Seite:Die Gartenlaube (1896) 0663.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

rettete sich erschrocken mit einem Sprung ins Freie – und Mathes mußte kommen, um das scheue Tier zu bändigen. Als er ihm den Halfter angelegt und die Decke umgeschnallt hatte, sagte er: „Herr Purtscheller! Ich möcht’ Ihnen raten, daß S’ den Gaul wieder weggeben! Und wenn ’s mit Schaden is!“

Purtscheller lachte. „Ah na! Daß ich so ein’ Wildling zwing’, das prickelt mich grad’!“

Und wirklich, die erste Bändigungsprobe, welche Purtscheller am nächsten Morgen unternahm, fiel glücklich aus; wenigstens kam er von seiner Schlittenfahrt ohne nennenswerten Unfall nach Hause.

So hatte er nun doppelte Freude an seinem „Lüftikus“ und widmete dem „Training“ des Pferdes jeden Tag, den ihm nicht die Jagd oder ein Zimmerstutzenschießen wegnahm. Da er bei diesem Treiben, das ihn Woche um Woche vom Hause ferne hielt, nur selten einen Blick in die Wirtschaft warf, mußte er, wenn er sich wirklich einmal zu einem Besuch der Ställe und Scheunen herabließ, mit Staunen all das Neue und Gute gewahren, das Mathes in der Zwischenzeit mit rastlosem Fleiß geschaffen hatte. Fast von Woche zu Woche wuchsen die Beträge, welche Purtscheller von den Händlern für Milch und Butter verrechnet erhielt – und dank der strengen Sparsamkeit, mit welcher Mathes bei der Fütterung hauste, ließ sich hoffen, daß man trotz des Brandes, welcher eine der vollen Scheunen aufgefressen hatte, ohne Futterankauf über den langen Winter wegkommen würde. Und da Mathes auch nur selten Geld verlangte – nur dann, wenn es eine dringende, nicht mehr zu vermeidende Anschaffung galt – so war Purtscheller mit dem Lauf der Dinge zufrieden und kam mit seinem neuen Maier ganz leidlich aus. Trotz der vorsichtigen Art, in welcher Mathes seinen Herrn behandelte, ging es aber bei Purtschellers reizbarem Naturell und bei seiner Gewohnheit, zur Unzeit den Herrn herauszukehren, so ganz ohne kleine Reibereien doch nicht ab. Und es wäre wohl manchmal zu einer bösen Scene gekommen, hätte Mathes nicht die Ueberwindung gefunden, Purtschellers aufbrausende Grobheiten schweigend hinzunehmen. Zu Anfang hatte er wohl diese verletzenden Heftigkeiten mit ernsten Worten von sich abgewehrt – doch seit er bemerkt hatte, daß Purtscheller, der dieser besonnenen Ruhe gegenüber den Aerger nicht völlig zu entladen wagte, seinen verhaltenen Jähzorn ins Haus trug, um ihn an seiner Frau zu kühlen – seit dieser Zeit ließ sich Mathes auch die kränkendste Ungerechtigkeit geduldig gefallen. Höchstens, daß er sagte: „Sie wissen net, was S’ reden, Herr Purtscheller!“

In all diesen Wochen fand Karlin’ nur selten Gelegenheit, mit Mathes ein paar Worte zu wechseln. Er war vor dem Morgen auf und hatte bis spät in die Nacht zu schaffen. Häufig auch fehlte er beim Mittagstisch und ließ sich, wenn er gerade eine Minute Zeit hatte, in der Küche einen Bissen reichen. Und da glaubte Karlin’ zu bemerken, daß er geflissentlich jede Begegnung mit ihr zu vermeiden suchte. Weshalb denn nur? Das verstand sie nicht! Und eines Tages sprach sie ihn deshalb an.

„Mathes? Was hast denn? Warum thust denn so fremd? Schau, ich kenn’ Dich ja gar nimmer! Und meiner Seel’, ich hab’ Dir doch g’wiß nie ein Wört’l g’sagt, das Dich verdrießen hätt’ können?“

„Na! G’wiß net!“

„No also, schau! Und wie stellst Dich denn zu mir?“

„Wie der Knecht zur Bäuerin!“ sagte er ruhig.

„Aber geh’!“ Dieses Wort machte sie fast böse. „Meinst denn, der Toni und ich, wir wissen net, was Dir verdienst bei uns? Schau, Du bist ja doch wirklich mehr wie der Knecht im Haus!“

Er schüttelte den Kopf, ohne Karlin’ anzusehen. „Mehr will ich net sein! … Und jetzt muß ich zur Arbeit!“ Seine Stimme schwankte: „B’hüt Gott, Frau Purtschellerin!“

Karlin’ strich die losen Härchen hinters Ohr und sah ihm nach. „Möcht’ nur wissen, was er hat?“

Seit diesem Tag war Mathes noch seltener im Hause sichtbar. Und die paar freien Stunden, die er sich an Sonn- und Feiertagen vergönnte, brachte er droben bei seinen Eltern zu. Auch am heiligen Abend stieg er durch den Schnee in die Simmerau hinauf – und Karlin’, die ihn vergebens im ganzen Hause suchte, mußte ihm sein „Weihnächten“ in die Kammer legen. Purtscheller schimpfte über die „Flegelei“, am heiligen Abend „so mir nix Dir nix davon z’laufen“ – und da Karlin’ den Wunsch eines Sohnes, das Weihnachtsfest bei den Eltern zu verbringen, berechtigt fand und verteidigte, machte Purtscheller aus diesem Widerspruch eine Scene, welche damit endete, daß er wütend vom brennenden Baum davonging und sich im Wirtshaus schwer bekneipte, während Karlin’ die ganze Nacht mit verweinten Augen am Bett ihres Knaben saß.

Der Januar brachte linde Winterszeit, und häufig war es in den Mittagsstunden so warm, daß Mathes, wenn es eine Besorgung im Dorfe gab, diese Gänge ohne Hut und in Hemdärmeln machte. Früher hatte er immer einen der Knechte zum Wagner oder zu den anderen Handwerksleuten geschickt. Jetzt aber machte er selbst jeden Weg, der außer Haus zu erledigen war – als wäre ihm jeder Schritt willkommen, der ihn aus der Luft des Purtschellerhofes brachte. Und mit sichtlicher Vorliebe griff er nach jedem Geschäft, das ihn zur Daxen-Schmiede führte. Daß Schorschl all die viele Arbeit auf dem großen Hof bekam, das hatte Mathes bei Purtscheller nach langen Kämpfen mit den zwei schlagenden Gründen durchgesetzt: der Weg zur Schmiede des Nachbardorfes kostet zu viel Zeit – und der Daxen-Schorschl arbeitet besser und billiger als jeder andere Schmied!

Hauptsächlich die viele Arbeit, welche Schorschl für den Purtschellerhof zu liefern hatte, war die Ursache, daß er zu dem Gesellen, den er schon anfangs Dezember angeworben hatte, nach Neujahr noch einen zweiten nehmen mußte. Da gab es nun ein lebendiges Treiben in der Werkstätte und im Haus, und wenn die drei Schmiede bei der Arbeit standen, hörte man den gleichmäßigen Taktschlag ihrer Hämmer durch das ganze Dorf: klingeling kling – klingeling kling! Den festen Nachschlag in diesem Takt gab immer der Hammer des jungen Meisters. Und diese lustige Musik lockte ein schönes Geld in die Schmiede. Schorschl brauchte keinen Pfennig mehr schuldig zu bleiben, trotzdem er jetzt fünf mit gesundem Appetit gesegnete Kostgänger zu nähren hatte – und pünktlich am ersten eines jeden Monats konnte er die fällige Rate an Rufel bezahlen.

Die Leute im Dorf begannen allmählich den jungen Meister so ernst zu nehmen, als hätte es niemals einen „lüftigen Schorschl“ gegeben. Nur Schorschl selbst schien mit dem Gang der Dinge nicht recht zufrieden; niemals äußerte er ein Wort der Freude über das Aufblühen seines Geschäftes, und wenn er auch als Meister seelengut mit seinen Gesellen war, so hatten sie doch manchmal unter seiner merkwürdigen Verdrossenheit zu leiden. Bei der rastlosen Arbeit ging ihm der Brustkorb auseinander wie eine Tonne, an seinen Armen wuchsen die Muskeln zu dicken Hügeln an – aber sein Gesicht verlor immer mehr jene farbige, heitere Frische, welche dem „lüftigen Schorschl“ einst von den Wangen geleuchtet und aus den Augen gelacht hatte.

Als Mathes wieder einmal Purtschellers Pferde zum Hufbeschlag in die Schmiede brachte, fragte er: „Schorschl! Was is denn mit Dir?“

„Warum?“

„Gar net g’fallen thust mir die ganze Zeit her! … Bist krank?“

„Ja ja, es kann schon so was sein!“ brummte Schorschl – und als wollte er nach dem Wetter sehen, spähte er durch das Fenster gegen den laufenden Berg hinauf.

Mathes lächelte. „Was fehlt Dir denn?“

„So ein Fieber, so ein g’spassigs! Net krank bin ich und net g’sund!“ Seufzend betrachtete er den Rücken seiner rechten Hand.

Das war ihm in den letzten Wochen so zur Gewohnheit geworden: mit bitterem Lächeln die Narben jener Kratzwunden zu studieren. Alle die Schrunden, welche in der Brandnacht die Mauerbrocken in sein Gesicht gerissen hatten, waren spurlos verheilt – nur diese drei feinen weißen Linien auf seiner Hand wollten nicht verschwinden. „Ja! Und gleich gar nimmer auslassen thut’s mich!“

Mathes schien sprechen zu wollen. Doch er schwieg. Auch sonst hatte er zu Schorschl niemals mit einem Wort von Vroni gesprochen und niemals hatte Schorschl eine Frage gestellt.

Als die Pferde beschlagen waren und Mathes die Koppel aus der Werkstätte führte, sagte er: „Du, Schorschl!“

„Was?“

„An die Sonntag’ nachmittag bin ich allweil droben bei meine Leut’ … magst net einmal ’naufkommen auf ein’ Plausch?“

„Na! Ich dank’ schön!“

„Warum denn net?“

„Da droben geht mir der Wind z’kalt!“

„Geh! Bist denn so wehleidig?“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 663. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0663.jpg&oldid=- (Version vom 30.7.2023)