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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

weitere Unternehmungslust der Regierung bei der Hallig Langeneß-Nordmarsch. Auch hier wurde mit granitner Uferabböschung begonnen und die gefährdete Werft Hilligenlei für immer gesichert, die Fortführung der Arbeiten stieß aber auf den bedauerlichen Widerstand einiger Landbesitzer, worauf die Regierung ihre wohlwollenden Absichten aufgab. Es kann daher nicht wunder nehmen, daß die Bitten um Wiederaufnahme der Arbeiten, mit welchen ich im Hinblick auf die mitleiderregende Lage und die unbestreitbare Wichtigkeit der Halligen als Wellenbrecher für die in ihrem Schutze liegenden Seedeiche seit 1889 vorstellig wurde, erst dann Gehör fanden, als sorgfältige Prüfungen und Vermessungen des Ministeriums der öffentlichen Arbeiten von der evidenten Zweckmäßigkeit des Unternehmens überzeugt hatten. Es sind jetzt zunächst 1320000 Mark in den Etat eingestellt, mit welchen in fünfjähriger Bauzeit ein Faschinendamm vom Festlande nach der Hallig Oland und von da nach Langeneß geführt werden, beide Inseln aber durch Granitufer gegen weiteren Abbruch geschützt werden sollen.

Sobald sich diese Anlagen bewähren, woran nicht im mindesten zu zweifeln ist, sollen die beiden kleineren Halligen Gröde und Habel in der gleichen Weise behandelt werden, hoffentlich aber auch Nordstrandisch Moor, das sich durch seine Lage in gleich günstiger Weise dafür eignet, wie aus dem beigegebenen Kärtchen zu ersehen ist. Ist das geschehen, so ist der Grund gelegt zu neuen Kögen im Umfange von 19- bis 20 000 ha und im Werte von etwa 50 Millionen Mark, auf die allerdings in ungefähr SOjähriger Arbeitsperiode 15 bis 20 Millionen Mark, einschließlich der Zinsen, zu verwenden sein dürften. Mögen sich diese Zahlen in der Praxis günstiger oder ungünstiger gestalten, unter allen Umständen wird sich ein ansehnlicher Gewinn dabei ergeben, der endlich dazu führen dürfte, die quadratmeilengroßen Wattenflächen um Hooge, Norderoog, Süderoog, Südfall, Pellworm und Nordstrand in gleicher Weise in Angriff zu nehmen und die oben genannten Halligen in ihrem Bestande zu sichern. Auf diesem Arbeitsfelde werden sich dann voraussichtlich ernstere Schwierigkeiten einstellen, weil mit der zunehmenden Einengung der großen Wattenströme die Gewalt und Richtung des ab- und zuströmenden Meerwassers sich verändern dürfte, indessen verfügt die Wasserbaukunst jetzt doch über hinreichende Mittel, die Kraft des strömenden Wassers zu brechen, wie die großartigen Weserkorrektionen des Oberbaudirektors L. Franzius in Bremen bewiesen haben. Geringere Mühe wird es bereiten, die vortrefflichen Watten südlich von der Eidermündung und in der Meldorfer Bucht abzudämmen, denen man nur zu Hilfe zu kommen braucht, um bei dem Zusammentreffen der massenhaften Sinkstoffe aus Eider und Elbe wahrhaft glänzende Resultate zu erzielen, so daß dann nur noch das nördliche Arbeitsfeld bei Amrum, Föhr, Sylt, Jordsand und Röm übrig bliebe, um mit seiner Eroberung ein großartiges Friedenswerk abzuschließen, welches der preußischen Verwaltung unvergänglichen Ruhm, eine kleine neue Provinz und einen nach Millionen zählenden Bargewinn eintragen würde.

Daß die Verbindung von Röm, Jordsand und Sylt mit dem Festlande möglich ist, unterliegt ebensowenig einem Zweifel wie die Möglichkeit des Anschlusses von Amrum an Föhr, von Norderoog an Hooge, von Hooge und Süderoog an Pellworm und von Südfall an Nordstrand, ja, es ließen sich auch Föhr und Nordstrand an das Festland ketten, nur ist bei ihnen ebenso wie bei Sylt zunächst noch Rücksicht auf die Schiffahrt zu nehmen, die schon durch den Damm von Oland nach Langeneß Unbequemlichkeiten erleidet.

Die hervorragende Rentabilität solcher Wattenarbeiten bestätigte mir freundlichst Herr L. Franzius in einem eingehenden Gutachten vom 25. September 1891, worin er bereits die gedachten Verbindungen empfahl und zugleich die Notwendigkeit betonte, die bisher schutzlosen Halligen als Stützpunkte des ganzen Systems durch direkte Uferwerke gegen weitere Zerstörung zu sichern. Alles das hat nun durch den hochherzigen Entschluß der preußischen Regierung an Wahrscheinlichkeit der Ausführung gewonnen; wir stehen nach der jahrtausendelangen Periode der Zerstörung an der Schwelle einer neuen Entwicklungsphase der Nordsee-Küstengebiete, denn ist erst einmal ein so bedeutender Anfang gemacht, so wird die Regierung gewiß nicht mitten auf ihrer Siegesbahn innehalten. Die Verhältnisse liegen zudem bei uns erheblich günstiger als in der Zuidersee, denn Preußen braucht nur ausgereiftes, auf natürlichem Wege entwässerbares Land in seine Deiche zu ziehen und verhältnismäßig geringe Mittel dafür aufzuwenden, während die holländischen Polder für ungeheure Summen auf 5 bis 6 m tief liegendem Seegrund angelegt werden müssen.


Der laufende Berg.

Ein Hochlandsroman von Ludwig Ganghofer.

 (17. Fortsetzung.)

14.

Der Morgen brachte einen Märztag, so warm und sonnig und lüfteblau, als käme der Mai schon über die Berge gezogen.

Mit jeder Stunde konnte man sehen, wie der Schnee auf den Almen schmolz und um weite Strecken gegen die Felsen zurückwich. Ueber alle Wände und Halden stürzten mit fröhlichem Rauschen die silbernen Bäche zu Thal – nur auf den Gehängen des laufenden Berges blitzte kein Schneebach und rauschte kein Wasser. Dafür aber wälzten sich in der Thalsohle die wachsenden Wassermengen mit dumpfem Tosen aus den unterirdischen Gängen des Berges hervor, erweiterten mit jeder Minute die Mündungen der Höhlen, überschwemmten die Straße und vermurten weite Wiesenstrecken mit dem Kies und Schlamm, den die fressenden Wellen aus dem Innern des Berges hervorwuschen.

Die Leute, deren Aecker von der Ueberschwemmung bedroht waren, hatten schon früh am Morgen die Arbeit begonnen und warfen Gräben aus, um dem angestauten Wasser einen Abfluß zu schaffen. Nur auf den frisch bestellten Saatfeldern, die zum Purtschellerhof gehörten und von welchen eines schon halb unter Schlamm und Geröll versunken lag, war niemand bei der Arbeit.

Um acht Uhr, als der Altknecht seinem Herrn die Nachricht von der den Feldern drohenden Gefahr bringen wollte, lag Purtscheller noch im Bett und mußte geweckt werden. Er konnte sich kaum ermuntern und brummte in seinem Dusel: „Net einmal im Bett hat man sein bißl Ruh’! Schauts halt, was z’ machen is … da brauchts ja mich net dazu! Oder meinetwegen holts den Mathes! Der wird schon Rat schaffen!“ Sprach’s und drehte sich auf die Seite, um die fünf Flaschen Tiroler, die er in der Nacht beim Hazardspiel ausgestochen hatte, völlig aus seinem sumsenden Kopf hinaus zu schlummern.

Gegen halb elf erwachte er und machte Spektakel um sein Frühstück. Als er verdrossenen Gesichtes und mit der Hand an der Stirn aus der Schlafkammer trat, war der Tisch schon gedeckt, und eben wollte die alte Magd die Stube verlassen.

„Natürlich! Gleich in aller Früh muß ich wieder ein altes Weib anschauen! … Wo is denn die Frau schon wieder?“

„Mit die Leut’ zur Arbeit auf d’ Felder ’naus!“

„Was der alles einfallt! Wär’ g’scheiter, sie blieb’ daheim und thät’ schauen, daß ich mein Sach in der Ordnung krieg’!“

„Aber ich bitt’, Herr, schauen S’ doch den Tisch an! Sie haben ja alles!“

„No ja!“ brummte Purtscheller. „Mir geht halt was ab, wenn d’ Frau net daheim is!“ Er schob sich hinter den Tisch.

„Und wo is denn der Kleine?“

„Den hat d’ Frau zur Nachbarin ’nüber’geben!“

„Was? Das is wohl die neueste Mod’? Als ob’s Kindl daheim net am besten aufg’hoben wär’! … Jetzt fahr’ ab! B’hüt’ Dich Gott!“

Während Purtscheller seinen Kaffee schlürfte, den Schinken kaute und die weichen Eier auslöffelte, tauchte verschwommen die Scene des vergangenen Abends vor seinen Gedanken auf. Ohne viel zu brüten oder sonderlichen Kummer zu verspüren, fühlte er doch, wie gewöhnlich nach solchen Auftritten, eine gelinde Anwandlung von Reue über die Roheit, zu der ihn sein Jähzorn hingerissen hatte. „Aber sie weiß ja doch, daß ich’s net so mein’,“ tröstete er sich, „und daß ich hintnach wieder der beste Kerl bin!“ Bei diesem halben Nachdenken erschien es ihm „merkwürdig“, daß er, der doch sonst gegen alle Menschen „so seelengut“ war, gerade seiner Frau gegenüber immer und immer in diese „schauderhaft aufgeregte“ Stimmung geriet! Aber das hatte er nun einmal so an sich – wie man seine Nase, seine großen oder kleinen Ohren, seine braunen oder blonden Haare hat! Damit mußte seine Frau

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 699. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0699.jpg&oldid=- (Version vom 30.7.2023)