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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

glätten konnte. So aber! In seinem elenden Zustande! Ein armer Schwindsüchtiger! Warum sollte er nicht ein Geschöpf in der Nähe haben, das sich um ihn bekümmerte, an dem er obendrein ein gutes Werk that?

„Sehen Sie, liebe Hedwig,“ sagte er. „Ich kann nur wiederholen: wir helfen uns gegenseitig. Ich bin ja auch allein.“

Sie war nun etwas zutraulicher geworden und schaute mit einem treuherzigen Blick zu ihm auf.

„Nicht wahr, wenn ich anfangs etwas ungeschickt bin und mich nicht gleich in dem neuen Leben zurechtfinde, dann sind Sie mir nicht böse?“ bat sie. „Ich lasse mir ja gern alles sagen. Manchmal packt mich eine namenlose Angst, daß ich so gar nichts von der Welt weiß – und wahrhaftig, ich kann es Ihnen nie, nie vergelten, daß Sie Mitleid mit mir haben und mir so viel Vertrauen schenken.“

Er war von dem vielen Sprechen, von der seltsamen Unterredung doch recht angegriffen und lehnte sich in seinen Stuhl zurück. – Sie sah sofort, daß er müde war, und erhob sich rasch. Aber es schien sie zu betrüben, daß Wochen vergehen müßten, bis sie ihr Amt antreten konnte, und so fragte sie bittend, ob sie schon jetzt manchmal kommen dürfe,um ihm vorzulesen. Ihrem armen Papa, der so wenig schlafen konnte, habe sie oft halbe Nächte lang vorgelesen.

„Ich hoffe, ich werde niemals ein so großer Egoist werden wie ihr Vater!“ dachte Forstner. Laut sagte er, indem er das Mädchen an die Thür begleitete:

„Kommen Sie nur recht oft, ich bitte Sie herzlich darum, liebe Hedwig.“

Die Haushälterin, die neugierig an ihrer Küchenthür gehorcht hatte, drückte an diesem Tage durch einen erhöhten Spektakel mit ihren Tellern und Schüsseln, durch polternde Schritte ihre höchste Mißbilligung aus! Forstner mußte sich mit einem Seufzer fügen, daß er das Ende dieses Regiments wahrhaftig ersehne. Allerdings, es stimmte ihn, wehmütig, als er nun die erforderlichen Papiere mit seiner Heiratsanmeldung dem Standesamte einschickte. Warum hatte er nicht in früheren Jahren eine Frau genommen? Warum sein Leben vorübergleiten lassen ohne Liebe, ohne Glück? Es war doch recht traurig, den gefürchteten Schritt jetzt erst zu thun, nur um beim Sterben eine Gefährtin zu haben!

An die Redaktionen der Münchener Tagesblätter schrieb er einen höflichen Brief und bat, in dem Lokalanzeiger seine bevorstehende Verheiratung nicht zu erwähnen. Glückwünsche hätten ihm wie Hohn klingen müssen! Nur einigen wenigen Bekannten fiel unter den vom Standesamt veröffentlichten Trauungen sein Name auf und sie schickten möglichst kurze Gratulationskarten. Am Tage der Hochzeit brachte der Amtsdiener einen wunderbaren Blumenstrauß mit einem freundlichen Schreiben des Ministers. Die duftenden Rosen waren das einzige Festliche bei der kurzen Ceremonie, welcher nur der Arzt und ein Kollege Forstners als Zeugen beiwohnten.

Trübseliger, nüchterner war wohl selten ein Hochzeitstag begangen worden. Am Morgen wurden Hedwigs Habseligkeiten gebracht, die sie in dem ihr angewiesenen Zimmer einräumte. Vieles mußte auf den Speicher geschafft werden. Dann kam der Standesbeamte, eine Stunde später der Pfarrer. Man setzte sich nach den erledigten Förmlichkeiten mit den beiden Zeugen zu Tisch. Aber der Arzt mahnte bald zum Aufbruch und empfahl seinem Patienten Ruhe. Er wollte am Abend noch einmal kommen.

Als Forstner nach seinem Mittagsschlafe mit den Blicken seine Frau suchte, fand er sie verweint, mit verstörtem Gesicht.

Auf seine Frage: „Was ist dir geschehen?“ schlug sie die Hände vor das Antlitz.

„Ich weiß nun erst, warum Sie das alles thaten! Um mich vor der Not zu retten! Und daß ich von Ihrer Güte gelebt habe, seit vielen, vielen Monaten!“

„Wer hat dir das gesagt, Hedwig?“ frug er entrüstet.

„O, ich schäme mich so, daß mir die Pension nicht auffiel,“ fuhr sie fort, ohne auf seinen Einwurf zu antworten. „Daß mein Vater kein hoher Beamter war, das wußte ich ja recht wohl, wenn ich vor ihm auch nicht dergleichen that! Aber daß er wirklich nur Schreiber gewesen sein soll! Wie hart ihm das geworden sein mag! O!“

„Wer hat dir das gesagt?“ frug er wieder, von ihrem Schmerz mitleidig ergriffen, mit wachsender Empörung.

„Ihre Haushälterin versicherte mir, Sie hätten keine neue Pflegerin gebraucht. Sie gäben das nur vor aus Gutmütigkeit, damit ich nicht verhungern müsse! Sie wisse es von dem Amtsdiener.“

Forstner konnte gar nicht sprechen, so packte ihn der Zorn. In seinem Hause, am allerersten Tage, hatte sie die grausame Wahrheit erfahren! Er ging in sein Zimmer, nahm einige Goldstücke aus dem Schreibfisch, klingelte der Dienerin:

„Hier haben Sie Ihren Lohn, Frau Maierhofer, für das nächste Vierteljahr! Und nun packen Sie Ihren Koffer, sofort! Und gehen heute noch!“

„O, Sie werden es bereuen! Sie werden es bereuen! Wenn ich reden wollte! Aber einen treuen Dienstboten schickt man aus dem Haus und eine scheinheilige fremde Person nimmt man herein!“

„Gehen Sie!“ rief Forstner und stieß mit dem Stock auf den Boden, um seiner schwachen Stimme stärkeren Nachdruck zu geben.

„Ja, ja, ich lass’ Sie schon allein mit Ihrer jungen Frau!“ höhnte die Zornglühende, und wie mit Donnerschlägen schmetterten die Thüren ins Schloß.

Nach einer Stunde war es plötzlich ganz still im Hause fast unheimlich still.

Mit einer gewissen Beklemmung fühlten die beiden, die sich nun in der einsamen Stube gegenübersaßen, wie allein sie jetzt waren, nur aufeinander angewiesen. Hedwig hatte die Lampe gebracht und ihre Häkelarbeit in die Hand genommen. Manchmal warf sie, beunruhigt einen Blick auf den Mann, der sich mit geschlossenen Augen im Lehnstuhl zurücklehnte. Er sah erhitzt aus, sein Atem ging rasch.

Forstner hatte auch in gesunden Tagen jeden Aerger mit einem körperlichen Uebelbefinden bezahlen müssen. Bei seinem leidenden Zustande war nach der Unruhe am Morgen die zornige Erregung, die er empfunden, zu viel für ihn gewesen. Er fürchtete, wieder schwer krank zu werden, und es bedrückte ihn, daß er Hedwig gleich am ersten Tage jede Arbeit zumuten mußte. Mühsam hielt er sich aufrecht, obwohl sie endlich sagte:

„Sollten Sie sich nicht niederlegen, Herr Regierungsrat? Ich will vielleicht in Ihrem Schlafzimmer noch ein wenig heizen?“

„Es thut mir so leid, liebe Hedwig. Morgen werden wir ja ein anderes Dienstmädchen finden. Doch eins: du sollst nicht ‚Herr Regierungsrat’ zu mir sagen! Das geht nicht vor den Leuten, überhaupt –“

Sie stand auf.

„Wünschen Sie vielleicht Ihre Suppe, Herr Forstner?“

Er lächelte, so elend es ihm auch zu Mute war, „Herr Forstner’, paßt auch nicht, Hedwig. Ueberhaupt nicht ,Sie’. Sage du zu mir und nenne mich Franz!“

Sie schüttelte den Kopf. „Nein, das getraue ich mir nicht!“

Er nahm ihre kühle Hand in seine fieberheißen.

„Wenn ich dich aber darum bitte, Kind! Das gehört zu den Pflichten, die ich dir zumuten muß! Sag’: macht es dir nichts, daß du dich nun plagen mußt für mich armen Krüppel?“

„Nein, Franz,“ sagte sie gehorsam.

Die holde Vertraulichkeit, das erste Du, es war wohl selten in einer so traurigen Stunde erbeten worden!

Der Arzt kam, schüttelte den Kopf, als er den Puls fühlte.

„Rasch zu Bett, lieber Regierungsrat! Und einen Wickel!“

„Starkes Fieber! Ein böser Rückfall,“ bemerkte er besorgt, als Hedwig ihn hinausbegleitete. „Da treten Sie ja gleich in Ihr Pflegerinnenamt ein, Frau Regierungsrat!“

Sie erschrak ordentlich über den Titel und machte ein so verlegenes Kompliment, daß der Doktor auf der Treppe verwundert vor sich hin murmelte: „Sonderbares Ding, das er sich da ins Haus genommen hat!“

Dem Kranken gegenüber aber hatte Hedwig ihre Scheu verloren. Wie eine gewandte Diakonissin wickelte sie ihn in die Decken, legte ihm ein kühles Tuch auf die Stirne, alles mit so weichen Händen, so zart und gütig, daß er ihr immer wieder einen dankbaren Blick zuwarf. So oft er sich nur regte, stand sie neben ihm, erriet, was er wollte, gab ihm zu trinken, rückte ihm die Kissen; dann huschte sie leise wieder ins Nebenzimmer.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 368. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_368.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)