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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

eine Freude. Aber der Privatdocent sitzt nicht in der Kommission, und er ist wie der Prophet in der Wüste. Er predigt, aber sie hören ihn nicht. – Ich hab’ Ihnen ferner gesagt; behalten Sie jedenfalls Ihr Pöstchen, bleiben Sie auch als Docent bei der Bibliothek – nun, warum nicht. Warum sollen Sie nicht als Privatdocent bei uns bleiben? Ich bin Ehrenprofessor und Bibliothekar, und wenn der Ehrenprofessor den Bibliothekar nicht hätte, könnt’ er lange suchen, wovon er auf seine alten Tage leben sollte. – Nun, Sie haben’s behalten, und man wird es Ihnen nicht nehmen aber man wird Sie auch dabei stehen lassen denn sie wollen jetzt eigene Beamten für die höheren Stellen an den Bibliotheken, und keine Docenten im Nebenamt, was sie eine Sinekure nennen. Schenken Sie sich doch, bitte, ein! – Sodann später, jetzt nach Ostern, als Sie Ihr Kolleg aufthaten, hab’ ich heimlich beiseite gestanden vor dem Auditorium Numero Zehn, ehe Sie kamen, und hab’ gesehen, wie die jungen Leute zuströmten, und sie kamen in großer Zahl und lachten, denn sie dachten, es wird vielleicht ein lustiges Kolleg, ein Sommerkolleg, wie das bei dem Herrn Geheimen Medizinalrat über die Sitten der Naturvölker, oder bei dem andern, der schon zwanzig Sommer lang über den Faust liest und noch immer nicht begriffen hat, warum der Doktor Faust das arme Gretchen nicht heiratet, und sie dachten, man muß alles ’mal versuchen vielleicht wird’s ein schöner Vortrag, ein akustischer Genuß, wie bei dem jungen Mann von der neueren Geschichte, der an gewissen Tagen im Lieutenantsrock ins Kolleg kommt, und sein Bursche trägt ihm die Mappe nach; denn warum? er ist doch Reserveoffizier, wenn er auch nicht fürs Vaterland mitgefochten hat wie Ihr Freund, der Doktor Bardolf, denn damals fehlte ihm noch ein Jahr zur Dienstpflicht, er ist ja eben erst voriges Jahr frisch aus dem Examen auf das Katheder gestiegen. – Alsdann, drei Tage drauf, hab’ ich mich wieder hingestellt, da kamen ihrer vier, und ich habe mir gesagt: er nimmt es ernst, er hat nicht gepanscht, er hat ihnen seinen Wein geschenkt rein, wie er ihm aus der Kelter kam, süß oder sauer. Und ich habe mich gefreut, obzwar ich mir’s schon gedacht hatte. – Nun bitte, trinken Sie doch! – Also, was soll man sagen, Sie haben die vier behalten, sie haben alle vier belegt, – na, drei haben sich ’s Honorar stunden lassen, der vierte hat bezahlt, zwölf Mark, abzüglich zwei Prozent an den Quästor, macht elf Mark sechsundsiebzig. ’s ist Geld, ’s ist elf Mark sechsundsiebzig mehr als ein Privatdocent der Philosophie sich von seinem ersten dreistündigen Privatkolleg versprechen kann! “

Was der Privatdocent Ritter auf diese lange Rede erwiderte, klang nicht verzagt. Er lächelte sogar ganz zufrieden, während er etwas von einem Gleichnis sagte, von einem Manne, der ausging zu säen und der Professor Isaak Bernstein lächelte auch beifällig und wiederholte die letzten Worte des Citats. „Etliches fiel auf ein gut Land, und trug Frucht. Jawohl, ’s ist ein schönes Wort, und eine trostreiche Rede und ’s ist auch ein wahres Wort, das darf ich sagen, denn ich bin ein alter Lehrer. Und so lange Sie sich an dem Wort halten und darauf bauen, werden Sie Freude haben am Lehren, und Sie werden ein Lehrer sein nach dem Herzen Gottes. – Sie haben kein Weib und keine Braut unter den Menschen, Sie haben für niemand zu sorgen, Sie haben sich mit der Wissenschaft verlobt, ich hab’s auch nicht anders. Die Leute reden viel davon, daß ich ein strenger Jud’ sei, weil ich das Gesetz halte, und weil ich nur einen Apfel und ein Glas Wasser nehme, wenn ich bei einem von den Kollegen eingeladen bin, weshalb mich auch der junge Mann von der neueren Geschichte heimlich den alten Adam genannt hat – ’s ist ein witziger junger Mann, er wird es weit bringen in der Welt! Ich bin aber ein schlechter Jude, denn ich habe keine Kinder und mein Haus wird verlöschen mit mir, weil ich allezeit nur um die Weisheit gefreit habe. Nun, der eine macht’s so, der andere macht’s so. Da ist Ihr Freund Bardolf, er hat ja auch bei mir gehört, und es ist ein guter Mensch, der hat jung gefreit und nur aus Liebe. Es freut mich, von Ihnen zu hören, daß es den beiden gut geht, obzwar er zu einem gefährlichen Geschäft gegangen ist. Da ist Ihr anderer Freund, der Kleine, der früher neben Ihnen wohnte, den Sie immer in der Mitte hatten, es sah aus, als ob Sie ihn so mitschleppten, nun, er hat sich gemacht, er wohnt jetzt feiner als Sie und kann Freude haben an seinem Buch, denn er baut ein Denkmal, und das bringt etwas ein und auf Freiersfüßen soll er auch gehen, ich habe die junge Dame neulich gesehen, er wird eine grausame Freude mit ihr erleben, wenn sie so ist wie sie aussieht! Etliche freien, etliche werden gefreit. Wenn Sie aber sonst für niemand zu sorgen haben, so freien Sie nur immer weiter an die Weisheit; denn warum? sie ist auch eine Braut.“

Es klopfte an die Thür, und ein langes schwarzäugiges Mädchen, das feuchte Regendach über den Schultern, erschien mit dem Einsatz, in welchem sie dem alten Herrn jeden Tag außer Samstags das Essen aus einer Wirtschaft in der Judengasse brachte, Samstags aber brachte es ein christlicher Hausknecht.

„Und da ist die Esther schon mit ihrem Korb,“ sagte der Professor Bernstein und erhob sich. „Wie die Zeit vergeht, man merkt es kaum an solch trübem Tage und bei einem guten Gespräch! Nun, lassen Sie sich’s wohl ergehen, lieber Herr Kollege, und den Urlaub haben Sie natürlich! Erholen Sie sich nur recht in den drei Wochen! Gehen Sie zu Fuß, ’s ist gesund!“ –

Während Hans Ritter unter seinem Regenschirm durch den feuchtkalten Nebelregen hinschritt, mußte er immerfort an die Bemerkung des alten Herrn über Bardolf denken. Er hatte den Freund seit jenem Patenbesuch im Dezember nicht wieder gesehen; ein lange und sorgfältig geplanter Besuch Emiliens mit dem Kinde zu Pfingsten war in zwölfter Stunde verhindert worden – sie waren selbst durch einen unabweisbaren Gast, eine Freundin Emiliens, überrascht worden, wie Bardolf entschuldigend schrieb.

Um so regelmäßiger unterhielt Emilie die briefliche Verbindung mit der Großmutter. Ihre Briefe atmeten stets das friedlichste Glück, ja es schien als ob ihr dieses Glück selbst die umgebende Landschaft verkläre; denn manchmal gab ihre Feder Natureindrücke wieder, welche kein einigermaßen nüchternes Auge von der flachen, kohlendunsttrüben Umgebung jener Industriestadt so leicht aufnehmen konnte. Nur zuweilen klang ein gewisser leiser Ton wehmütiger, fast gepreßter Stimmung mit durch. Frau Klämmerlein, für welche jede Nachricht vom Wohlergehen Emiliens und des Kindes ein Fest war, versicherte lächelnd, daß eine solche trauerselige Schwärmerei jeder jungen, glücklichen Frau zuweilen aufliege, und Hans Ritter glaubte es ihr willig.

Von Bardolfs Hand kam nur selten ein kurzer Gruß. Seine Zeitung schickte er nicht mehr. Ritter las sie gleichwohl fast regelmäßig, aus dem Lesezimmer der Universität, wohin jede in der Provinz erscheinende Zeitung ein Pflichtexemplar zu liefern hat, aber nur selten vermochte er noch aus irgend einem Beitrag die Hand des Freundes zu erkennen, dessen Name als der des verantwortlichen Redakteurs den Kopf des Blattes zierte. Bis auf den lokalen Teil konnte das Blatt ebensogut in sechzig anderen Orten erschienen sein, allerdings war dieser Teil sehr umfangreich, vornehmlich durch Berichte über Versammlungen und andere Nachrichten von dem Parteikriege, der hier, innerhalb der Mauern einer Stadt, noch viel persönlichere und gehässigere Formen annahm als in den mehr akademischen, grundsätzlichen Auseinandersetzungen der Parlamentsredner und großen Zeitungen. Für Hans Ritter war das alles überaus widerwärtig, und es schmerzte ihn, Bardolf dauernd in diese Verhältnisse gebannt zu sehen. Die Bemerkung des Professors Bernstein über das „gefährliche Geschäft“ war ihm aus der Seele gesprochen. Aber er versuchte sich immer wieder zu überreden, daß seine Empfindung in diesem Falle zu gutem Teile gelehrtes Vorurteil sei und daß selbst eine anfangs unbequeme Stellung keinen zu hohen Preis für ein häusliches Glück darstelle, wie es Bardolf und Emilie genossen. Das Anfangsgehalt, welches ihm Bardolf vor Antritt der Stelle angegeben, war immerhin noch einige hundert Mark höher als das, welches ihre zugleich mit Bardolf in den Schuldienst eingetretenen Studiengenossen jetzt im Durchschnitt erreicht hatten, ja noch um eine weitere Summe höher als sein eigenes Bibliothekarsgehalt, und inzwischen mußte Bardolf doch auch wohl gestiegen sein. Die Hauptsache blieb, daß die beiden miteinander glücklich waren – –

In seine Gedanken vertieft, war Hans Ritter, ohne es zu merken, an dem Speisehaus vorbeigegangen, dem gewohnten Heimwege nach. Als er um die Ecke bog, hörte er von einer

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