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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

ich es nächst Gott. Du warst stets bei mir - ich habe Dich immer gesehen, am Tage und in der Nacht, und Deine Gegenwart gab mir die Ruhe.“

Sie langte nach der Hand der Freundin und hielt sie mit ihren blassen, abgezehrten Händen fest, während sie still vor sich hin sann.

„War ich sehr krank, Lisbeth?“

„Ja, Trudchen, recht sehr, aber denke nicht mehr daran, das ist ja nun vorbei!“

„Habe ich sehr gefiebert und phantasiert?“ fragte sie weiter, während eine hohe Röte über ihr Gesicht zog und ihre Augen mit forschendem Ausdruck auf Lisbeths Antlitz hafteten.

„Nur eine Nacht, und schon gegen Morgen kam die Wendung zum Besseren.“

„Und es hat niemand gehört, was ich phantasierte?“

„Niemand sonst, wir waren allein – und ich weiß es auch nicht mehr, womit sich Dein Geist beschäftigte. Wer kann die unzusammenhängenden Worte eines Fieberkranken festhalten?“

Die Spannung auf dem blassen Gesicht verschwand, ein Lächeln fand darauf Platz: „Du Gute, Liebe – wir wollen nie mehr von diesem bösen Tage reden. Nun hole mir meinen Mann und mein Kind!“

Von dieser Stunde an ging es sichtlich vorwärts. Bald stand die Wiege neben ihrem Bette, Arnold durfte die ganze Zeit, die er seinen Amtsgeschäften abmüßigen konnte, bei ihr zubringen, und sogar die alte Frau Rektor wurde an jedem Morgen, in einem Lehnstuhl sitzend, in dieses Zimmer gerollt und auf dem Sopha gebettet, denn auch bei ihr hatten diese Wochen so günstig gewirkt, daß sich in nicht ferner Zeit eine völlige Genesung erwarten ließ.

Mittlerweile waren die Briefe von Hause, die an Lisbeth kamen, von Mal zu Mal dringlicher geworden und verlangten immer stürmischer ihre Rückkehr. Die Frau Geheimrätin schrieb, Leos Examen stünde in allernächster Zeit bevor, und sobald er wieder zu Hause sei, sollte der große Ball zur Eröffnung der Saison vom Stapel gehen, der nur wegen seiner Abreise aufgeschoben worden sei. Von ihrem Vater erhielt sie einen Brief mit allerlei Andeutungen, die sie sich nur so zu erklären wußte, daß der Berliner Aufenthalt ihres Bruders den Vater mit außergewöhnlichen Sorgen belastet haben müsse, und Elfe würzte die Briefchen, die sie nur in den seltensten Fällen zu verfassen pflegte, so sehr mit geheimnisvollen Hinweisen auf ein kommendes wichtiges Ereignis, daß Lisbeth sich schließlich völlig beunruhigt fühlte und selbst dringend heim verlangte.

Im Hause ihrer Freunde war sie ja wohl nun abkömmlich, da die junge Hausfrau wieder auf ihren Füßen stand und auch die alte Frau Römer mit Hilfe eines Stockes im Zimmer zu gehen vermochte.

Es war aber doch ein schweres Scheiden. Solche in Angst und Schmerzen verlebten Zeiten ketten die Herzen fester aneinander als jedes andere gemeinsame Erlebnis. Sie liebte ihre Eltern und Geschwister zärtlich, aber Rat oder Stütze würde sie nicht von ihnen verlangt haben. Desto mehr davon erwartete dort jeder von ihr, immer war sie die Gebende, die nicht Zeit finden konnte, an sich selbst zu denken. Welch’ ein Segen, neben einem Manne wie Arnold zu stehen, der das Bewußtsein des Rechts so unerschütterlich fest in sich trug und dem das Gute und Rechte immer das Selbstverständliche war – neben einer Frau wie seine Mutter zu leben, die so viel Milde mit Klugheit verband und stets das richtige Wort fand, um das verzagte Herz aufzurichten und auf den rechten Weg zu führen! Und dann das Kleine, ihrer lieben Gertrud süßes Baby – gewiß, dem galten in erster Reihe die Thränen, die bei der Rückreise unaufhörlich ihr Gesicht befeuchteten und sich gar nicht stillen lassen wollten. Wie lieblich es war, wie rund und zart und rosig! Wie wohlig es sich streckte und dehnte, wenn sie es in das warme Wasser gelegt und dann frisch gebettet hatte! Und wie das Mündchen sich schon zum Lächeln verzogen und die Händchen, die winzigen, weichen Händchen so sanft über ihr Gesicht gestreift hatten! Ach, die Händchen – die Kinderhändchen – wie fest sie halten, was sie ergreifen, am festesten wohl das Frauenherz! Ob das ihre noch einmal aufhören würde, so zu schmerzen, ob wohl einmal die Sehnsucht nach diesem kleinen Wesen, welches sie mit seines Vaters Augen angesehen hatte, sich mildern würde? – –

Die Ihrigen empfingen sie nicht am Bahnhof, aber Schmidt war da, in Livree, besorgte den Wagen und brachte sie mit einer strahlenden Triumphmiene nach Hause. „Endlich – endlich!“ scholl es ihr dort von allen Seiten entgegen, geöffnete Arme streckten sich nach ihr aus, und als sie, gehätschelt und geliebkost, von einem zum andern ging, empfand sie eine drückende Reue darüber, daß nicht die gleiche Sehnsucht, die man hier nach ihr empfunden, sie zurückgeführt hatte ins Elternhaus. (Fortsetzung folgt.)


Die Wettsucht in England.

Von Hugo Möder.

Das Lotteriespiel, wie es in Deutschland gang und gäbe ist, kennt man nicht in England. Das Gesetz unterdrückt jedes Glücksspiel mit eiserner Faust und verbietet selbst Lotterien für wohlthätige Zwecke. Der Engländer, der wie jedes Menschenkind in sich den Drang fühlt, das Glück zu versuchen, bemüht sich daher auf anderem Wege dies Ziel zu erreichen, und wirft sich mit ganzer Seele aufs Wetten. Er kommt dabei aus dem Regen in die Traufe; wie ein Krebsschaden zehrt dieses Laster am Körper der Nation, und Tausende beendigen ihre Laufbahn im Bankbruchshofe, im Armenhause, oder durch Selbstmord, als Opfer des Wettens. Im Unterhause hat sich eine besondere Partei gebildet, die sich die Aufgabe stellt, die Zusendung der Cirkulare der deutschen Lotterien, die in England massenhaft durch die Post verbreitet werden, zu unterdrücken. Der bedauernswerte Oberpostmeister soll alle Cirkulare durchsehen und, falls sie von einem deutschen Lotterieagenten kommen, sie allesamt in den Papierkorb wandern lassen! Bis jetzt aber hat sich noch keine Partei im Parlamente gebildet, um den „Buchmachern“ auf den Sportplätzen den Krieg zu erklären, denn die Herren Gesetzgeber wetten ja selbst. Und so bewährt sich wieder das Sprichwort: „Die kleinen Diebe hängt man, die großen läßt man laufen.“

Schlecht ergeht es auch dem englischen Händler, der aus der Gewinnsucht des Volkes Nutzen zu ziehen sucht, indem er die Käufer mit einem Gewinne anlockt; schnell faßt ihn die Polizei beim Kragen und legt ihm das Handwerk. Hier einige Beispiele! Ein Theekrämer in Birmingham war auf den gescheiten Gedanken gekommen, mit jedem Pfunde Thee dem Kunden eine Anweisung auf 10 Pfund Sterling zu verabreichen, die er einzulösen versprach, sobald er 100 000 Kisten Thee verkauft hätte. Großartig war der Erfolg dieser Reklame; ganz Birmingham eilte zu dem Laden des unternehmenden Geschäftsmannes, dessen Theeumsatz von 7 Pfund wöchentlich auf 33 000 Pfund stieg. Der Spaß währte aber nicht lange; die Polizei belangte den Händler gerichtlich, wegen Uebertretung des Lotteriegesetzes; und er wurde mit 30 Pfund Sterling Geldstrafe belegt, nachdem der Richter sorgfältig berechnet, die stipulierte Anzahl von Kisten Thee könne erst in etwa 100 Jahren abgesetzt werden, und die Nachkommen des pfiffigen Krämers würden dann Anweisungen einzulösen haben, deren Wert den der englischen Nationalschuld überstiege!

Monatelang vermehrte eine Londoner Wochenschrift die Zahl ihrer Leser und ihr Einkommen im großartigsten Maßstabe, indem sie eine sogenannte „missing word competition“ (d. h. „die Suche nach dem fehlenden Worte“) veranstaltete. Die Regeln dieses Glücksspiels waren im höchsten Grade einfach. Dem Leser wurde ein Satz vorgelegt, der etwa folgendermaßen lautete: „Herr Gladstone ist ein – Mann“; sein Ziel ward es nun, den Gedankenstrich durch das richtige Wort zu ersetzen, denn die richtige Lösung brachte dem Glücklichen 200–300 Pfund Sterling ein. Die Mitbewerber sandten das von ihnen gewählte Wort mit einer Postanweisung auf einen Schilling an den Redakteur des Blattes, und das auf diese Weise gesammelte Geld wurde darauf an den Finder

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 692. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0692.jpg&oldid=- (Version vom 22.3.2023)