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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

„Gnädigster Herr Leutnant!“ begann er mühsam zu entziffern. „Besinnen sich gnädigster Herr Leutnant noch auf die dicke Marien? Ich habe Ihnen doch so oft als kleinen Jung’ die Butterstullen gemacht zum Schulfrühstück und auch Bratäpfels in Winterabends in die Kochmaschine und haben Sie doch immer viel auf mir gehalten dazumal. Auch was die liebe gnädige verstorbene Frau Mama ist, hat mir immer so gern gehabt bis zu ihrem Ende, was nun doch so rasch gekommen ist.

Gnädiger Herr Leutnant, wir sind, mein Mann und ich, tief betrübt und es ist gewiß keine Unbescheidenheit, wenn ich in die Trauertage mit eine kleine Frage hervortrete, es ist man weil davon sehr viel abhängen thut für meinen Mann und mir, und weil wir doch fünf Kinder haben und August, was der Aelteste ist, Oktober in die Lehre kommen soll bei Schuster Finken in die Nollendorferstraße, wo seine Kundschaft ist. – Nun geht unser Grünkeller mit Bier und Butter jawoll ganz gut, aber die Zinsen von die gnädige Frau Rätin können wir doch nicht gut entbehren, indem daß dieselbigen nun schon anderthalb Jahre nicht bezahlt sind. Ich habe nicht gewagt, gnädige Frau von Kerkow dran zu erinnern, weil ich weiß, daß sie ihre alte unterthänigste Dienerin nicht vergißt, nu aberst jetzt, wo ihr der Tod so rasch genaht ist, möchte ich doch fragen, ob gnädige Frau vielleicht etwas hinterlassen hat über Rückzahlung der 1500 Mark, was unser Gespartes ist und die ausständigen Zinsen. Ich bitte Herrn Leutnant vielemal zu verzeihen und die Briefe, worin gnädige Frau uns bat, sie das Geld zu borgen lege ich mit bei im unterthänigsten Vertrauen und der Bitte, wenn’s möglich wäre und es Herrn Leutnant und dem gnädigen Fräulein keine Ungelegenheit macht, uns doch gütigst zurückzugeben indem wir es doch sehr nötig haben.

Mit unterthänigstem Gruß Ihre Dienerin     
Marie Schulze geb. Artner.“ 

Ganz mechanisch nahm er den Brief seiner Mutter und entfaltete ihn:

„Liebe Marie!

In größter augenblicklicher Verlegenheit wende ich mich an Dich, treue Seele, und bitte Dich und Deinen Mann, mir fünfhundert Mark zu leihen zu fünf Prozent. Ich kann Dir nicht sagen – weshalb oder wozu, und verspreche, daß ich es pünktlich am nächsten ersten Januar wieder zurückzahle.

Immer Deine, Dir sehr zugethane     
Bertha von Kerkow. 

Dann noch ein Brief. Jetzt sind es tausend Mark, die die Mutter haben will und die ihr die treue Seele giebt, das ehemalige Dienstmädchen, das sich bei harter Arbeit groschen- und sechserweise das Sümmchen zusammengespart hat – –. Mein Gott, das hatte er doch nicht gedacht! Stand es denn so furchtbar mit der alten Frau Und wozu hatte sie denn –?

Er sah auf das Datum des letzten Briefes und eine jähe Blutwelle stieg ihm zu Kopfe. Ja, das war vor drei Jahren gewesen, als er Schulden halber – recht thörichte leichtsinnige Schulden, die einzigen, die er auf solche Weise gemacht! – sich an die Mutter wandte und sie bat, ihm jene mythenhaften fünfhundert Thaler zu schicken, die ihm zur Konfirmation ein Pate geschenkt hatte, und die ihm immer als starker Trost im Hintergrunde erschienen, wenn er einmal ein bißchen über die Stränge schlug. Na, schlimmsten Falles nehme ich die fünfhundert Thaler vom Onkel Heinrich, hatte er sich stets vorgeredet.

Ja, damals hatte er das Geld verlangt und auch bekommen, aber – es war längst nicht mehr dagewesen, in irgend einer Not hatte es die Mutter wohl verbraucht für sich und die Schwestern. Arme Mutter – was mochte sie gelitten haben! Sie hatte geborgt, geborgt von der ehemaligen Köchin!

Ja, die muß alles wieder erhalten – freilich – sofort! Er würde an Wolf schreiben und noch ’mal borgen; eine nette Summe, die da schon zusammengekommen ist – zahlbar nach der Heirat!! Er riß die Uniform auf und stürmte im Zimmer hin und her ein Zug von Ekel glitt über sein Gesicht. Was war aus ihm geworden! Einer, der Schulden macht auf das Geld seiner künftigen Frau, viel Schulden!

Ja freilich, er ist nicht der einzige, Hunderte giebt es, die thun’s kaltblütig, aber er, ach, er hatte doch noch Ideale gehabt!

Und dann will er noch heiraten und sich als den Gebieter aufspielen? Es darauf ankommen lassen, ob sie sich seinem Willen beugt oder nicht, er, der so mit Haut und Haar der Gnade ihres Geldbeutels verfallen ist. Lächerlich! Was soll er denn für ein Gesicht machen, wenn ihm nach der Hochzeit etwa, wenn man von der Reise zurückkommt – die Schuldscheine präsentiert werden! Als sogenannter Hofmarschall – jeder alte abgelebte Hofschranze könnte den Posten ausfüllen – war er doch vielleicht imstande, aus eigener Kraft abzuzahlen, als Offizier nie! Er lachte bitter auf. Na, denn zu! Es ist ja ganz gleich, als was man seine Sklavenketten schleppt, als Soldat oder als Beamter, verpfuscht war das Leben doch einmal!

Er trat nach wenigen Minuten bei seiner Tante ein, mit hartem Gesichtsausdruck. Toni Ribbeneck saß in einem der tiefen Fauteuils am Kaminofen und sah ihm fragend und neugierig entgegen. Frau von Gruber erhob sich und verließ das Zimmer. Sie mochte nicht anhören, wie er die Rolle des Gebieters spielte, „der dumme Junge“, wie sie ihn innerlich wütend nannte. Sie erhaschte nur noch den Anblick einer wenig zuvorkommenden Begrüßung seitens der Braut, die, von Frau von Gruber auf eine mögliche Enttäuschung hinsichtlich des Hofmarschalls vorbereitet, die Miene einer tyrannisierten Frau aufgesetzt hatte.

Um so erstaunter war sie, als nach zehn Minuten die junge Dame in das Zimmer kam, in das sie sich zurückgezogen hatte, und ihr mit triumphierender Miene sagte: „Aber, liebste Frau von Gruber, was redeten Sie denn. Er ist ja ganz einverstanden, wie ein Lamm ist mein guter Heinz! Er hat sich wahrscheinlich nur gesträubt, weil Sie als Tante ihm die Sache plausibel machen wollten. Sobald ich die Rede darauf brachte, erklärte er, sich meinen Wünschen fügen zu wollen.“

„Wahrscheinlich!“ stotterte die alte Dame ganz verblüfft. Und als sie gleich darauf vor ihm stand, der am Tische saß und gedankenlos in einem Album blätterte, sagte sie nicht ohne Aerger. „Es freut mich, Heinz, daß du Tonis Wunsch erfüllst.“

„Es ist ja doch schließlich ganz egal“, antwortete er, den Deckel zuklappend, und in dem Blick, mit dem er zu ihr aufsah, lag etwas so Trostloses, Müdes, daß sie erschrak.

„Du bist krank, Heinz, das Unglück zu Hause hat dich angegriffen, nicht wahr, Toni, wir entlassen ihn – du mußt dich ausruhen Heinz!“

„Aber nein,“ rief die junge Dame, „ich habe mich so gefreut auf heute abend! Wovon soll er denn müde sein. Nicht wahr, Heinz, du gehst noch nicht, wir plaudern noch. Bist du gar nicht neugierig, wo wir wohnen sollen. Hier im Schloß –“

„Ist das auch bereits bestimmt?“ unterbrach er sie scharf.

„Ja, natürlich! Durchlaucht ist zu reizend, zu rührend, als ob sie eine Tochter verheiratete, so lieb. Hier über uns, deine Zimmer gehören mit dazu, die Aussicht nach dem Platz und der Stadt!“

„Ach!“ machte er, und dann kam ihm zu Sinn, wie es nun doch so komme, daß er die Oberförsterei täglich vor Augen haben müsse, aber vielleicht gewöhnte er sich auch daran wie an alles andere Schwere, Trostlose. Und plötzlich fragte er wie aufatmend, daß doch noch ein Lichtstrahl bei der Sache für ihn sei: „Die Wohnung ist groß.“

„Denke dir – zehn Zimmer! Durchlaucht ist rührend,“ wiederholte Toni.

„Dann wird ja wohl eines dabei sein, in dem meine Schwester wohnen kann. Sie muß eine Heimat bei uns haben.“

Toni antwortete nicht, aber Frau von Gruber, in welcher der Familiensinn stark entwickelt war, nickte ihm zu „Das ist recht von dir, Heinz!“

„Aber wird Durchlaucht gestatten?“

„Durchlaucht wird gestatten“, sagte er laut und bestimmt. „Wenn sie sich den Luxus eines verheirateten Hofmarschalls gönnt, so muß sie auch dessen verwaiste Schwester dulden. Uebrigens, das lasse meine Sache sein, liebe Toni, ich selbst werde mit Durchlaucht darüber sprechen. Von dir setze ich voraus, daß du so menschlich und edel denkst, um einem armen Mädchen, das lange die Sonne nicht gesehen hat, ein paar warme Strahlen zu gönnen.“

„Gewiß!“ antwortete sie, aber ihre rosige Laune war verschwunden und man trennte sich ziemlich kühl.

(Fortsetzung folgt.)

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 59. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_059.jpg&oldid=- (Version vom 2.3.2019)