auch mit dem nötigen jugendlichen Leichtsinn –“

„Gefahr? Wieso?“ fragte Schilcher.

Rutenberg, der Schilcher gegenüberstand, winkte ihm heimlich, fast nur mit den Augen. der andre bemerkte es auf der Stelle. „Wieso?“ antwortete Wild, mit seinem unerschütterlich behaglich ernsten Gesicht. „Nu, in Neapel war man heute früh

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