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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

raschelte wieder vorwärts in dem Laub bis zu einem Pavillon am westlichen Ende der Terrasse und lugte dort durch die Scheiben der Glasthür. Im selbigen Augenblick fuhr ihr Kopf aber so blitzschnell zurück, daß der dunkelblaue Filzhut vom Scheitel rutschte und sie, mit beiden Händen danach greifend, eine jähe Wendung zur schleunigsten Flucht machte. Die Thür des kleinen achteckigen Gebäudes wurde nämlich aufgerissen und ein junger Mann in farbenbekleckstem Leinwandrock trat oder stürzte vielmehr mit dem Rufe ihr entgegen:

„Das ist wirklich zu nett; Fräulein Aenne – nun müssen Sie aber auch gleich eine Kritik abgeben! Treten Sie ein und sagen Sie mir, wie die Kleckserei ausgefallen ist und ob die Herzogin und ihr Gefolge holder Damen es ansehen können, ohne von Krämpfen befallen zu werden!“

Sie hatte sich dem Redenden gleich zugewandt, aber sie lachte nicht, sie sah vielmehr ein bißchen blaß aus, folgte indessen ohne eine Spur von Widerstreben der Einladung und trat voran in den Raum, dessen Thür weit offen blieb und an dessen zwischen den Fenstern befindlichen Wänden eine gar nicht ungeübte Hand figurenreiche Fresken mittelalterlichen Stiles gemalt hatte.

„Da, Aenne,“ rief er mit komischem Stolz und zeigte auf das Mittelfeld, „das sind Sie! Machen Sie ein Kompliment vor sich!“

„Wirklich? Das soll ich sein?“

„Ja! Sehen Sie es denn nicht selbst? Da sind Ihre blonden Haare, Ihre braunen Spitzbubenaugen – –“ Er hielt inne und schaute sie an mit solchem ehrlichen Entzücken, daß sie verlegen von ihm weg zu dem Bilde hinüber sah.

„Und das sollte ich sein?“ sagte sie noch einmal forciert lustig, „aber keine Spur!“

„Lange nicht so reizend wie in natura, natürlich nicht!“ gab er zu, „aber –“

„Keine Spur!“ unterbrach sie ihn, „so geschmacklos hätte ich mich im ganzen Leben nicht angezogen – ein grünes Unterkleid, ein karmoisinrotes darüber, o, und ein blauer Saum und blauer Gürtel dazu! Pfui, Heinz, Sie haben keine Spur von Farbensinn!“

„Das bestreite ich! Uebrigens damals, Anno 1450, war es so Mode,“ verteidigte er sich.

„Und die dort daneben, die Hofdame mit dem Kränzlein im Haar, das ist – ja, das ist nun wirklich ähnlich. Heinz!“ jubelte sie jetzt, „die haben Sie mit Liebe gemalt, o ja, die Toni von Ribbeneck!“

„Mit was habe ich sie gemalt?“ fragte er lachend.

Aber sie antwortete nicht, sondern betrachtete königlich belustigt die Figur, diese Figur, die der Natur so köstlich abgelauscht war; das starke hochmütige Gesicht mit den blassen aufgeworfenen Lippen, die allzu breiten Schultern, die viereckige Taille und das dünne, zu einzelnen Strähnen aufgelöste Haar, auf dem das Blütenkränzlein saß. Die Guitarre im Arm schritt sie neben der Gräfin Breitenfels, der Ahnfrau der Herzogin, her.

„Es ist ein Jammer und ein Elend, Heinz, daß Sie nicht Maler geworden sind!“ rief das Mädchen endlich. „Satteln Sie um, machen Sie, daß Sie nach München oder sonst wohin kommen, und lassen Sie diese Ihre schöne Gabe nicht verkümmern!“

„Sie sehen ja, Aenne, daß ich ihn mächtig kultiviere, diesen Götterfunken!“

„Das sind doch nur Possen,“ antwortete sie und wies auf die Bilder. „Nun ’mal ganz im Ernst, Heinz, fühlen Sie sich denn wirklich glücklich in Ihrer gegenwärtigen Stellung?“

„Ja,“ sagte er fest, aber mit einem Schatten über dem hübschen Gesicht.

„Ja?“ fragte sie spöttisch. „Es muß ja allerdings ein erhebendes Gefühl sein, in Breitenfels ein zwanzig Mann starkes Corps zu befehligen, die Wachen vor den Thüren Ihrer Durchlaucht zu revidieren und mittags mit Helm und Schärpe der alten Excellenz zu melden, daß alles ruhig sei im Land und die Frau Herzogin ohne Gefahr ihr Mittagsschläfchen machen kann.“

„Er zieht nicht, Aenne, der Spott – das ist Dienst,“ erklärte er. „Ich bin mit Leib und Seele Soldat, wer daran je zweifelt, der – – ich möchte es keinem raten – – und sehen Sie, Aenne, dies Kommando finde ich obenein noch riesig nett!“ Und dabei setzte er sich auf den Tisch und sah ihr mit beredtem Blick in die Augen und lächelte.

Er war in seiner Art ein ebenso schönes Menschenexemplar wie Aenne May in ihrer, genau so frisch, so jung wie sie, leider auch ebenso arm, nur mitunter weniger zufrieden, was er aber nur sich selbst eingestand. Und das war ihm nicht übelzunehmen in Anbetracht seiner wirklich drückenden Familienverhältnisse.

„Haben Sie gut geschlafen, Spötterin, und ist Ihnen der Waldspaziergang gut bekommen?“ fragte er nach einer Pause.

Sie war glühend rot geworden. „Ja!“ flüsterte sie ausweichend. „Aber, bitte, sagen Sie mir, Heinz, wie spät es ist! Ich muß zur Probe punkt elf Uhr im roten Saale sein.“

„Noch viel Zeit, Fräulein Aenne, noch eine ganze Viertelstunde! Haben Sie die Gnade, nehmen Sie drüben Platz auf jenem Schemel und lassen Sie mir noch ein wenig Ihren Anblick – – behufs Verbesserung der mangelhaften Aehnlichkeit.“ Und während er zur Palette griff, sprach er immer zu ihr, ohne sie anzusehen. „Solchen Sonnenuntergang habe ich noch nicht erlebt wie gestern, Aenne, das war ja, als ob der ganze Wald in Feuer stände! Wenn man das malen wollte, es käme ein Gewirr von leuchtenden Farben auf die Leinwand, daß jedermann rufen würde: ‚Unmöglich! Ganz unmöglich! So was giebt’s nicht!‘ – Und wir da so mitten in dem Purpur auf der Lichtung – Sie hätten nur Ihr Gesichtel sehen sollen, Aenne, es war ja einfach reizend; und dann das Lied dazu, Sie wollten es erst gar nicht singen.“ Und er markierte die Melodie zu den Worten, während er den Takt mit dem Malstock schlug.

„O du purpurner Glanz der sinkenden Sonne,
Wie zauberhaft webst du um Flur und Hain;
Wie färbst du mit lodernder Rosenwonne
Das blasse Antlitz der Liebsten mein!

Diese Worte, die fanden sich wie von selber in meinem Kopf – für einen Lieutenant – das müssen Sie doch zugeben – gar nicht so übel, ja sogar famos! Und dann die Melodie – Ihre Lieblingsmelodie – ach – sehen Sie, Aenne, daß war so ein Lebensmoment, den man nie vergessen kann! Und wie dann die blaue Dämmerung kam und im Waldpfad dunkle Schatten auftauchten – Aenne, wissen Sie – – “ rief er entzückt.

„Ich weiß gar nichts mehr!“ unterbrach ihn das Mädchen, und als er sich, betroffen von ihrem Ton, umwandte, sah er, daß sie jäh errötet war und daß ihre Züge einen peinlich gespannten Ausdruck hatten. „Aber, Aenne, Sie sind mir böse? Mir, Ihrem alten Freunde?“ Und als sie schwieg, fuhr er fort: „Na, Aenne, wie lange kennen wir uns nun schon! Seit unserer Görenzeit, beinahe seit zehn Jahren, wo ich Schüler des Gymnasiums hier war. Ist es nicht genug, wenn wir uns feierlich ‚Sie‘ nennen, seit wir uns vor nun einem Vierteljahr als erwachsene Menschen wiedersahen? Gestern abend habe ich sogar – glaube ich – du – – Ach, Aenne, können Sie mir nicht verzeihen? Warum soll man denn – aber Aenne – was haben Sie nur?“

„Ich muß nun gehen,“ erklärte sie, sich langsam erhebend, blaß bis in die Lippen.

„Auf Wiedersehen denn, Aenne, heute abend; und daß Sie sich von keinem andern Menschen als von mir das Abendessen vom Büffett holen lassen – ich warne Sie! Und Aenne, geben Sie mir doch die Hand, seien Sie mir nicht böse, wegen gestern!“

Sie reichte ihm lächelnd die Rechte, aber dabei konnte sie es nicht hindern, daß ihr ein paar schwere Thränen aus den Augen fielen. Es war dies etwas so Ungewohntes, etwas, das so im Kontrast stand zu ihrem lachenden Mund, daß er sie wie ein Rätsel anstarrte, und als sie nun rasch aus der noch immer geöffneten Thür und unter den entlaubten Kastanien über die völlig einsame Terrasse schritt, da blieb er wie angewurzelt stehen und sah ihr nach, und noch lange, nachdem sie verschwunden war, stand er so. Dann strich er sich wie erwachend über die Stirn, betrachtete wie abwesend die Wandmalerei, die er wie weiland „Fludribus“ in Scheffels „Trompeter“ zu einem hohen Namenstage zu verbrechen im Begriff war, und setzte sich, ganz hingenommen von seinen Gedanken, auf den nämlichen Stuhl, von dem eben das junge Mädchen aufgestanden war.

Du lieber Himmel – Aenne May hatte geweint! Es war ihm, als seien mit diesen Thränen aus ihren Augen zugleich die Schuppen von seinen Augen gefallen; aber, wie konnte er denn auch denken – Aenne May und er! Er, der ärmste Lieutenant der gesamten deutschen Armee, den man höheren Ortes für ein halbes Jahr hierher kommandiert hatte, um ein wenig seinen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_003.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2016)