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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Thomas hielt inne. „Erraten Sie’s nicht?“ fragte er mit einem aufgeregten Lächeln.

Sie schüttelte nur mit dem Kopf.

„Herrgott, na – Sie sind aber auch – das Mittel heißt, daß Sie meine Frau werden!“ stieß er heraus.

Hanna erschrak nun doch entsetzlich. In den taumelnden, suchenden Gedanken dieser letzten Tage waren diese Worte aufgetaucht, aber vor ihrem heftigen abwehrenden Kopfschütteln wieder verschwunden. Nun trafen sie sie wie ein Schlag auf den Kopf. Sie wich mehrere Schritte zurück, bis zum Sofatisch, an den sie sich lehnte.

Er sah ihr nach, es schoß eine Röte in sein dunkles Gesicht.

„Donnerwetter,“ sagte er halblaut, „das sieht ja ermutigend aus! Sie scheinen ja mächtige Sympathien für mich zu haben! Darauf war ich denn doch nicht vorbereitet!“

Hanna faßte sich mühsam.

„Verzeihen Sie mir,“ sagte sie mit noch tonloser Stimme. Das Herzklopfen, das sie förmlich erschütterte, nahm ihr den Atem weg. „Ich wollte Sie nicht kränken. Ich bin nur – ich habe nur – hieran noch nie gedacht.“

Er näherte sich ihr langsam, fing auch wieder an zu lächeln.

„Aus welchem Grunde haben Sie Gotteslamm denn geglaubt, daß ich immer wieder hierher kam?“

„Ich habe über Gründe wirklich nicht viel gegrübelt. Ich hatte an so Wichtiges, so Schlimmes zu denken. Ich hielt Sie einfach für sehr wohlwollend, für sehr gutmütig.“

„Bin ich auch. Wenigstens, wen ich gern hab’, der kann mich um den Finger wickeln. Aber deswegen – na wissen Sie!“

Er stand jetzt dicht vor ihr.

„Fräulein Hanna,“ sagte er etwas gedämpfter „ich bin ja schmachvoll in Sie verliebt! Das ist die Sache! Ich halt’s ohne Sie nicht mehr aus. Sie müssen meine Frau werden, da hilft gar nichts.“

Er griff nach ihrer Hand, sie stemmte sie aber fest auf den Tischrand.

„Bitte – nicht –“ sagte sie fast laut, ängstlich. „Ich fürchte mich!“

„Vor was denn? Vor mir? Bin ich Ihnen denn wahrhaftig so ein Greuel?“

„Nein,“ sagte sie verlegen. „Was reden Sie! Ich schätze Sie sehr. Aber –“

„Na also! Eklig bin ich Ihnen nicht? Das ist die Hauptsache. Alles andere findet sich, wenn Sie erst meine Frau sind. Denn das ist beschlossene Sache. Da beißt keine Maus den Faden ab. Geben Sie mir nur die kleine Patsche!“

Aber Hanna schüttelte nur immerfort den Kopf.

„Bitte, bitte,“ sagte sie flehend. „Sprechen Sie nicht so! Lassen Sie alles, wie es war. Ich kann das nicht.“

„Warum?“ fragte er schroff.

„Ich habe wirklich noch niemals an heiraten gedacht,“ entgegnete sie angstvoll. „Ich möchte auch nicht – ich habe Sie dazu wohl nicht lieb genug.“ – Und dann schnell, um abzubrechen: „Ich möchte nun zu meiner Mutter gehen. Sie weiß gar nicht, wo ich bleibe.“

„Halten Sie ’mal,“ wehrte er. „So schnell ist das doch nicht abzumachen. Sie fegen mich ja förmlich zur Thüre hinaus. Ihre Mutter! Gerade von der wollen wir jetzt reden. Was sagten Sie neulich? Könnt’ ich ihr helfen – meine Seele würd’ ich dem Teufel verschreiben dafür! Das klingt nach was. Das klingt nach Charakter. Ich hab’ Sie nicht im Verdacht, daß Sie Redensarten machen. Also: dem Teufel Ihre Seele! Das heißt, Sie würden wer weiß was thun, um ihr das Leben zu erleichtern, sie von Sorgen zu befreien. Nicht wahr? Na also! Sie haben sich ja auch für Ihr Teil so redlich abgequält, daß es einem das Herz im Leibe umwenden konnte. Aber dennoch – rundum, wohin Sie auch sehen – keine Hilfe! Sie gehen mit der kranken Frau einer verflucht unsichern Zukunft entgegen. Bloß eine Ritze thut sich auf und an der steht dieser arme Teufel hier, dieser Satan mit dem wohlklingenden Namen Ludwig Thomas, und sagt nach berühmtem Muster: Dies alles will ich dir geben, wenn du niederknieest und mich anbetest. Das heißt knieen und beten wär nicht nötig, verstehen Sie. Vielmehr zu neudeutsch. Alles, was ich habe – und es ist ’ne ganz anständige Masse – leg’ ich dir zu Füßen, wenn du meine Frau werden willst. Du wirst ein feines, behagliches Leben haben! Keine Geldsorgen mehr, höchstens die Sorge wohin mit dem Mammon? Du kannst deine Mutter von aller Angst und Not befreien, kannst sie mit dir nehmen – denn das verstünde sich von selbst, sie wohnte bei uns! – kannst sie nach allen Regeln der Kunst pflegen, kannst ihr hundertfünfzig Aerzte kommen lassen, kannst sie in heilsame Bäder bringen und so weiter, und so weiter! Ein ganz nettes Programm, was? Ein Pakt, sollt’ ich denken, ein Teufelspakt, über den sich reden ließe. Auf der einen Seite alles, was gut und schön und teuer ist, auf der anderen Seite nur ein bißchen Liebe. Thut Ihnen denn der arme Satan nicht leid, der sich an Ihren himmlischen Augen die Flügel verbrannt hat? Er hat doch Flügel? Jawohl, schwarze. Und wird Ihnen denn das Herz nicht warm bei dem Gedanken an die arme Mutter? – Na ja. Nun weint sie. Da haben wir den Salat. Ist das nun ein gutes Zeichen, oder ein schlimmes? Fräulein Hanna! Hannichen!“

Ja, sie weinte. Beide Hände vors Gesicht gedrückt, weinte sie still und bitterlich.

Er ließ sie eine Weile gewähren. Er betrachtete sie erwartungsvoll, rot im Gesicht, sehr verliebt.

„Na?“ sagte er endlich halblaut, zärtlich. „Wie ist das nun? Darf ich zu Ihrer Mutter hineingehen und fragen?

Hanna trocknete hastig ihre Augen.

„Bitte, jetzt nicht,“ bat sie heiser, mit noch erstickter Stimme. „Heute nicht. Sie verträgt keine Aufregung. Man muß alles langsam thun.“ Sie schluckte einmal mühsam. „Ich will’s ihr sagen,“ fuhr sie dann fort, „und wenn es ihr recht ist …. ich will Ihnen morgen Antwort geben.“

„– – Na gut“, sagte er nach einem kurzen Zögern „Das mit der Mutter, das begreif’ ich. Ihr mit der Thür ins Haus zu fallen, möcht’ ihr am Ende schaden. Also morgen krieg’ ich Bescheid. Günstigen?“

„Bitte, fragen Sie jetzt nichts mehr,“ sagte sie so flehentlich, daß es ihn rührte.

„Herrgott nein, ich bin ja kein Unmensch. Ich liebe Sie nur so sehr. Sagen Sie mir bloß eins, aber ehrlich! – Na ja anders reden Sie überhaupt nicht, ich weiß. Also sagen Sie, wenn es ein Ja ist – ist es dann so eins, bei dem Ihnen graut? Das möcht’ ich mir nämlich verbeten haben. Auf Opferlämmer steht mein Geschmack nicht.“

Sie schüttelte den Kopf. Es wurde ihr offenbar immer schwerer zu sprechen. „Ich habe Ihnen ja gesagt,“ brachte sie noch heraus, „daß ich Sie sehr schätze. Und ich bin Ihnen dankbar.“

„Schön! Ist zwar eine etwas plemprige Sache gegen den Feuerbrand, der in meinem Busen wütet. Aber – kommt Zeit, kommt Rat! Also denn – morgen. Sie schreiben mir eine Zeile. Ich komme dann sofort.“ – Und nach einer beklommenen Pause, als hätte er noch auf etwas gewartet. „Ich gehe ja schon. Nur die Hand noch. Und die andere.“ Er küßte beide mehrmals, heftig.

„Ich verbrenne vor Ungeduld!“ rief er noch unter der Thür, sich zurückwendend. Dann ging er endlich.

10.

„Ich rede dir gewiß nicht zu, mein Kind.“

„Nein, Mutterchen, ich weiß.“

Nein, sie redete ihr nicht zu. Sie würde sich ein Gewissen daraus machen, ihr auch nur mit einem Wort zuzureden.

Aber konnte sie es verhindern, daß der Gedanke an die Hoffnung auf Befreiung aus Not und Sorgen sie plötzlich aufleben ließ? Daß es bei Hannas erster Mitteilung wie eine Art von Schwindel über sie gekommen war? Ein Schwindel der Freude, der ihr die Augen umnebelte, ihr das dumpf schlagende Herz zusammendrückte, bis sie atemlos wurde und erst in einem Thränenstrom Erleichterung fand?

„Es wäre wohl schön, Mutter? – Du wärest froh, Mutter?“

„Ja, Kind, o ja! Aber auf mich höre nur nicht!“ Und nun saß sie aufgerichtet da, Glanz in den letzthin so matt gewordenen Augen, die erst noch schlaff ruhenden Hände ineinander gefaltet, und machte halblaut Pläne, wie es sein würde, wenn – –

Nein, sie redete ihr nicht zu. Aber das ganze arme Geschöpf war nur ein fieberhafter, atemloser Ruf: Thu es!

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