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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

An mir soll es geeigneten Augenblicks nicht fehlen. Sie wissen, daß ich mich gern zu den Neuerern zähle, daß ich mit Vergnügen an rostig gewordenen Stangen rüttle. Ich kann auch nicht glauben, daß Ihre Schrift nicht auch an entscheidender Stelle wirken sollte. Lassen wir ihr nur Zeit. Warten wir’s nur ab. Einstweilen gratuliere ich Ihnen zu dem Erfolg, so weit er schon sichtbar geworden ist!

Mit seinem warmen Blick voll Energie und Güte drückte er dem jungen Mann die Hand.

Am Fuß der Treppe angekommen, die sie dann gemeinsam hinuntergeschritten waren, verabschiedete sich der Direktor von den beiden Herren und trat in sein Privatzimmer.

„Kommen Sie flink,“ sagte Rettenbacher. „Wir müssen uns jetzt ein bißchen dranhalten, daß wir die Bahn noch erreichen.“

„Wieso?“ fragte Günther. „Was haben Sie vor im wilden Grimme? Was soll ich auf Ihrer Bahn? Ich gehe jetzt nach Hause, wie Sie wissen.“

„Das thun Sie nicht, wenn Sie ein bißchen nett sind. Sie kommen mit mir hinaus und essen bei uns. Ich hab’ der Grete gesagt, ich brächte Sie mit, tot oder lebendig.“

„Das ist nicht übel. Warum haben Sie mir denn von dieser großartigen Einladung kein Sterbenswörtchen vorher sagen lassen?“

„Ja, hat es denn der Junge, den ich Ihnen geschickt habe, nicht ausgerichtet? Aber freilich, es war mein Freund Leonhardt, der hat wohl die Hälfte seines Auftrags unterwegs verschwitzt. Na, es thut nichts, kommen Sie nur mit! Oder versäumen Sie etwas, haben Sie sich mit jemand verabredet?“

„Nein, das nicht, und ob ich nun in meinem ollen Restaurant esse oder bei Ihnen, das ist – – , so wollt’ ich's ja nicht sagen. Es ist mir gar nicht einerlei, sondern ich komme gern mit. Also basta! Sie müssen mir aber Wasser zum Händewaschen geben und mir den Schulstaub abbürsten helfen.“

„Soll geschehen.“

Sie waren auf den Hof hinausgetreten. Rettenbacher sah sich suchend um.

„Jetzt bin ich nur gespannt, ob mir der Hans durchgebrannt sein wird. Nein, da steht er. Natürlich schon kochend vor Ungeduld. Hans! Hierher, mein Junge!“ Der Gerufene, der sich die Wartezeit damit vertrieben hatte, eine schadhafte Stelle in der Mosaikpflasterung mit seinem Saebelabsatz zu vergrößern, drehte sich herum und kam schnell auf die beiden Herren zugelaufen.

„Großer, wo steckst du?“ fragte er laut, vorwurfsvoll, mit seiner „Kirchglockenstimme“.

„In meiner Haut, wie du siehst“, antwortete der Bruder gleichmütig. „Aber du scheinst mir aus deiner schon wieder herausgefahren zu sein, was?“

„Wenn ich aber auch hier stehen muß in der Sonne wie ein Pfahl!“

„Ich habe ja nicht verlangt, daß du hier in der Sonne stehen sollst, und auch nicht wie ein Pfahl. Warum hast du nicht unterm Thorbogen gewartet? Aber mach’ nur jetzt, nimm deine Beine in die Hand, wir müssen uns eilen. Herr Günther kommt mit uns hinaus.

„Famos!“ rief der Junge. „Ich werd’ nur vorausrennen und die Dampfbahn festhalten.

Im Nu war er davon, zum Einfahrtsthor hinaus und die Straße hinunter. Günther sah ihm lachend nach.

„Macht mir Spaß, der Bengel. Wie er übrigens wächst, das ist schon fabelhaft. Kein Mensch glaubt, daß er erst elf Jahre alt ist. Wie Sie den noch bis zur Konfirmation in kurzen Hosen behalten wollen, ist mir schleierhaft. Er kommt mir immer vor wie einer aus der alten Germanenzeit, ich könnt’ ihn mir ganz gut denken mit Sandalen von Baumrinde und mit einem Bärenfell um die Lenden.“

„Er würde jedenfalls gegen diese Art von Garderobe nichts einzuwenden haben,“ sagte Arnold lächelnd. „Er hat immer noch viel zu viel an, findet er. Nun ja, so wie zu Hause auf dem Dorf kann ich ihn hier nicht mehr herumrennen lassen, das ist sicher. Es thut mir leid genug, seine schönen, noch unverdorbnen, klassischen, braungebrannten Füße dauernd in Schuhe stecken zu müssen. Aber sein Kopf und was darin steckt, ist auch was wert und die Geschichte hier an der Schule darf’ ich mir doch nicht für ihn entgehen lassen. Seit die Grete da ist, hat er's ja auch wieder besser. Es war doch eine tolle Sache, Vater und Mutter für den kleinen Schlagetot zu spielen. Ist mir manchmal ganz schwül dabei geworden. Ich kann ja allerlei, aber es giebt doch eine ganz erkleckliche Masse Dinge, zu denen man nur ein Frauenzimmer gebrauchen kann. Wenigstens, was die Kinderpflege angeht. Na, Sie haben ja unsere Wirtschaft dazumal gesehen. Ich atmete auf, als mir die Mutter den Vorschlag mit der Grete machte. Wenn's ihr recht wär, mir könnte es schon gefallen!

Sie hatten jetzt den Nollendorfplatz und die Station der Dampfstraßenbahn erreicht und stiegen schnell in den eben nach Friedenau abfahrenden Wagen, der fast leer war. Hans stand natürlich längst droben und versicherte, daß sie es nur ihm verdanken, noch mitgenommen worden zu fein. Er schleuderte nun seinen Ranzen auf die Bank neben Arnold, mit einem begleitenden Bittblitz aus seinen blauen Augen, und schoß hinaus auf die Plattform zu seinem „Freund“, dem Schaffner.

Günther nahm den Hut ab und trocknete sich die feuchte Stirn.

„Puh! Heiß! Wir sind aber auch gerannt! – Ja, was ich übrigens sagen wollte, Magisterchen das mit Ihrem Buch, das ist famos! Ich freu’ mich wie ein Schneesieder, daß Sie solchen Erfolg damit haben.“

„Freuen sich die Schneesieder so besonders?“ fragte Rettenbacher lächelnd.

„Kolossal, sag’ ich Ihnen. Ich habe zwar noch keinen gesehen, aber man weiß es durch Ueberlieferungen seit mehr als hundert Jahren.“

„O, dann freilich! – Also mein ,Buch’. Ein anspruchsvoller Name für das Schriftchen. Ja, es geht ihm gut. Ich bin selber überrascht. Ich hatte gar nicht gedacht, daß sich so viele Leute für dieses Thema genügend interessierten. Zwar, ob es zunächst irgend einen praktischen Erfolg haben wird, steht noch sehr dahin. Solche an Kopf und Herz gesunde Männer wie unser Direktor sind erbärmlich dünn gesät, wie Sie wissen. Und gerade die braucht man, um mit Neuerungen durchzukommen. Aber wenn auch sein Beispiel die übrigen Herren mit Vorwissen – es ist noch sehr die Frage, ob es gelingt, die maßgebenden Behörden so weit aufzustacheln, daß sie die Sache in Erwägung ziehen. Die Kutsche zuckelt ja so gemütlich in alten, ausgefahrenen Geleisen. Ohne Befehl von oben herab kriegen wir das nicht. Der Einzelne, und wenn er auch der Unsere ist, richtet nichts aus. Um ein einziges Beispiel zu wählen: nur wenn es befohlen würde, daß der Gymnasiast bis zum Abiturium den Ranzen zu tragen habe, könnte man es erreichen, diese Mappen los zu werden, die sie unter den Arm nehmen. Diese ungesunde, und obendrein unbequeme Schlepperei! Gerade in den höheren Klassen, wo sie so viel mehr Bücher brauchen, machen sie es sich so unnötig schwer. Der Ranzen müßte nur, wie noch einiges andere meines Ideals, die vorschriftsmäßige Schultracht sein, dann sollten Sie einmal sehen, wie gemütlich Sekundaner und Primaner damit angegangen kämen. Nur, weil es alle thun –“

„Sehr richtig“, pflichtete Günther eifrig bei. „Hammelherde.“

„Ueberrascht bin ich aber von dem Verständnis, dem ich im Publikum begegne. Ich werde Ihnen nachher ein paar hübsche Briefe zeigen, die ich bekommen habe. Mein Verleger hat sie mir geschickt. Einer von der Mutter meines Leonhardt. Sie wissen, dem ich eine Zeit lang Privatstunden geben mußte, weil er das Bein gebrochen hatte. Sie schreibt, ich hätte ja so recht, und sie würde auch gern all meinen Ratschlägen folgen, aber sie könne nicht gegen den Strom anschwimmen. Bis zur Konfirmation habe sie ihren Jungen im Matrosenanzug und bloßem Hals gehen lassen, dann sei es nicht mehr möglich gewesen. Schon vorher sei er in seiner Klasse immer als ‚verrückt’ aufgefallen; dann aber hätte sie seinen Bitten nachgegeben und ihn gekleidet wie die andern auch. Sie sehen, auch die Vernünftigen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 726. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_726.jpg&oldid=- (Version vom 22.12.2016)