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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

die er entfaltet und vor sich ausgebreitet hatte, als wenn er allein wäre. „Aber der Schinken ist zu salzig,“ fügte er hinzu, ein Stück versuchend. „Ungenießbar. Laß ihn stehen, Mama!“

„Mir kommt er nicht zu salzig vor,“ sagte Frau Wasenius, die nun auch mit ihrer Gabel eins von den schon geschnittenen Stückchen aufpickte.

„Aber er ist zu salzig,“ beharrte Ludwig. „Der Kerl soll kalten Braten bringen.“ Und zwei Finger zwischen die Zähne schiebend, that er schnell einen gellenden Pfiff.

Beide Frauen waren zusammengezuckt. Hanna schüttelte den Kopf mit einem vorwurfsvollen Blick. „Wieder! Ich hatte dich so gebeten, Ludwig, das zu lassen. Hunden pfeift man. Ich konnte ja klingeln.“

Thomas winkte leicht ungeduldig mit der Hand. „Auf kein Signal kommt er so schnell. Das ist die Hauptsache. Bis du da aufstehst! und hingehst! und auf den Knopf drückst! – siehst du wohl, da haben wir das Freundchen schon. – Und zu dem herantretenden Diener sagte er in kurzem, herrischem Ton: „Bei wem ist der Schinken gekauft? Ganz sicher nicht bei Borchardt, wie ich befohlen hatte.“

Der Mann wußte es nicht.

„Sagen Sie der Köchin, daß ich solches Zeug nicht noch ’mal auf dem Tisch haben will. Verstanden? Bringen Sie kalten Braten!“

„Es ist zweierlei da.“

„Also beides. Den sogenannten Schinken nehmen Sie mit.“

„Vielleicht will aber Mutter noch davon,“ wandte Hanna halblaut ein. „Er hat ihr doch geschmeckt.“

„Der Braten wird ihr besser schmecken. Allons! Und morgen früh will ich ein Beefsteak.“

„Sehr wohl.“

„Wie kannst du nur so – so unklug sein,“ sagte Thomas mit verfinstertem Gesicht, nachdem August sich mit dem Schinken entfernt hatte, „und meine Befehle kreuzen in Gegenwart eines Dienstboten. Laß das künftig! Du würdest mich sehr dadurch verbinden.“

Hanna sah ihn fest an. „Am natürlichsten wäre es wohl,“ sagte sie ruhig, „wenn du mich alle diese Essensfragen erledigen ließest. Ich kann nicht behaupten, daß ich die hotelmäßige Art, wie du die Dinge behandelst, sehr anziehend fände. Dies Haus ist doch kein Gasthaus. Es ist dein eigenes Haus. Und ich bin deine Frau. Schon mehrmals habe ich dir das sagen wollen, aber ich dachte immer noch, es würde sich von selber geben. Die Beefsteakbestellung zu morgen früh aber –“

„Die hat dem Faß den Boden ausgeschlagen, was?“ unterbrach er sie mit einem etwas gereizten Lachen. „Liebes Kind, ich bin zu lange Junggeselle geblieben, um mich darin noch groß zu ändern. So wie ich bin, wirst du mich wohl verbrauchen müssen. Wenn die Bande nur pariert!“

„Dann hat es freilich wenig Sinn, daß ich mich mit der Köchin über das Essen berate, dann brauchtest du ja eigentlich nur durch den Diener – oder vielmehr Kellner – zu bestellen, was für ein Diner oder Souper du wünschest, und abgemacht! Eine Frau wäre eigentlich nicht nötig im Haus.“

„Meinst du?“ fragte er und blickte sie lächelnd an.

Sie hatte nur halblaut gesprochen, hatte sich nicht auf ihrem Platz gerührt, nur waren ihre Wangen langsam heiß und rot geworden.

„Wie reizend siehst du aus, wenn du so die Farbe wechselst,“ bemerkte er weiter, ohne den Blick von ihr zu lassen. „Ich sollte dich eigentlich öfters ärgern. Es steht dir famos!“

Schon kam der Diener mit den zwei neuen Schüsseln zurück. Er brachte auch einen Brief für Frau Wasenius, den diese schnell ergriff und öffnete, froh, eine unauffällige Beschäftigung zu haben.

Thomas, offenbar von einem bestimmten Gedanken beherrscht, beugte sich nach Augusts Entfernung etwas vor und verschränkte die Arme auf dem Tischrand. „Reizend“, sagte er noch einmal halblaut, Hanna zunickend. Und dann, in heiteres Lachen ausbrechend. „Na komm her, ich will dir noch ’mal verzeihen.“

Er streckte ihr die Hand hinüber.

Sie rührte sich aber nicht, sie lehnte sich vielmehr zurück die Hände im Schoß gefaltet.

„Was willst du mir denn verzeihen?“ fragte sie kühl.

Er lachte, sprang auf und kam um den Tisch herum zu ihr. Sie machte eine schwache, unwillkürliche Fluchtbewegung.

„Duckst dich, wie der Hase in der Ackerfurche,“ sagte er lustig. „Nützt dir aber nichts. Komm!“

Er faßte sie mit beiden Händen und zog sie vom Stuhl auf in seine Arme, drückte sie an sich, bog ihr den Kopf zurück und küßte sie auf die kleine weiße Kehle.

„Bitte –“, sagte sie ängstlich und strebte sich zu befreien.

„Nichts bitte,“ erwiderte er, umschlang sie fester und bedeckte nun auch ihr Gesicht mit heißen, leidenschaftlichen Küssen. „Ich werd’ dir sagen,“ murmelte er, „was ich dir verzeihen will: daß du mich verrückt gemacht hast!“

Sie machte sich nun fast heftig los, über und über glühend rot. „Du vergißest dein Frühstück,“ sagte sie etwas heiser. „Darf ich dir noch einmal einschenken?“

Er kehrte langsam zu seinem Platz zurück. „Ja, ich vergesse alles über meinem entzückenden Hauskreuz. Essen und Trinken! Gieb mir noch eine Tasse! Gestattest du, Mama, daß ich dir eine Scheibe Roastbeef abschneide? oder willst du von dem Kalbsfricandeau?“

„Danke,“ sagte Frau Wasenius freundlich. „Ich bin satt. Ich war mit dem Schinken auf meinem Brötchen ganz zufrieden.“

„Reize den schlafenden Löwen nicht, Mama,“ warnte er lachend. „Erinnere mich nicht an den versalznen Schinken, sonst verderbe ich es noch einmal mit meiner gestrengen Ehehälfte. Sieh nur, wie sie dasitzt, ganz geknickt über ihren brutalen Mann. ,Ach, ich hab’ – dich ja nur – auf dein Hälschen geküßt!' Hat’s denn so weh gethan? Was hast du gedacht, als ich dich heiratete? Hast du gedacht, ich würde dich platonisch verehren wie ein Heiligenbild? Kleines Schaf du. – Das Roastbeef ist gut. Iß doch was davon! Nicht? – Du hast ein empfindliches Töchterchen, Mama. Erst will ihr das Herz brechen, weil ich dem August gepfiffen habe, dann fühlt sie sich in ihrer Hausfrauenwürde verletzt und schließlich nimmt sie’s übel, wenn ich sie küsse.

Es klang ein Unterton von Verdruß in seiner fidel sein sollenden Rede mit. Frau Wasenius sandte einen schnellen, warnenden Blick zu Hanna hin und sagte dann, wieder zu Thomas gewendet, schüchtern und sehr sanft:

„Lieber Ludwig, es will alles erst gelernt sein. Auch das Geliebtwerden. Auch die Hausfrauenwürde. Wenn sie sich nun gern ein bißchen fühlen möchte. Sie hat sich eben dumm benommen, aber das ist ein Fehler, den sie ablegen wird, hoff’ ich. Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen. Auch noch keine vollendete Ehefrau. Ich glaube, sie sieht schon ein, daß man liebenswürdiger hätte sein können, als sie gewesen ist.

Hanna, den Blick der Mutter verstehend, hatte sich sofort beisammen. Mit einer sehr liebreizenden Gebärde streckte sie ihre Hand, zwischen Tassen, Brotkörbchen und Blumenvase durchkriechend, ihrem Mann über den Tisch entgegen. Er betrachtete einen Augenblick mit sachlichem Ernst die feinen Finger, und zur Mutter gewendet, ohne die Miene zu verziehen sagte er. „Jetzt will sie mir wieder verzeihen.“

„Es scheint so,“ erwiderte diese mit begütigendem Lächeln.

Ludwig wiegte nachdenklich den Kopf erfaßte dann vorsichtig die Spitze des kleinsten Fingers und schüttelte ihn ein wenig.

„Hoffentlich habe ich mich jetzt decent genug benommen,“ erkundigte er sich trocken, immer noch, ohne Hanna anzusehen.

„Musterhaft,“ gab Frau Wasenius zu, ein leises nervöses Zucken der Augenbrauen bekämpfend.

„Nun, dann sind wir ja quitt,“ sagte er. Und als die kleine Hand mutig und ergeben zugleich immer noch ausharrte, beugte er sich etwas vor und blies nach ihr, als wenn er sie verscheuchen wollte.

Auf dieses „Signal“ zog sie sich nun freilich sofort zurück.

Er lachte laut auf aus Vergnügen über seinen gelungenen Spaß.

„Wütend?“ fragte er lustig. Offenbar gefiel ihm wieder ihr gekränktes Gesicht.

„Nein,“ sagte sie schnell gefaßt. „Aber verblüfft bin ich über deine Unliebenswürdigkeit.“

„Potz Donner!“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 615. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_615.jpg&oldid=- (Version vom 22.12.2016)