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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

nähert sich mit jedem Blasen und Grugeln, Schritt um Schritt – und bald wird es Zeit sein, die Büchse zu heben.

Da saust es wieder in der Luft und jählings, ohne daß der Jäger ihn kommen sah, steht ein zweiter Hahn auf dem Schnee. Einige Sekunden betrachten sich die beiden Rivalen so erstaunt, als hätte noch keiner von ihnen seinesgleichen gesehen. Dann aber heben sie ein Blasen und Springen an, ein Tanzen und Gaukeln, immer heißer und erregter – und plötzlich fahren sie mit gesträubtem Gefieder aufeinander los. Ein Kampf beginnt, daß die Federn umherfliegen. In der Hitze des Gefechtes überkollern sich die beiden Streiter und springen wieder auf, Flügelschläge und Schnabelhiebe werden ausgeteilt, sie schnellen sich Brust an Brust in die Hohe wie ein einziger Knäuel, der Stärkere bekommt seinen Gegner mit dem Schnabel zu fassen, zerrt ihn im Kreis und drückt ihn nieder auf den Schnee – und das ist ein so ergötzlicher Anblick, daß der Jäger völlig seiner Büchse vergißt. Kommt es ihm endlich zum Bewußtsein, daß sich hier mit einem Schuße zwei Hähne erbeuten ließen – so ist es bereits zu spät! Der schwächere Hahn ist abgekämpft und hat mit sausendem Flug das Weite und seine Rettung gesucht.

Stolz und befriedigt puddelt der Platzhahn das zerzauste Gefieder; nun beginnt mit langgestrecktem Hals eine Siegeshymne zu blasen. Da hört er Antwort und äugt betroffen umher. Ist der Besiegte zurückgekehrt, um einen neuen Kampf zu versuchen?

„Dschju – huischschd!“ So zischt es aus dem Versteck des Jägers, welcher, das Blasen des schwächeren Hahnes nachahmend, den vom Gefecht noch erregten Sieger in neue Hitze bringen und näher locken will.

„Dschju – huischschd!“ Laut blasend springt der getäuschte Hahn hochauf, und, getrieben von Siegeszorn und Eifersucht, flattert er gleich um ein Dutzend Schritte näher. Da kracht der Schuß – und während das Echo hinrollt über die vom ersten Sonnenstrahl vergoldeten Ferner, hebt auf gerötetem Schnee der verstummte Sänger noch ein letztes Mal die Schwingen: Sie sind gebrochen und tragen ihn nicht mehr! –

Doch nicht immer liegt der Hahn, wenn der Schuß gefallen – und streicht er mit dem Aufgebot seiner letzten Kräfte krank davon, so ist er gewöhnlich verloren und deckt für Fuchs und Marder die Tafel. Auch gelingt es dem Jäger nicht immer, den Balzplatz so glücklich zu erraten wie es hier geschildert wurde. Der lebhafte Spielhahn hat unstetes Blut in seinen Adern, und wenn er auch zu Beginn seiner Sangeszeit den einmal gewählten Balzplatz leidlich einhält, so wird er doch unpünktlicher mit jedem neuen Morgen. Und diese „leichtsinnige Schlamperei“ kostet den Jäger so manch’ einen nutzlosen Anstieg durch Schnee und Latschen. So erinnere ich mich eines alten Hahnes, der vor Jahren auf einem steilen Latschengrat des Kleinen Watzmann balzte. Es war ein Prachtkerl von seltener Größe und Schönheit, dessen weitausgelegte „Schaar“, als ich sie erst einmal durch das Glas gesehen hatte, mich ganz versessen machte auf ihren Gewinn. Den Hahn, den mußte ich haben! Doch saß ich hoch oben auf dem Grat, wo der Hahn am verstrichenen Morgen gesungen hatte, so balzte er ein paar hundert Schritte tiefer, ohne sich „anblasen“ und locken zu lassen – und saß ich am nächsten Morgen unten, so sang er droben. Siebzehnmal, einen Tag um den anderen, bin ich ihm zuliebe gegangen. Bekommen hab’ ich ihn nicht – statt des Hahnes aber bekam ich ein „Reißen“, das bis in den heißen Sommer hinein nicht mehr aus meinen Knochen weichen wollte.

Hat man den Balzplatz nicht auf Schußweite erraten so bietet ein Versuch, den rodelnden Spielhahn anzupirschen, nur schwache Hoffnung auf Erfolg. Der kleine Hahn ist auch im tollsten Liebesreigen noch vorsichtig und aufmerksam – „wie der Haftlmacher“, sagt ein Volkswort – und balzt zumeist auf kahlem Schneefleck, der dem anschleichenden Jäger nicht die geringste Deckung bietet. Sind aber einzelne Deckungen vorhanden, so ist das Schleichen durch die wirr verwachsenen Latschenbüsche, das „Bauchschlangeln“ durch den aufgeweichten Maienschnee und das lautlose Kriechen über Geröll und kleine, überhängende Wände gar „a hoaklige Sach“, die ihr Nisi – ihr „Wenn und aber“ hat! Eher noch gelingt es bei der „Sonnenbalze“, einen Hahn, der den Balzplatz schon verlassen hat und lustig im Wipfel einer Zirbel rodelt, bis auf einen ungewissen Kugelschuß anzupirschen. Da wird dann lang und haargenau gezielt. Der Schuß kracht, der Spielhahn purzelt, hoch, während der Jäger jauchzend sein Hütlein schwingt, breitet der Hahn mitten im Sturz die Flügel und segelt flink und gesund davon – auf Nimmerwiedersehen – die zu kurz gegangene Kugel hat den Wipfelzweig getroffen und der so jählings seines gemütlichen Sitzes beraubte Hahn hat nur für einen Augenblick das Gleichgewicht verloren. Unter der Zirbe findet der Jäger den abgeschossenen Zweig, betrachtet ihn kopfschüttelnd und brummt mit langem Gesicht. „Auf dem is er g’sessen, ja!“

Leichter als in den Bergen macht sich die Pirsche auf den balzenden Spielhahn im Mittelgebirge und in der Ebene. Natürlich denk’ ich dabei nicht an das Moos und Moorlaub, dessen Tümpel, Pfützen und Schlammbecken dem Jäger die Pirsche ebenso gründlich verleiden wie die Latschen und Wände im Hochgebirge. Aber in Birkenschlägen mit trockenem Boden oder in reich mit kleinen Flößen durchsetzten Föhrenbeständen ist die Pirsche auf den rodelnden Spielhahn manchmal eine nicht allzu schwere Mühe – doch nicht, weil der Hahn der Ebene etwa weniger scheu und vorsichtig oder mit minder scharfen Organen ausgestattet wäre als der Berghahn, sondern nur, weil die Pirsche eben durch das minder beschwerliche Terrain erleichtert wird und weil in der Ebene ein Waldgebiet vom Umkreis einer Stunde oft reicher mit balzenden Hähnen besetzt ist als ein zehn Meilen langer Bergzug im Hochgebirge.

Ich hatte an der böhmischen Grenze durch einige Jahre ein Hahnenrevier in Pacht, wo in dem verwahrlosten Kiefernwald einer einzigen Gemeinde zur guten Balzzeit gegen zweihundert Hähne sangen. Da saß ich eines schönen Aprilmorgens schon eine Stunde vor Anbruch der Dämmerung in dem auf freiem Felde errichteten Schirm. Von all den zerstreuten Feldgehölzen kamen die Hähne herbeigestrichen und begannen, noch in halber Finsternis, rings um den Schirm her ihren fröhlichen Balzgesang. Ehe der Tag noch recht zu grauen anfing, konnte ich nach dem Gehör etwa fünfzehn balzende Hähne zählen. Doch immer neue Sänger versammelte sich auf dem Balzplatz, und schließlich tönte um den Schirm her ein so wirres Konzert von Blasen und Gerodel, daß ich nicht mehr wußte, wohin ich horchen sollte. Zuerst, als es zu dämmern begann, konnte ich durch den Ausguck meines Schirmes nur ein undeutliches Durcheinanderhuschen grauer und schwarzer Schatten gewahren. Doch als es heller wurde – welch’ ein prächtiger Anblick war das! In Schußnähe vor mir, auf einem kaum zwanzig Schritte breiten Acker, zählte ich siebzehn Hähne, ungerechnet die Jungen welche hinter meinem Rücken ihre munteren Spektakel trieben. Die einen balzten phlegmatisch und unter gemütlichem Schreiten, andere wieder kollerten wie toll, rauften und sprangen meterhoch von den Schollen auf – es war ein so lustiges Schauspiel, daß ich mit dem Schuß von Minute zu Minute zögerte. Während des Balzens rückte die ganze Gesellschaft immer näher gegen den Schirm – und plötzlich stand ein Hahn, der von der Seite gekommen, dicht vor meinen Füßen. Ich muß wohl bei seinem Anblick eine unvorsichtige Bewegung gemacht haben, denn mit zischendem Laut streckte er den Kragen und äugte starr in das Gezweig des Schirmes, im gleichen Augenblick verstummten all die anderen Hähne und standen regungslos, überall sah ich hochgestreckte Köpfe mit rotflammenden „Rosen“ über den kleinen, funkelnden Augen – und ich selbst war durch die Erstarrung, welche die Sängerschar befallen hatte, einige Sekunden wie hypnotisiert. Als ich endlich, tief aufatmend, einen Versuch machte, das Gewehr zu heben, kam plötzlich Leben in diese Versteinerung, mit Rauschen und Sausen stoben alle Hähne auf einen Schlag davon, und lautloses Schweigen lag um den verödeten Schirm her. Aber diese Stille währte nicht lange. Schon nach wenigen Minuten kam wieder ein Hahn dem Balzplatz zugestrichen um diesen Fürwitz mit dem Leben zu büßen, und ein Viertelstündlein später leisteten ihm zwei Kameraden Gesellschaft bei seinem stillen, schmerzlosen Schuß. Dann ging er einem nahen Gehölze zu, wo mich der Jäger erwartete, und nun begann die Pirsche im Wald, auf dessen Blößen die zerstreuten Hähne ihren Huldinnen das Morgenständchen sangen. Nach einer Stunde hatte ich zwei weitere Hähne erbeutet und drei Fehlpirschen gemacht.

Gegen acht Uhr, als es im Walde still geworden war und die Sonne über die Wipfel stieg, kehrten wir auf die Felder

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verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 399. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_399.jpg&oldid=- (Version vom 28.11.2016)