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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Daß er nicht „gestorben und verdorben“ sei, davon erfuhren seine ehemaligen Mitbürger durch die Zeitungen. Seit zwei, drei Jahren war er, nach langem Aufenthalt im Auslande, als berühmter Maler nach Deutschland zurückgekehrt, und Geld und Ehren genug flossen ihm zu, um seine ruhmdurstige Seele zu befriedigen.

Seine schöne Jugendliebe hatte ihm zuerst so heftig, so trostverschmähend nachgetrauert, wie man es bei siebzehn Jahren thut, wo man noch nicht erfahren hat, was die Zeit vermag – dann war sie ruhiger geworden, hatte sich bewegen lassen, wieder an Spiel und Tanz teilzunehmen, wie es ihren Jahren zukam, wobei die Empfindung wohl mächtig mithelfen mochte, daß sie keinem nachzutrauern gedachte, der sie so ganz aus seinem Gedächtnis gestrichen hatte. Käthe hatte anscheinend den ungestümen Leichtfuß ganz vergessen, der damals in die blaue Ferne gegangen war.

Daß sie aber nur anscheinend vergessen hatte, das wußte niemand besser als sie selbst!

Wie sie heute stand und sich vom Frühlingswind die dunklen Haare in die Stirn wehen ließ, da ging ihr wieder – zum wievieltenmal wohl! – die alte Zeit durch den Sinn, die sie so ganz verschmerzt zu haben glaubte.

„Wer einmal so war,“ dachte sie still bei sich, „der wird nie wieder ganz, was er war! Man ist eben immer wie ein Mensch, der eine tiefe, fast tödliche Wunde bekommen hat: sie kann sehr gut heilen, so heilen, daß die andern nicht mal mehr die Narbe sehen, und man denkt selber sehr oft: das ist nun ganz vorbei und ganz gut. Dann kommt aber das Frühjahr – oder der Herbst – ein gewisser, kühler Sonnenschein – bestimmte Farben – es kommen Tage, die immer wie eine leise, traurige Melodie an früheres Glück, vergangene Seligkeit mahnen – und dann rührt sich’s in der alten Wunde!“

„Aber ich will nicht mehr!“ sagte sie plötzlich laut vor sich hin, „ich will jetzt wieder vergnügt sein ohne Rückblick, ich will mein Leben noch einmal in beide Hände nehmen und ihm eine vernünftige Gestalt zu geben versuchen – es wird schon gehen!“ Und mit einem raschen Entschluß warf sie ihren Spaten fort und ging zu ihrem Vater hin, der eben beschäftigt war, die neuen Setzlinge zu begießen – vorsichtig und gemächlich, damit keiner zu viel und keiner zu wenig bekäme. Die Unterredung zwischen Vater und Tochter, zu der auch die Mutter, ein feines, stilles, altes Dämchen, ihr Wenn und Aber, ihr Ja und Nein hinzuthat, hatte ein ganz überraschendes Resultat, das wir im Verlauf unserer Geschichte genau und wahrheitsgetreu erfahren werden.


Es mochten nun so drei bis vier Wochen seit jenem Frühlingsmorgen dahin gegangen sein; die Bäume hatten schon einen zarten, grünen Schleier, und der kräftige Duft der sprießenden Kräuter und Bäume erfüllte nach einem Regentage die Luft und verstärkte sich noch, als die Sonne untergegangen war und der klarste Vollmondschein sich weich und schimmernd auf die Zackengiebel der alten Häuser und in die engen Straßen der Stadt hinein legte mit seinem schmeichlerischen Licht, das alles verschönt, versilbert und mit Zauber umkleidet, was bei grellem Sonnenlicht nüchtern und alltäglich dreinschaut. Durch die mondweißen Straßen rasselte schwerfällig und müde die Postkutsche; jetzt kam sie auf den Markt vor das schöne, alte Rathaus, dessen strenger Gotik die klare Beleuchtung so besonders prächtig zu Gesicht stand, und nun setzte der Postillon sein Horn an den Mund und blies die altbekannte Weise

„Ach du mein lieber Gott,
Muß ich schon wieder fort –
Auf die Chaussee – ohne Kaffee!“

in die Frühlingsnacht hinaus und in die kleine Stadt hinein.

Der einzige Insasse des Wagens versuchte es, mitzusummen so gut es gehen wollte. „Ob das wohl in meiner Heimat ein erbliches Leiden ist, daß die Postillone so mörderlich falsch blasen?“ dachte er mit einer Art schmerzlicher Empörung in sich hinein. „Als ich ein kleiner Junge war, thaten sie es auch schon, und in meiner sentimentalsten Zeit hat mich so ein Kerl auus aller Sentimentalität heraus und in die hellste Wut hinein geblasen; derselbe kann es doch unmöglich mehr sein!“

Es lag eigentlich kein vernünftiger Grund dagegen vor, daß es noch derselbe war! Zwölf Jahre waren erst vergangen, seitdem der Reisende – kein anderer als Peter Hansen – mit französischem Abschied davon gerannt war, und warum sollte ein Postillon, der in jenen Tagen vielleicht ein junger Kerl von vierundzwanzig Jahren war, nicht heute als munterer Sechsunddreißiger sein Stücklein auch ebenso fidel und falsch vom Bock herunter blasen wie damals?

Aber Peter Hansen ging es, wie es den meisten Leuten geht; er selbst hatte sich so verändert in der Welt draußen, daß er meinte, alles andere müsse sich mit ihm verändert haben, und nun mit einer Art ungläubigen, freudigen Staunens bemerkte, wie wenig das der Fall sei.

Denn das weltferne Heimatstädtchen war sich merkwürdig ähnlich geblieben; nur viel größer und imposanter hatte es in der Erinnerung des Zurückkehrenden gestanden; die Erinnerung hat bekanntlich ein starkes Vergrößerungsglas.

Da war ja auch das Wirtshaus „Zum Lamm“ noch! Es hatte sich aber inzwischen als Zeichen der

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 849. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0849.jpg&oldid=- (Version vom 7.6.2023)