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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Wenn schon kein glänzendes Fest, so hatte Elfe wenigstens eine öffentliche Trauung in der Kirche bei Bräutigam und Eltern durchgesetzt. Wozu hatte Walden ihr sonst wohl die Robe von Silberbrokat geschenkt, wenn niemand sie sehen sollte? Was ihr besonders wertvoll war, von aller Welt angestaunt, bewundert und beneidet zu werden – darauf konnte sie doch nicht verzichten; dem Tage wäre ja sonst der Hauptreiz genommen gewesen! Und daß es dem feineren Gefühl ihres Bräutigams ganz und gar entgegen war, sich und seine Braut gewissermaßen zu einer Schaustellung herzugeben, darauf nahm sie keine Rücksicht weiter.

Und eine Schaustellung wurde es denn auch. Sonst pflegte man Karten für die Kirche an Freunde und Bekannte auszugeben, hier wurde auf Elfes ausdrückliches Verlangen der Eintritt jedem gestattet, und die halbe Stadt, wenigstens der weibliche Teil derselben, machte davon Gebrauch und ging hin, um die schöne, junge Braut und ihre großartige Toilette zu bewundern und dann freilich auch einige leise Bemerkungen über den Bräutigam und über das unpassende Paar überhaupt zu machen. Walden, der sich das Geflüster um ihn ganz richtig deutete, geriet dadurch in eine peinliche Stimmung, die wenig zu dem weihevollen Augenblicke paßte; Elfe aber, die vielleicht bei diesem ernsten Akte in anderer Umgebung zu einem tieferen Gedanken gekommen wäre, ließ sich durch den unverkennbaren Beifall, der ihr aus den vielen tausend Augen entgegenleuchtete, so hinnehmen, daß nur die Sorge, ob auch Schleppe und Brautschleier den richtigen Faltenwurf hätten, in ihrem Denken Platz gewann.

Nach dem im engsten Familienkreise eingenommenen Diner trat das junge Ehepaar sofort seine Hochzeitsreise an, und Elfe ging ohne irgend eine tiefere Empfindung aus dem Elternhause, in dem sie so viel thörichte, aber doch innige und aufopferungsfähige Liebe empfangen hatte. –

Nach diesem Tage trat im Brücknerschen Hause eine verhältnismäßig ruhige Zeit ein, die allen Familienmitgliedern gleich angenehm und ersehnt war. Der März war nun auch da, linde Lüfte wehten schon in der Mittagsstunde und erweckten Lenzeshoffnungen und Frühlingsgedanken, die doch am schnellsten allen winterlichen Freuden und dem Geschmack daran ein Ende machen. So war auch von dieser Seite keine Störung der häuslichen Stille zu befürchten, und sowohl das Elternpaar als Lisbeth genossen die eingekehrte äußere Ruhe mit rechtem Behagen.

Für Lisbeth sollte die kommende wärmere Jahreszeit ohnehin die große Freude bringen, Frau Gertrud und ihr Kindchen wiederzusehen. Auf den dringenden Wunsch der alten Frau Römer hatte ihr Sohn sich entschlossen, Frau und Kind ins Elternhaus zu längerem Aufenthalte zu bringen, da sein Beruf ihn jetzt viel von Hause fern hielt und die junge Frau nicht frisch und kräftig genug war, um in der fremden Stadt sich einen Kreis zu schaffen, der ihr auch nur entfernt die Beziehungen, die sie in der Heimat zurückgelassen hatte, ersetzte.

Wenn ihr Gatte bei ihr war, vermißte sie nichts und täuschte durch die freudige Erregung, in welcher sie sich in den wenigen Tagen seiner Anwesenheit befand, auch ihn über ihren Zustand. Aber sein Amt hielt ihn fast immer von seinem Amtssitze fern, und die Einsamkeit, in der sie lebte, die Sehnsucht nach ihm und den Ihren war dann so stark, daß ihr ohnehin zarter Körper darunter litt. – Die alte Frau Römer schüttelte immer sorgenvoller das Haupt, wenn ihr solche Nachrichten zukamen.

„Gertrud,“ sagte sie dann, „giebt sich wieder gar zu sehr ihren schwärmerischen Neigungen hin, die sie zur Sentimentalität führen. Wie darf eine Frau, die ihren eigenen Haushalt zu versehen hat und solch ein süßes Kind besitzt wie klein Lieschen, sich in so krankhafter Weise nach ihrem Manne sehnen! Das kann nur mit ihrem körperlichen Befinden zusammenhängen.“

„Bringe sie uns nur her,“ sagte sie zu ihrem Sohne, „sie kann wieder ihr Mädchenstübchen beziehen, und wir wollen sie schon gesund pflegen, wenn Du sie den Sommer über uns lassen willst.“

Arnold hatte eifrig beigestimmt und den Tag der Reise so früh als möglich festgesetzt. Da gab’s für Lisbeth wieder Arbeit bei Römers. Sie ließ es sich nicht nehmen, Gertruds Zimmer selbst einzurichten, und die alte Wiege, in der die Frau Rektor einst ihr Söhnchen geschaukelt und die nun dessen Töchterchen bergen sollte, wurde von ihr mit einem grünen Kranze umwunden. Noch waren beide damit beschäftigt, es für die lieben Gäste so bequem und behaglich wie möglich zu machen, als bereits der Wagen vorfuhr, der diese brachte, und groß war die Freude des Wiedersehens, zumal das liebliche Kindchen sich gar herzerfreuend entwickelt hatte und die heitere Erregung und fröhliche Geschäftigkeit auch seine Mutter gesund und frisch erscheinen ließ.

Am anderen Morgen freilich, als Lisbeth hinüber gelaufen kam, um nach Gertrud zu sehen, die nun schon wieder Abschied von ihrem Gatten genommen hatte, fand sie diese recht blaß und so schmal und mager geworden, wie sie es kaum in ihrer schweren Krankheit gewesen war, und Frau Römer flüsterte ihr bekümmert zu: „Es ist doch nicht so gut um Gertrud bestellt, wie ich gestern abend hoffte. Aber die Ruhe und Pflege, die sie hier haben soll, beugen hoffentlich einem größeren Uebel vor.“

Und Gertrud meinte, als sie mit Lisbeth allein war: „Rede doch nur Mama zu, daß sie mich nicht zu sehr mit Vorsichtsmaßregeln plagt; ich liebe das gar nicht. Man wird dadurch nur ängstlich und nervös. Im Grunde fehlt mir gar nichts; ich war schon als Mädchen schwächlich und bin es auch jetzt, aber darauf braucht niemand Rücksicht zu nehmen. Jetzt fragt sie mich immer, seit wann ich huste, und ich weiß es gar nicht; wer achtet denn groß auf eine kleine Erkältung!“

Und Lisbeth redete auch in diesem Sinne mit den beiden Alten, und es gelang ihr, die Sorgen, die sie fühlten, zu mildern. In erster Reihe war es freilich das Werk der kleinen Liesel, daß trübe Gedanken im Römerschen Hause jetzt keinen Raum einnehmen konnten, denn so jung Liesel noch war, so lebhaft verstand sie es schon, alle um sich festzuhalten und zu beschäftigen, und ihr Lachen und Jauchzen hörte man so lange, als ihre Aeuglein offen standen. Die Großeltern waren förmlich verliebt in dieses süße kleine Menschenkind und beeifersüchtelten sich gegenseitig, wenn es einmal besonders herzlich seine Aermchen dem einen oder anderen hinstreckte. Der Herr Rektor trug jede Minute, die er seinem Dienste abmüßigen konnte, sein Enkelchen auf dem Arm, und wenn es schlief, saß er ruhig neben der Wiege, um auf des Kindes Erwachen zu warten. Ebenso drehten sich natürlich der Großmutter Gedanken vor allem um dieses kleine Geschöpfchen, das ganz besonders in dieser Zeit, durch die kleinen Wunder der Entwicklung, die ja stets neu und staunenswürdig sich in jeder Kinderstube ereignen, eine Merkwürdigkeit ersten Ranges war.

Die Sorge um die junge Frau trat darüber um so leichter in den Hintergrund, als diese wirklich sich zunächst infolge der Befriedigung ihres Gemüts, die sie über dem allen genoß, zusehends erholte und rosiger und frischer erschien als seit lange.

Lisbeths liebewarmes Herz hegte ohnehin seit längeren Wochen eine innige Teilnahme mit einer anderen, die sie allmählich immer mehr ihre kindliche Fröhlichkeit verlieren sah. Mit welcher Wonne, mit welchem Interesse hatte Fräulein Annie von Giersbach ihr Debüt als Ballnovize im Herbste gefeiert, und in welchem strahlenden Lichte waren ihr alle die ersehnten Herrlichkeiten erschienen, denen sie schon nach wenigen Monaten mit unverhohlener Gleichgültigkeit den Rücken wandte. Sie hatte nicht mehr nötig, dem Papa den Besuch eines Balles abzuschmeicheln; es war schon wiederholt geschehen, daß er einen solchen in Vorschlag gebracht, sie aber darauf dankend, unter dem Beifall der Brüder, geantwortet hatte: „Es ist doch zu Hause viel schöner.“

Freilich war es bei Giersbachs sehr schön. Der Oberst, der in Wahrheit der Herr im Hause war, kannte auch nichts Besseres als eben dieses Haus. Für ihn gab es nichts Wichtigeres – nächst seinem Dienste natürlich – als die Interessen seiner Familie, und obwohl seine brummige und polternde Art Fernstehende täuschen konnte und vielleicht auch die Seinen ab und zu erschreckte – im Grunde wußten sie doch, welch ein weiches warmes Herz sich in dieser rauhen Hülle verbarg. Das engste Zusammenleben der Familienmitglieder war ihm Bedürfnis; er machte durchaus Anspruch darauf, bei allen kleinen häuslichen Ereignissen Mitberater zu sein, und zögerte auch nicht, einen dienstlichen Aerger oder Verdruß, den er gehabt, mit den Seinen zu teilen, um sich die Sorgenfalten von der Stirn streicheln zu lassen. Gesellschaftliche Rücksichten kamen bei ihm erst in zweiter Linie, wenn er es auch verstand, seiner Stellung Rechnung zu tragen. Er nahm das auf sich, wie er jede Pflicht erfüllte, und er hatte seine Gattin gelehrt, auch so zu denken und danach zu handeln; der Schwerpunkt seines Lebens lag aber nicht in diesen äußeren Dingen. Seinen Söhnen sprach er täglich davon, daß der Adel der Gesinnung mehr wert sei als der älteste ererbte adlige Name, und daß Redlichkeit und

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