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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Zu den echt thüringer Pfingstgebräuchen zählen ferner die auch sonst vielverbreiteten Maienfeste, welche sicherlich ein Ueberbleibsel der fröhlichen Veranstaltungen altheidnischer Frühlingsfeier darstellen. Vor der Dorfschenke oder auf dem Gemeindeanger wird der gewaltig und schlank wie ein Mastbaum aufragende Maienbaum aufgepflanzt. Er bildet nicht nur ein lockendes Ziel für alle kühnen Kletterer, die droben in der Krone des fast spiegelglatt abgeschälten Baumes hängenden Gewinne zu erringen – Taschentücher, Tabakspfeifen, mit geringem Inhalt gefüllte Geldkatzen –, er ist auch der Mittelpunkt der Stätte, auf der, periodisch wiederkehrend, die bäurischen Künstler irgend ein Volksstück mit heimatlichem Inhalte zur Aufführung bringen. Irgend ein dörflicher Dichter hat in seinen Mußestunden dieses ‚Drama‘ einmal zurechtgezimmert. Sein Inhalt ist mit Vorliebe der glänzenden Geschichte thüringer Sagen- und Landgrafenzeit entnommen. Ludwig der Springer, Ludwig der Eiserne, wie der Schmied von Ruhla sind Lieblingsgestalten. Auch der „sächsische Prinzenraub“ oder eine Episode aus dem Kriege von 1870 findet immer wieder lebhaften Anklang.

Erklettern des Maibaumes.

Der Vorwurf der „Meiningerei“ bleibt freilich diesen Volksaufführungen erspart. Weder im Kostüm noch in der Sprache legt man sich irgendwie beklemmende Fesseln auf. Aber dafür geht es höchst lustig her. An Jubel und Beifall mangelt es nie. Die Bühne ist der Anger, Coulissen und Hintergrund bilden die zusammengelaufene Schar Schaulustiger, die Dorfhütten und weiter hin die grünen, sonnbeglänzten Waldberge. Auch der Hanswurst der italienischen Komödie fehlt bei diesen Maienfesten nicht, wie schwer seine Zugehörigkeit zu dem Inhalt des Stückes auch zu beweisen bleibt. Diese „lustige Person“ erscheint gewöhnlich auf einer Kuh reitend, rückwärts, den Schwanz als Zügel führend. Natürlich giebt’s auf diesem Pfingstfeste auch Bier, Rostbratwurst, Musik und Tanz, ohne welche ja ein echt thüringer Volksfest undenkbar wäre.

Mit dem Pfingstfeste tauchen auch die sogenannten „Laubmänner“ auf, deren Herkunft und Bedeutung mir allerdings bis heute ein Rätsel geblieben ist. Sie beleben für die nächsten paar Wochen das öffentliche Bild. Es sind zumeist halbwüchsige Burschen, die vom Kopf bis zu den Füßen vollständig in frisches Laub gehüllt erscheinen, so dicht vermummt, daß weder Gesicht noch Hände sichtbar werden. In der Rechten halten sie eine Gerte, mit der sie nach allen Seiten in die lachend auseinanderweichende, jugendliche Menge tapfer Schläge austeilen. Hinter irgend einer Hecke, irgend einer Thür purzeln sie plötzlich hervor, wie aus der Erde gewachsen. Kaum sind sie in die Erscheinung getreten, so beginnt die wilde Jagd. „Laubmann! Laubmann!“ tönt es von allen Seiten. Dann tollt der immer mehr anwachsende Haufen über Markt und Gassen, bis der müde gewordene grüne Unhold irgendwo wieder den Blicken entschwindet.

Althergebracht ist auch ein Spaziergang zu Pfingsten in aller Morgensfrühe. Man will da gleichsam die Natur in ihren ersten Atemzügen des Erwachens belauschen. Oft wenn es noch graut, wandert man in die grünen Berge hinein. Da rauscht es noch einmal so feierlich; die Vöglein beginnen ihre Sinfonien, über das tauige Gras der stillen Bergmatten schreiten Hirsch und Reh, während im Osten höher und höher das lichtbringende Tagesgestirn aufsteigt. Was wäre dem Thüringer wohl mehr ans Herz gewachsen als sein Wald, sein prächtiger, unübersehbarer, immergrüner Wald?!

Wen es aber zu Pfingsten doch etwa daheim hielt: acht Tage später, am Trinitatisfeste, da läßt es keinen echten Thüringer in seinen vier Pfählen, da zieht es ihn magnetisch hinaus in die prangende Natur. Das ist ein Tag im Jahr, wo auf allen Wegen und Stegen helle Kleider blinken, frohe Menschenstimmen schallen, wo es lebt und webt im Walde, drunten auf bequemen Wegen, droben zwischen Gestein und Tannicht, auf Matten und an Berghängen hin.

Gilt’s dem einen Teil auch nur, Waldluft und Freiheitshauch zu genießen, ein anderer Teil, der stillere von beiden, zieht aus, der alten guten Sitte gläubigen Herzens folgend. Denn an diesem Tage gilt es, heilkräftige Wurzeln und Kräuter, Zweige und Pflanzen einzusammeln. An diesem Tage ist die blühende Natur gesegnet mit doppelter Kraft, und was man heute pflückt, hat vermehrte geheime Gabe, Krankheiten und Gebrechen zu heilen. Darum nennt auch der pflanzenkundige Thüringer diesen Tag nicht mit kirchlichem Namen. Ihm ist er seit langer, langer Zeit der „Goldene Sonntag“.

Dieser Glaube hat sich noch bei Vieltausenden erhalten. Gläubig sammelt man daher an diesem Tage, was man für den Hausbedarf, des Leibes Schmerzen und Ungemach für nötig erachtet. Wenn dann der Winter draußen auf den Bergen wohnt, tief verschneit Wege und Stege liegen, der Schneesturm an den Fensterladen rüttelt, dann sitzt es sich gut im kleinen, scharf geheizten Stübchen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 365. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_365.jpg&oldid=- (Version vom 6.7.2023)