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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

unten in der Stadt wurden Ziegen, Kühe, Pferde abgeschwemmt, gestriegelt und sogar gekämmt, Kränze geflochten, Wollschnüre gedreht und Reit- und Fahrgeschirre mit Kreide und Oel schön gemacht.

Unter den Eifrigen in Nervi legte bei diesem Geschäft besondere Sorgfalt an den Tag Signora Beatrice Foscetta. Beatrice wohnte in dem steil aufzeigenden Thal oberhalb des schönen Rathauses, sie besaß dort ein kleines rosa und hellblau angestrichenes Steinhaus, hinter welchem eine Terrasse mit etlichen fünfzig alten Citronenbäumen emporstieg, und höher in den Bergen ein Stückchen Grasland. Der Stall an dem Hause beherbergte zwei schöne Kühe und einen stattlichen Maulesel. Das war Beatricens Besitztum außer fünftausend Lire Kapital, die für sie auf der Bank in Genua lagen. Ihr Gütchen bewirtschaftete Beatrice ganz allein, und zwar mit solchem Erfolg, daß sie die Zinsen ihres Kapitals nicht anzugreifen brauchte. Als vor zwei Jahren ihr Vater, der Lokführer in Genua war, im Meer ertrank und die Mutter bald darauf an der Cholera starb, übernahm das zwanzigjährige Mädchen entschlossen und mutig ihr Erbe und brachte es durch Fleiß und Klugheit dahin, daß sie von dem Ertrag ihres Besitztums in dem engen steilen Thale ganz gut ihren Lebensunterhalt bestreiten konnte. Sie war ein großgewachsenes, rotwangiges, starkes Mädchen, dem tüchtige emsige Arbeit eine Lust und Freude dünkte. Da Beatrice außerdem noch ein schönes fröhliches Gesicht hatte mit rotem Munde und leuchtenden dunklen Augen, so stellte sich damals ein halbes Hundert Freier bei ihr ein – aus Nervi und Umgegend, die ganze Küste entlang von Genua bis nach S. Margherita – welche der begüterten Vereinsamten eine Stütze sein und ihr Vater und Mutter ersetzen wollten. Beatrice jedoch schlug alle Anerbieten aus. Sie wollte allein bleiben, erklärte sie, sie sei noch jung und möchte versuchen, wie weit sie ohne die gütige Hilfe der jungen Leute aus der Nachbarschaft käme. Alles glaubte damals, ihre abweisende Selbständigkeit stammte daher, daß sie auf Oreste Lavigni wartete, für den sie schon immer eine entschiedene Neigung gezeigt hatte, die der junge Mann mit Eifer erwiderte. Seltsamerweise jedoch herrschte von diesem Zeitpunkt an eine Art Feindschaft zwischen den beiden jungen Leuten. Oreste ward melancholisch und verdrossen und zeigte sich zornig gegen die Jugendfreundin und Erbin, und Beatrice trug Verachtung gegen Oreste Lavigni zur Schau.

Das war so gekommen:

Die Leute hatten ganz recht, welche annahmen, daß der hübsche Oreste Absichten auf die begüterte, schöne Beatrice hatte. Oreste stellte sich auch als Freier bei der Jugendgespielin ein. Sein Vater war fast zu gleicher Zeit wie der Beatricens gestorben und der junge Mann sagte zu dem Mädchen „Wir sind jetzt beide Waisen und stehen allein in der Welt; du, du weißt, daß ich dich gern habe, und du hast mir gezeigt, daß ich dir nicht gleichgültig bin, also laß uns unser Heil zusammen versuchen.

Beatrice hatte darauf ihre sehr starken hochgewölbten dunklen Augenbrauen zusammengezogen und dem Freier geantwortet. „Was bist du, Oreste, und was hast du? Du hast schreinern gelernt und arbeitest nicht, du besitzest einen Somaro und läßt dich von diesem ernähren. Ist das eine Art für einen jungen, gesunden Menschen? Du bist faul, Oreste, und eitel, ein Geck – du putzest dich heraus für die Engländerinnen und machst ihnen freundliche Gesichter und läßt dir von den blonden Katzen Geld schenken. Es ist wahr, ich liebe dich – aber einen solchen Mann mag ich nicht! Nimm deine Schreinerei wieder auf, und wenn du darin dich tüchtig gezeigt hast, dann komme wieder!

Oreste hat darauf zornig auf den Boden gestampft und ist bleich vor Wut davongelaufen – er ist aber nicht Schreiner geworden, sondern hat sich noch mehr herausgeputzt und den fremden Damen, die er auf seinem Maultier in die Berge führte, noch liebenswürdigere Gesichter gemacht, im übrigen jedoch so träge wie bisher weitergelebt. Das war jetzt zwei Jahre her und in dieser Zeit haben die beiden stets von einander weggesehen, wenn sie sich begegneten. Heute saß also Beatrice wie Oreste vor dem Stalle und wusch ihre Kühe und putzte ihren Maulesel Dito zu dem morgen bevorstehenden Feste der Weihe.

Der Ort der Tiersegnung war die Kirche Sant Ilario, hoch über Nervi auf einer Stufe des gewaltigen Monte Giugo gelegen. Aus dem verschleierten Graugrün der Oliven und dem tiefen Schwarzgrün der Cypressen schauten schon von fern die weißen Mauern und der Glockenturm der Kirche, die auch ein sehr besuchter Ausflugspunkt der Fremden war, hernieder auf eine Unzahl von Villen und Bauernhäusern welche inmitten der üppigsten Citronen- und Orangengärten gelegen waren, meist überragt von hochaufstrebenden bräunlich-grünen Dattelpalmen. Zwischen den Gärten führte die breite Landstraße hinauf zur Kirche. Diesen Weg mußte auch der Zug der Tiere nehmen.

Der siebzehnte Januar brach an – kein Wintertag wie im deutschen Norden, nein, einer jener Tage, wie sie in dieser Jahreszeit nur die Riviera kennt, ein sonnenheller Tag, an dem „ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht, die Myrte still und hoch der Lorbeer steht.“ Still lag auch das blaue Meer in schimmerndem Glanz und all die vielen Buchten und Felsenvorsprünge der Küste waren, so weit das Auge reichte, in zart violetten Duft getaucht. Die Gärten aber spendeten berauschende Wohlgerüche, da die Orangenbäume neben der reifenden Frucht schneeweiße Blüten trugen. Es schien, als ob dieser herrliche Fleck Erde zu der Feier auch ein Festtagsantlitz zeigen wollte.

In Nervi, in Bogliasco, in Quinto war es sehr lebhaft. Die Fremden mit ihren Sonnenschirmen wanderten den Weg zur Kirche hinauf und die Landleute in Feiertagskleidern tummelten sich auf den Straßen und führten ihre geschmückten Tiere.

Nicht jedes Jahr waren die Teilnehmer an dem Feste der Weihe gleich zahlreich. Diesmal hatte eine außergewöhnlich große Zahl von Tierbesitzern mit ihren Tieren sich eingestellt, es war ein kirchliches Jubiläumsfest, die Ceremonie versprach besonders glänzend zu werden. Die Schafe hatten rote und blaue Bänder um den Hals, an denen Glöckchen klingelten, die Ziegen und Kühe trugen Blumenkränze um die Hörner. Die Pferde, deren Geschirre ebenfalls mit Blumen besteckt waren, hatte man überdies mit bunten Decken verziert, und vor allem machten die Maulesel, die beliebtesten Zug-, Reit- und Lasttiere Italiens, Staat. Neben Rosen-, Lilien- und Veilchensträußen, die an ihnen angebracht waren, wo es nur irgend ging, trugen die Köpfe dieser Langohren rote weitmaschige Wollnetze, aus denen oberhalb der Stirn seltsame Messingstäbe ragten, die sich kelchartig öffneten und von einer buntfarbigen Wolltroddel gekrönt wurden. Auf der Stirn selbst war ein Palmbüschel befestigt und auf diesem hing, neben dem Messingbildchen des Heiligen Antonius, ein Spiegelchen. Dieser Spiegel mußte etwas zu bedeuten haben, denn man sah keinen Maulesel ohne dieses glänzende Schmuckstück zwischen den Augen, ja die Bauern und Treiber gaben sichtlich auf das Spiegelchen besonders acht und sorgten eifrig dafür, daß es immer hübsch in der Mitte hing.

Es knüpft sich an diesen Schmuck der Aberglaube, daß, wenn der segnende Priester und die Kirche in dem Glase sich spiegeln, die Weihe doppelt kräftig wirke. Die Italiener aller Klassen sind abergläubisch, besonders die Landleute, und es dürfte keinen Bauern, Kutscher, Eseltreiber jenseit der Alpen geben, der nicht felsenfest an diese Eigenschaft des Spiegelchens bei der Segnung glaubte.

Vor Nervi sammelte sich der Zug. Es waren wohl mehr als hundert Kühe, Ziegen und Schafe und gut hundert ’Maulesel’, Eselchen und Pferde, alle mit Geschmack und so buntfarbig wie möglich verziert. Unter allen aber zeigte sich der Caligula Oreste’s wirklich als der prächtigste. Trug er doch sogar zwei Spiegelchen an der Stirn, einen kleinen runden Taschenspiegel und einen etwas größeren altertümlichen der ein schönes, ciseliertes Messingrähmchen hatte.

Die meisten Landleute und Kutscher saßen auf ihrem Pferde oder Esel und ebenso Oreste, der eine braune Sammetjacke anhatte und um den Leib einen seidenen roten Shawl trug. Sein spitzer grüner Hut war mit silbernen Knöpfen geschmückt, er hatte den kleinen schwarzen Schnurrbart herausfordernd aufgedreht, sein lockiges Haar quoll unter dem Hut hervor, keine Frage – der junge Mann sah wirklich bildhübsch ans.

Einige Schritte hinter ihm – es waren nur drei Paar Pferde dazwischen – ritt auf ihrem „Tito“ Beatrice in blauem ’Seidenmieder’ und schneeweißen Hemdärmeln. Sie sah stolz aus und blickte beharrlich vor sich nieder. Der Zug war begleitet von der gesamten Gassenjugend der Gegend einige Stunden im Umkreis und einer großen Zahl von Schaulustigen, wie solche nur südlichen Lande in solcher Menge aufzuweisen pflegen.

Als die Straße zur Kirche steiler wurde, stiegen einzelne Reiter ab, unter diesen auch Beatrice, die nun neben ihrem Maulthier einherging. Man mochte wohl drei Viertel des Weges zurückgelegt haben, schon breitete sich vor den Dahinziehenden die

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verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 178. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_178.jpg&oldid=- (Version vom 7.9.2018)