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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

die oben erwähnten Merkmale tragen, nur im aralokaspischen Gebiet, also in Turan, dem nördlichsten Persien und in den Kirgisensteppen leben. Im mittleren und südlichen Persien tritt der Löwe an die Stelle des Tigers, und diese Nachbarschaft spricht sich schon in der äußeren Erscheinung des Turan-Tigers aus. Löwe und Tiger sind nach meiner Ansicht geographische Abarten einer und derselben Tierform, wofür ja auch die tatsächlich wiederholt beobachtete fruchtbare Vermischung beider spricht.

Unten auf dem Bilde ist das zweite Paar der frisch importierten Tiger dargestellt, ebenfalls eine sehr interessante Form, die noch niemals im westlichen Europa gezeigt worden ist. Sie sind mit ihren dicken Köpfen und kurzen dicken Beinen die plumpsten und massigsten unter ihren Genossen. Dieser Eindruck wird noch vermehrt durch die ihnen eigentümliche Wamme am Halse und Unterleib und durch den außerordentlich dichten und weichen Pelz, der namentlich den Schwanz sehr dick erscheinen läßt. Die Färbung der sehr phlegmatischen Gesellen ist ockergelb mit einem Stich ins Graue, das Weibchen, welches liegend dargestellt ist, erscheint etwas zierlicher als das Männchen. Die Querstreifen sind bei dieser Form nicht schwarz, sondern braun, und in der Zahl und Breite stehen sie in der Mitte zwischen denen beim Insel- und Königs-Tiger. Wie mir Herr Hagenbeck freundlichst mitteilte, hat er die Tiger von einem russischen Händler erhalten, sie sind über Land von Ostsibirien gekommen. Mit seiner Angabe stimmen die Ergebnisse meiner Untersuchungen sehr gut überein, und ich glaube, daß diese Tiger im Amurgebiet heimisch sind.

Die in der Mitte des Bildes dargestellten Tiger, der Bengale laufend, der Sumatraner liegend, beides Männchen, sind allen Besuchern zoologischer Gärten so wohl bekannt, daß ich mir eine genaue Beschreibung derselben wohl erlassen darf. Beide sind direkte Gegensätze, soweit es die gleiche Art zuläßt; der Bengale, seiner Zeit von Herrn Schönlank geschenkt, ist ein wunderbar schönes Exemplar von ebenso imposanten wie harmonischen Formen und herrlichem Sammetfell, dabei freundlich und harmlos, soweit dieses einem Tiger möglich ist. Der Sumatraner dagegen ist, wie Heck in dem „Hausschatz des Wissens“ ebenso schön wie richtig sagt, ein unversöhnlich böser, aber herrlich charaktervoller Satan. Er hat meiner Frau fast mehr Schwierigkeit als Modell gemacht als alle übrigen zusammengenommen.

Von anderen Formen des Tigers sind mir außer den vier oben erwähnten noch folgende bekannt. In Hamburg und London sah ich Exemplare, welche über Wladiwostok importiert waren. Dieselben sind langhaarig, dickschwänzig und gewaltig groß, haben ungefähr die Gestalt des Bengalen-Tigers, sind sehr blaßgelb und die Streifung ist wenig scharf begrenzt und weit. Ich halte diese Tiger für die Abart, welche für das Hoanghogebiet charakteristisch ist. Der Yantse-Kiang-Tiger, den ich in Paris sah, ist sehr rot, ebenso groß wie der Königs-Tiger, aber viel enger gestreift. Der Java-Tiger ist dem Sumatra-Tiger ähnlich, aber kleiner und unten hellgelb. Sehr eigentümlich war ein kleiner, zierlicher Tiger, der als Diminutivausgabe des Hoangho-Tigers angesehen werden könnte. Ihn sah ich bei Hagenbeck; diese Abart soll von Korea stammen. Ich glaube aber aus zoogeographischen Gründen, daß auf Korea der große Hoangho-Tiger lebt und daß die Zwergform ihr Vaterland in dem abflußlosen Mittelasien zwischen Altai und dem Tarimbecken hat. P. Matschie.     

Am Ausguck.
Nach einer Originalzeichnung von H. Kaulbach.

Der Ehevertrag. (Zu dem Bilde S. 432 und 433.) Der bekannte spanische Maler Viniegra y Lasso führt uns in dem Bilde die Schließung eines Ehevertages in der Sakristei vor. Das Bräutchen ist ein allerliebstes Exemplar jener fächerschlagenden Pepitas oder Lolas, wie man ihnen in den Delicias, den prachtvollen Promenaden von Sevilla, begegnet. Ob dem ehrenwerten Sevillaner aber zu ihrem Besitz zu gratulieren war? Hier macht’s den Eindruck, als sei er etwas verwirrt; – beinahe hätte er seinen Namen an die unrechte Stelle gesetzt, wenn der Herr Pfarrer ihn nicht zurückgehalten und ihm die richtige gewiesen hätte. Pepita hat’s bemerkt – sie ist so leicht nicht aus dem Konzept gebracht. „Der gute Junge – ich werd’ ihn mir erziehen müssen,“ scheint der spöttische Zug um den Mund zu sagen, während sie langsam den Fächer hin und her bewegt. Sie hat dabei nicht vergessen, daß der Saum ihres Brautkleids auf den Kirchenfliesen leiden könnte, und weiß genau, wie sie die Schleppe aufzuheben hat, um ihre kleine Hand aufs vorteilhafteste zu zeigen. In holder Unbefangenheit beobachtet dagegen ihre jüngere Schwester den Vorgang am Tisch – lange wird’s nicht währen, da nimmt sie wohl selbst den Platz der Braut dort ein. In ernstes Erinnern an die Vergangenheit scheint die Mutter versenkt, die Hände im Schoß gefaltet, während der Trauzeuge ihr zur Seite mit gespannter Aufmerksamkeit auf das Wort des Pfarrers wartet, das auch ihn zum Eintragen ins Kirchenbuch rufen wird. Träge auf ihrem Stuhl dahingegossen, die kleinen Füße im Absatzschuh nachlässig vorgestreckt, ruht rechts von der Mutter eine anmutige Frau, die sicher unlängst erst den Bund fürs Leben schloß. Neben dem Prosit der Schwester hebt sich in wirksamem Kontrast der schöne Kopf einer nicht mehr ganz jungen Brünetten in schwarzer Mantille ab. Sie kennt die Welt und lächelt eben über die naive Frage, die eine reich geschmückte junge Anverwandte ihr zuflüstert. Mit schlauer Verständigkeit schaut der Letzte der Gruppe – ein echter Andalusier – über die andern hinweg nach der Hauptperson. Gil aber, der Kirchendiener, ist einer Scene gegenüber, die sich so oft vor ihm erneuert, völlig teilnahmlos und nur bemüht, seine Hände über dem letzten Rest der Kohlen des Braseros zu erwärmen. Große Sorgfalt hat der Maler auf den Raum verwendet, in dem die Scene sich abspielt. Man könnte meinen, er habe seine Studien in der Sakristei des Sevillaner Domes selbst gemacht. Schade nur, daß man durch das Gitter nicht gleich in diese herrlichste aller spanischen Kirchen eintreten kann! C. B.     

Die Fabrikschornsteine und der Wind. Es dürfte den wenigsten Lesern bekannt sein, daß die hohen Schornsteine der Hüttenwerke und Fabriken sich bei starkem Winde genau so verhalten wie ein Baum oder Rohr. Trotz ihrer vorzüglichen Materialien, ihrer sorgfältigen Bauweise und einer Stärke, die mitunter 3 bis 5 m erreicht oder übersteigt, bilden diese bisweilen kirchturmhohen Obelisken der Industrie im Sturm keine starren Körper, sondern elastische, pendelnde Säulen. Die 140 m hohe Halsbrückener Esse bei Freiberg i. S. schwankte, durch einen Theodolithen beobachtet, bei einem Sturm von 16 m Geschwindigkeit in der Sekunde mit der Spitze um 5 bis 10 cm hin und her, wobei die Mündung regelmäßige Ellipsen um ihre Axe beschrieb. Und doch ist diese Windstärke, die auf den Quadratmeter Fläche einen Druck von 31 kg ausübt, keineswegs ungewöhnlich groß. In den Niederlanden sind Winddrucke bis 150, in Paris 173, in Wien 190 kg beobachtet worden. An umgestürzten Schornsteinen hat Hänisch berechnet, daß einzelne Windstöße bis zu 200 kg Druck entwickeln können, und Eisenbahnbeobachtungen haben ähnliche Ziffern geliefert. Solchen Wirkungen vermag natürlich nur ein mit guter Berechnung gebauter Schornstein Trotz zu bieten, und da mit Beginn der neueren Industrieepoche, als man noch keine Ahnung von den wirklich vorkommenden Winddrucken hatte, die Schlote ohne weiteres nach alten Bauregeln aufgeführt wurden, mußte notwendig einmal eine aufklärende Katastrophe erfolgen. So warf denn ein starker Orkan, der am 12. März 1876 über die rheinische Industriegegend hinfuhr, mit einem Schlage 90 große Fabrikschornsteine um. Infolge dessen forderte man laut eine polizeiliche Ueberwachung der Stabilität der Schornsteine, und als 1879 durch den schrecklichen Einsturz der Taybrücke die Gewalt des Sturmes noch einmal auf unwiderlegliche Weise klargemacht wurde, erfolgte im Bau der Schornsteine ein wesentlicher Umschwung. Die Technik ist so weit fortgeschritten, daß heute selbst sehr hohe Schornsteine gegen einen Winddruck von 300 kg gesichert werden können. Bw.     


Kleiner Briefkasten.

Frau E. M. in Berlin.Die Hexe von Glaustädt“ ist derselbe Roman Ernst Ecksteins, den unsere Ankündigung des laufenden Jahrgangs unter dem Titel „Hildegard“ angezeigt hat. Die Titeländerung erschien uns ratsam, weil inzwischen ein anderer Autor einen Roman mit dem Namen „Hildegard“ im Titel erscheinen ließ. – Mit der Veröffentlichung eines weiteren größeren Romans – „Einsam“ von O. Verbeck –, dessen fesselnder Stoff dem Leben der Gegenwart angehört, werden wir bereits in wenigen Wochen beginnen. In diesem Roman wendet sich ein hervorragendes jüngeres Talent von feinfühliger Beobachtungsgabe und ergreifenderr Darstellungskraft zum erstenmal an den Leserkreis der „Gartenlaube“.


Inhalt: [ Inhalt der Wochen-Nr. 26/1897 ]



Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner in Stuttgart. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig.
Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 448. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_448.jpg&oldid=- (Version vom 4.7.2023)