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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Der Aerger erstickte ihre Worte. Sie hatte ja keine Ahnung, die erzürnte Frau, wie schwer verwundet das junge Herz da vor ihr war, daß es vor allem der zartesten Pflege, der größten Schonung bedurfte, eine solche Seelenkennerin war diese Frau nicht, die nie einen Herzenskonflikt durchzumachen gehabt hatte und ganz behaglich zu erzählen pflegte, sie habe ihre erste Liebe geheiratet und auch sonst nichts Schweres erlebt als ein wenig kleine Alltagsnot.

Sie erstarrte daher fast, als das schöne Gesicht Aennes sich trotzig emporhob, und die zuckenden Lippen die bittern Worte sprachen. „Nun, du wirst ja nächstens keinen Aerger mehr über mich haben, Mama, ich gehe ja bald aus dem Hause.“

„Was sind das für Redensarten?“ rief die ergrimmte Frau, „was soll das bedeuten? Auf der Stelle komm’ mit zum Vater, daß er dir einmal klar macht, wie du dich gegen mich zu betragen hast, du undankbares Kind du!“

Aenne legte das Messer hin. „Das bedeutet, daß morgen“ sie machte eine Bewegung nach der Seite, wo des Oberförsters Haus lag – „der Günther kommen wird, er will mich heiraten.“ Mit diesen Worten ging die arme kleine Aenne stolz wie eine Königin aus der Küche und hinauf in ihre Stube.

Frau Rätin saß da mit offenem Munde. Freude darüber, daß ihr Lieblingswunsch sich erfüllen sollte, Reue über ihren Zorn, Verwunderung über des allzeit freundlichen Kindes schroffes Wesen wirbelten ihr im Kopfe. Sie wußte kaum, was sie that. Die Quittenschalen in ihrer Schürze rollten, als sie aufstand, zur Erde, sie achtete dessen nicht, sie lief über den Hausflur und fiel wie eine Bombe bei ihrem lesenden Mann ins Zimmer. „May, May, ich bitte dich, so hör’ doch nur, die Aenne – –“

Der Herr Rat, dem ebenfalls der eheliche Zwist noch in den Gliedern lag, schrie ein „Zum Donnerwetter, was giebt’s denn schon wieder?“ Er wurde aber nach der hervorgestammelten Erklärung ebenso still wie ein eben noch schreiendes Sechswochenkind, das die Flasche im Munde fühlt.

„Wirklich, Alte – wahrhaftig? Herrgott, das wäre ein Glück! Und sie will? Sie ist doch ein prächtiges, verständiges Mädel, die Aenne! Wo steckt sie denn? Sag’ doch, sie soll herkommen, sie soll erzählen, wie’s geschehen ist! Er lief durch die Stube und schrie in den Hausflur hinaus. „Aenne, Aennchen, komm’ herunter, Kind, in mein Zimmer!“

Aber niemand antwortete, und Frau Rätin sprach von erregten Nerven, von Erschütterung, und man wolle sie in Ruhe lassen. Nach einer halben Stunde werde sie hinaufgehen und die „kleine Braut“ – ihr ganzes Gesicht verklärte sich dabei – herunterholen.

In diesem Augenblick kam Tante Emilie nach Hause und wurde von dem freudestrahlenden Elternpaare in die Stube gezogen.

„Wer hat nun recht, Emilie?“ sagte triumphierend der Rat und schlug der Erstaunten auf die Schulter.

„Was ist denn geschehen?“

„Denk’ doch, die Aenne“, fiel die Rätin ein „du hast zwar immer den Kopf geschüttelt, wenn ich sagte, sie nimmt den Günther doch noch – und nun“

„Aenne – den Günther? Nein, das glaube ich nicht, ist nicht möglich!“ erklärte ganz blaß die alte Dame.

Der Rat lachte. „Eben hat sie es ihrer Mutter anvertraut.“

„Da steht mir der Verstand still,“ erklärte Tante Emilie.

„Na, weißt du, Schwester, mir ging’s auch beinahe so, und doch ist es Thatsache!“

Die Ungläubige aber verließ still das Zimmer und pochte oben an Aennes Stubenthür. „Aenne, mach’ auf, ich bin’s!“

„Komm’ nur herein!“ scholl es.

In dem winzigen Mädchenstübchen brannte die Stearinkerze im Messingleuchter auf der Kommode. Aenne stand davor und hielt ein geleertes Kästchen in der Hand im Ofen knisterte etwas, verwelkte Blumen und dergleichen.

„Aber, traut’stes Aennchen,“ fragte die alte ehrliche Seele, „was machst du für Sachen? Das ist doch ein schlechter Spaß!“

„Du meinst – meine Verlobung?“

„Mit – Günther?“

„Ja, freilich, so ist’s doch!“

„Erbarmen, Goldkindchen! Das ist ja, um auf die Akazien zu klettern!“ schrie sie außer sich, „du liebst ihn ja überhaupt gar nicht!“

„O!“ sagte Aenne, „das weißt du doch nicht, Tante.“

„Schrecklich ist’s! Eine ganz verschrobene Marjell bist du – du wirst kreuzunglücklich!“

„Aber, Tante, das weißt du doch ebenfalls nicht! Ich heirate, wie so manches Mädchen, weil einmal geheiratet werden muß. Ich bin doch auch nicht besser als die andern! Und was für Ansprüche soll ich denn machen?“

„Ja, wenn ich dich nicht so genau kennte, Kindchen –“

„Du kennst mich eben gar nicht so genau, Tante. Paß auf, wie gern du noch hinüber kommst in die Kinderstube, in der mein Leben von nun an verfließen wird, so drei, die brauchen Pflege! O, ich werde so viel zu thun haben, daß ich mich gar nicht mehr zu besinnen brauche auf etwas – sie machte eine Bewegung mit dem Arm „das weit hinter mir liegt. Na, und nun gratuliere mir, Tante, und sage den Eltern, heute möchten sie mich nur allein lassen und – ich wäre glücklich, wenn sie eine rechte Freude an der Geschichte hätten. – Gute Nacht, Tantchen! Und wenn’s Mama etwa gar das Herz abdrückt, so habe ich nichts dagegen, wenn sie herumschickt, den künftigen Schwiegersohn zum Punsch zu bitten; nur ich, ich möchte allein sein heute.“

„Ich werde mich hüten, das letztere zu bestellen,“ erklärte Tante Emilie, „ich will vielmehr den lieben Gott bitten, daß er dir bis morgen deine klare Vernunft wieder schenkt, denn ehe du den Günther nimmst, eher –“

„Tantchen, verschwör’ dich nicht – daran ist nichts mehr zu ändern!“ rief Aenne noch durch den Thürspalt. Dann schloß sie hinter der alten Frau, die langsam die Treppe hinunterging, die Thüre ab, drehte den Schlüssel zweimal herum und setzte sich mit finsteren Augen und untergeschlagenen Armen auf den Stuhl am Fußende des Bettes. Sie starrte zum Ofen hinüber, in dem die armseligen Reliquien ihres Liebestraumes verglimmten, und verfolgte jedes Fünkchen mit trotzigem Herzeleid und kam sich vor wie eine Heldin.


Einige Tage später stand Heinz Kerkow an dem Bette, auf dem seine tote Mutter lag. In der Hand zerknüllte er noch den Brief, den er soeben erhalten und nur flüchtig gelesen hatte, als die Schwester ihn mit besorgter Miene in das Krankenzimmer rief. „Heinz, komm’ doch, Mutter sieht plötzlich so verändert aus!“

Er war da gerade zurecht gekommen, um noch einmal die zwei treuesten Augen der Welt auf sich gerichtet zu sehen und die Hand zu erfassen, die bald so erstarrt in der seinen ruhen sollte. Nun lag die Schwester schluchzend auf den Knien vor dem Bette der Toten und er stand da und – fühlte nichts, gar nichts.

Ganz gedankenlos ballte er das Papier noch fester zusammen, eine Karte mit Goldschnitt, auf der zu lesen stand, daß Medizinalrat May und Frau sich die Ehre geben, die Verlobung ihrer Tochter Aenne mit dem herzoglichen Oberförster Herrn Hermann Günther ergebenst anzuzeigen – –

Was ging ihn das an? Er wandte sich plötzlich und verließ das Sterbezimmer, setzte sich in der Wohnstube auf das altmodische Kanapee und senkte die Stirn in die Hand. Die Schwester kam endlich zu ihm und erinnerte, daß er die Meldung des Todes der Mutter auf dem Standesamt persönlich zu erstatten habe, und es sei doch leider Gottes noch so mancherlei zu besorgen, das zu übernehmen sie ihn bitten müsse.

Er stand auf, zog die Uniform in die Taille und ging, das zerknüllte Papier blieb auf dem Fußboden liegen. Hedwig von Kerkow hob es auf und glättete es mechanisch – eine Verlobungsanzeige, und unten in der Ecke von Mädchenhand zierlich gekritzelt.

„Lieber Heinz! Sie sind mir zuvorgekommen, ich wollte Sie überraschen, nun waren Sie doch eiliger als ich. Ich gratuliere Ihnen hiermit herzlichst und wünsche, daß Sie ebenso glücklich sind im Besitz Ihrer lieben Braut wie ich in dem meines Bräutigams. Mit schönem Gruß Ihre alte Freundin Aenne.“

Hedwig Kerkow dachte ein Weilchen nach – sie hatte nie etwas von einem Wesen gehört, das Aenne hieß. – Sie ließ das Papier achtlos liegen und griff zum Taschentuch, um die wieder aufquellenden Thränen zu trocknen.

Dann kam Heinz zurück, und die Geschwister saßen beisammen in der dämmerigen Stube. Hin und wieder redeten sie

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 54. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_054.jpg&oldid=- (Version vom 5.10.2021)