Seite:Die Gartenlaube (1896) 0586.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

ein wenig Atem gefunden hatte, „Karlin’ … hast net ein bißl Geld bei der Hand? Gieb her, sag’ ich! Gieb her!“

„Aber Toni! Wie sollt’ denn ich Geld haben? Vertraust mir ja doch nie was an! Aber ums Himmelswillen! Toni! Was is denn?“

„Du mußt doch was haben! Du mußt! Und ich brauch’s! Her damit, sag’ ich!“

Sein verstörtes Wesen mehrte noch ihre Sorge. „Ich bitt’ Dich, Toni, so sag’ mir doch, was hast denn?“

„Unglück überall! Und grad’ heuer muß mir’s passieren, daß ich net an d’ Versicherung denk’! Weil Du ein’ aber auch auf alles vergessen laßt! Und wenn jetzt was passiert …“

„Jesus Maria!“ Karlin’ umklammerte seinen Arm. „Wie viel brauchst denn? Ich selber hab’ ja nix! Aber dem Tonerl sein Sparbüchsl hab’ ich droben …“

„Her damit! Her damit!“

Alle beide stürzten sie in das Haus und über die Treppe hinauf. In der Stube brannte die Hängelampe, doch die Schlafkammer war ohne Licht, nur matt erhellt durch den roten Feuerschein der Brandstätte; gleich tanzenden Sternen flogen draußen vor dem Fenster die Funken vorüber.

„Sei stad, mein Herzerl, ich bitt’ Dich, sei stad!“ tröstete Karlin’ mit versagender Stimme das weinende Kind, während sie mit zitternder Hand aus einem Versteck ihres Wäschekastens die kleine Blechbüchse hervorsuchte. „Das Schlüsserl hab’ ich nimmer,“ stammelte sie, während ihr die Thränen kamen, „das hab’ ich in der Kirch’ der heiligen Muttergottes in d’ Hand g’legt!“

„Ich brauch’ kein’ Schlüssel! Her damit!“ Purtscheller packte die Blechbüchse, in der es klirrte und klimperte, rannte in die Stube hinaus und riß mit Gewalt das Vorhängeschloß von dem kleinen Schatzgut seines Kindes. Ein Dutzend Goldstücke kollerte über den Tisch. Purtscheller raffte sie zusammen und eilte davon, ohne für Karlin’ noch ein Wort zu finden.

Zuerst suchte er den Buchbinder auf dem Brandplatze; aber hier fand er ihn nicht; der Mann war nach Hause gegangen, hatte seine Kinder und Gesellen zusammengerufen, um das von den fliegenden Funken bedrohte Schindeldach seiner Scheune mit Wasser zu überschütten, und stieg gerade, als Purtscheller kam, mit einer Gießkanne über die Leiter hinauf.

„Du! Sei so gut, ein’ Augenblick!“ rief ihm Purtscheller zu, kaum seiner Stimme mächtig.

Aber der Buchbinder schleppte ruhig die Gießkanne vollends über die Leiter und reichte sie einem seiner Buben. Dann erst kam er. „Was schaffen S’, Herr Purtscheller?“

„Da! Nimm! Da bring’ ich Dir ’s Geld für die Polizzen! Geh, sei g’scheit und nimm’s!“ Purtscheller versuchte ihm die Geldstücke in die Hand zu zwängen. Doch der Buchbinder hielt die Faust geschlossen und schüttelte den Kopf. „Was hast denn? So nimm doch!“ Purtschellers Stimme wurde heiser. „Ob ich’s gestern ’zahlt hätt’, oder ob ich’s heut’ erst zahl’, das wird ja doch Wurscht sein! Ich bitt’ Dich um Gott’swillen, so sei doch gescheit! So nimm’s doch!“ Er wollte dem Mann das Geld in die Joppentasche stecken.

Aber der Buchbinder wehrte sich mit beiden Händen und trat zurück. „Na, Herr Purtscheller! Heut’ in der Nacht nimmer! Das könnt’ ich als Agent net verantwortigen vor der G’sellschaft! Ich hab’ Ihnen g’mahnt, und Sie haben net g’hört drauf. Jetzt kann ich nix mehr machen! Morgen, ja, wenn alles wieder in der Ruh’ is … meinetwegen! Aber heut’ in der Nacht, wo ’s Feuer umeinander fliegt? Na, mein lieber Herr! Das geht net!“

In Purtscheller loderte der Jähzorn auf. „So? Also so einer bist Du? Ganz recht, daß ich Dich endlich einmal kennenlern’! Dich! Wart’ nur, Du! Ein andersmal mach’ ich die Faust und halt’ mein’ Sack zu! Man muß sich ja net grad’ bei Dir versichern lassen! … Hörst! Ich frag’ Dich zum letztenmal! Nimmst das Geld oder net?“

„Vater!“ klang vom grell beleuchteten Dach herunter eine erschrocken kreischende Knabenstimme. „Vater! Da schau ’nüber! Da geht schon wieder ein anderes Feuer in d’ Höh’!“

Der Buchbinder blickte auf und sah hinter dem Dach des Purtschellerhofes eine helle Flamme emporsteigen, als wäre Stroh in Brand geraten. „Herr Purtscheller!“ stotterte er. „Schauen S’, daß S’ heimkommen … ich fürcht’, Sie kriegen Arbeit daheim!“

Purtschellers Gesicht war entstellt, und taumelnd suchte er an der Leiter eine Stütze; so stand er eine Weile, zitternd an allen Gliedern; dann stürzte er wortlos davon, ohne zu merken, daß ihm die Goldstücke durch die schlaff gewordenen Finger glitten. Als er in die Nähe der Dorfstraße kam, sah er schon einen Haufen schreiender Leute nach seinem Hof eilen. Er rannte und rannte, bis ihm der Atem versagte. Bei der Gartentreppe stieß er mit Karlin’ zusammen; sie sah ihn wohl, doch sie erkannte ihn nicht; in verzweifelter Angst hielt sie mit den Armen ihr Kind umklammert, und ohne die Stimme ihres Mannes zu hören, welcher keuchend ihren Namen rief, eilte sie über die Straße hinüber, um den Knaben im Haus des Nachbars in Sicherheit zu bringen.

Auf dem Kirchturm begann eine zweite Glocke anzuschlagen, und rasselnd kam die Feuerwehr, welche das rettungslos verlorene Haus der Bäckin verlassen hatte, zum Purtschellerhof gefahren. Mathes ritt auf einem der beiden Pferde, die vor die Spritze gespannt waren, und mit dem Leitseil peitschte er auf die vom Geschrei der Leute, vom Glockenschlag und vom Feuer scheu gemachten Tiere los, welche die hügelige Auffahrt in Purtschellers Hof nicht nehmen wollten; aber so wild sich die Pferde auch gebärdeten – er zwang sie. Als er vor der brennenden Scheune, durch deren offen stehendes Thor die zündenden Flugfunken einen ungehinderten Weg zu den in Unordnung umherliegenden Strohgarben gefunden hatten, vom Pferd gesprungen war und den Schlauch der Spritze auseinanderrollen half, klammerten sich zwei zitternde Hände um seinen Arm.

„Mathes!“

Als er in Karlin’s nasse, verstörte Augen sah, in diese von Kummer und Sorge abgehärmten und vom grellen Feuerschein überflackerten Züge, brachte er nicht gleich ein Wort heraus; dann klopfte er sie auf die Schulter und strich ihr mit der Hand übers Haar, als wäre er noch der Bub’ von dreizehn und sie noch das Dirnlein von neun Jahren. „Sorg’ Dich net, Linerl! Ich bin schon da! Es is net so arg! Na, na! Sorg’ Dich net, Linerl! … Hast doch Dein Büberl in gute Händ’ ’geben?“

„Ja, Mathes! Bei der Nachbarin drüben!“

„No also, schau! Und fürs Haus is ja gar kein’ G’fahr net! Den Stadel halt, den wird der Toni verschmerzen müssen! Sonst aber is kein’ G’fahr! Na, Linerl, na! Thu Dich net sorgen!“

Sie schüttelte den Kopf und atmete auf.

„Und komm, Linerl, komm, hilf mit!“ Er riß einen Ledereimer vom Spritzenwagen. „Da hast ein’ Kübel!“

„Ja, Mathes, ja! Gieb her!“ Mit so heller Stimme, daß es über all den wirren Lärm hinaus klang, schrie sie: „Leut’! Leut’! Da her! Da is Wasser!“ Und den anderen voraus eilte sie zum Garten, zwischen dessen Bäumen der Entenweiher lag. Vroni und der Simmerauer waren die ersten bei ihr.

„Michel! Vronerl! Vergeltsgott!“

Karlin’ reichte den beiden zu raschem Druck die Hand, dann warf sie sich am Rand des Weihers auf die Knie nieder und hob den ersten vollen Eimer aus dem Wasser.

Mathes brauchte nur wenige Minuten, um zwischen Spritze und Teich eine Doppelreihe für die laufenden Eimer zu bilden.

Während man schon zu pumpen begann, um das Wasser in den Schlauch zu treiben, rannte der Spritzenwart überall umher und schrie nach Purtscheller. Neben der Hinterthür des Hauses fand er ihn an die Mauer gelehnt, ratlos vor Schreck und mit schlaffen Armen – Zäzil war bei ihm und redete mit tröstenden Worten auf ihn ein.

„He! Purtscheller!“ Der Spritzenwart rüttelte ihn am Arm. „Purtscheller! Was is denn? So rühren S’ Ihnen doch!“

„Aber so lassen S’ ihn doch in Ruh’!“ murrte Zäzil. „Sehen S’ denn net, wie’s ihm zu Mut is, dem armen Herrn!“

Ueber das Rauschen der Flammen und über allen Lärm hinaus, der den Hof erfüllte, tönte die hallende Stimme, mit welcher Mathes der Spritze ein Kommando gab.

Purtscheller blickte auf. „Der Mathes …“ stammelte er, „der Mathes soll reden für mich! Der Mathes! Der versteht sich auf d’ Arbeit!“

Kopfschüttelnd brummte der Spritzenwart etwas in den Bart und eilte zu seinem Posten.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 586. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0586.jpg&oldid=- (Version vom 25.7.2023)