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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

kletterte schon der Spritzenmann mit Stricken und mit dem Flaschenzug durch das Mauerloch. Mit sicheren Knoten und zwanzigmal gekreuzten Stricken wurde die Bewußtlose auf dem Lehnstuhl festgeschnürt und dann der Flaschenzug in die Stricke eingehakt.

„Auf!“ schrie Schorschl durch das Mauerloch hinunter.

Drunten begann ein halb Dutzend Leute aus allen Kräften am Seil zu ziehen – und der Lehnstuhl mit der Bäckenmahm’ geriet ins Schweben. Jetzt schwankte er durch das Mauerloch heraus und baumelte frei in der Luft – der Spritzenmann, der sich wieder auf die Leiter geschwungen hatte, vermochte das Schaukeln und Drehen des Sessels nicht zu verhindern – und so fing der Lehnstuhl mit der weiß gekleideten Bäckenmahm’ ein immer flinkeres Kreisen und Wiegen an, während er sich langsam zu Boden senkte. Das war bei allem Bangen des Augenblicks ein Bild von so drastischer Komik, daß die Leute trotz des bösen Schadens, den das Feuer anrichtete, und trotz des Erbarmens, das sie mit der armen Frau empfanden, den Ernst nicht völlig bewahren konnten. In das wirre Geschrei mischte sich lautes Lachen, und allen Lärm übertönte eine kreischende Weiberstimme: „Jesses na! Wie der heilige Geist schwebt s’ abi!“ Ein dumpfer Krach erstickte das Gelächter, welches diesen Worten folgte, und allen anderen Spektakel.

Es war höchste Zeit gewesen, daß der Lehnstuhl mit der Bäckenmahm’ den Boden erreichte. Der First des brennenden Hauses war entzwei gebrochen, brennende Balken stürzten nieder, droben in der Stube war die Decke eingesunken, und während ein Gewirbel von Rauch und Funken aus dem Mauerloch hervorquoll, sausten in dicken Garben die brennenden Flocken der auf dem Bodenraum explodierten Mehlsäcke durch das in Glut zerfallende Dach in die Nacht hinaus, flatterten im Winde und rieselten gleich einem feurigen Sprühregen über den ganzen Umkreis des Hauses.

Erschrocken stoben die Leute auseinander, und nur wenigen fiel es auf, daß der Daxen-Schorschl nicht beim Lehnstuhl der Bäckenmahm’ zu sehen war!

„Mar’ und Josef! Der Schorschl! Wo is denn der Schorschl?“

Entkräftet und halb besinnungslos saß er droben auf der Brüstung des Mauerloches und hielt den Kopf an die vom Rauch geschwärzten Steine gelehnt. Die Funken fielen auf ihn nieder, brannten ihm Löcher in das Gewand und versengten ihm die Haare. Als er seinen Namen schreien hörte, schaute er langsam auf und im gleichen Augenblick streifte ein fallender Glutstrunk seine Schulter.

„No, no, no … ein bißl langsam … ich geh’ ja gleich!“ brummte er, während ihm alle Sinne taumelten. „So gar pressiren wird’s ja doch net, daß der Teufel den Schorschl holt!“

Man wollte ihm die Leiter näher rücken, aber das wartete er nicht ab. Gemächlich, wie sich einer zu Boden gleiten läßt, der auf der Tischkante sitzt, so rutschte er von der Brüstung und ließ sich die fünf, sechs Meter in den Garten hinunter plumpsen. Ein paar Männer fingen ihn auf, aber der Sturz war doch ein so harter, daß sich Schorschl nur mühselig wieder aufzurichten vermochte.

„Um Gottswillen, Schorschl?“ fragte man. „Hast Dir ’was ’than?“

„Ah, Gott bewahr’! Unkraut verdirbt net!“ sagte er mit heiserer Stimme und schüttelte die Funken von der Joppe. „Aber wo is denn die Mahm’? Es is ihr doch hoffentlich nix passiert?“

Als er zum Lehnstuhl kam, von dem man gerade die Stricke löste, mußte er sich an den Knäufen der Lehne festhalten, um nicht umzusinken. Aber die kalte Nachtluft schien ihn langsam wieder zu ermuntern.

Die Bäckenmahm’ war aus ihrer Ohnmacht erwacht; doch ihre versunkenen Aeuglein blickten irr und verständnislos, während sie mit zitternden Händen an ihrem Nachtgewand umhertastete.

„Macht nix, Mahmerl, macht nix!“ tröstete Schorschl. „Dein Jankerl und d’ Schlafhauben trocknet schon wieder! Weißt, ’s Wasser is viel weniger gefährlich als wie’s Feuer!“ Aufatmend wandte er sich an die Umstehenden: „Ich bitt’ schön, Leut’ … mit dem besten Willen kann ich heut’ so ein Trumm Frauenzimmer nimmer tragen … packt’s halt ein bißl mit an! Wir müssen schauen, daß wir die Mahm’ zu mir heim bringen. Ich muß ihr halt in meiner Werkstatt aufbetten – wir bringen s’ ja in kei’m andern Haus zu keiner Thür net durch! Also, bitt’ schön, Leut’, packts an!“

Ihrer sechse faßten den Lehnstuhl, und wie eine „heilige Mart’rerin beim Umzug“ wurde die Bäckenmahm’ in die Daxen-Schmiede getragen.

Auf dem Brandplatze war jetzt Purtscheller als Feuerwehrkommandant wieder Herr der Situation. Er ließ alle nur erdenklichen Manöver ausführen, dirigierte den wirkungslos verpuffenden Wasserstrahl bald durch die Fenster in die brennenden Innenräume, bald wieder in die rauschende Lohe des Daches, und als die Brunnen kein Wasser mehr geben wollten, organisierte er aus den Leuten, welche von den entlegenen Gehöften immer zahlreicher zur Brandstätte strömten, zwischen der Feuerspritze und dem Bach eine dicht geschlossene Reihe, durch deren Hände die ledernen Wasserkübel auf und nieder wanderten. Aber die Leute, welche sahen, daß an dem brennenden Hause nichts mehr zu retten war, erlahmten bald in ihrem Eifer; die einen, welche in der Nähe wohnten und die eigenen Dächer von den fliegenden Funken bedroht sahen, eilten in Sorge ihren Häusern zu; und andere wieder fanden, daß ihnen das Schwatzen, Schelten und Jammern leichter wurde als die Arbeit, bei der sie nasse Kleider und steif gefrorene Finger bekamen. Nur eine kleine Schar hielt noch tapfer beim Wassertragen aus, und unter diesen geduldig und rastlos Arbeitenden befanden sich Mathes und Vroni mit ihrem Vater – die drei waren atemlos auf dem Brandplatz eingetroffen, gerade als man die Bäckenmahm’ in ihrem Lehnstuhl davongetragen hatte. Der Anblick des Daxen-Schorschl, der in seinem von Brandlöchern und Mauerschutt verwüsteten Gewand, mit dem versengten Haar und mit dem rauchgeschwärzten, blutfleckigen Gesichte kaum zu erkennen war, hatte Vroni stumm und bleich gemacht; und während sie die schweren Wasserkübel schleppte, horchte sie unruhig auf jedes Wort, das in ihrer Nähe gesprochen wurde.

Eine erregt durcheinanderschwatzende Gruppe hatte sich um den Geschäftsführer der Bäckin gebildet, der die Schuld am Ausbruch des Feuers auf eine Fahrlässigkeit des Gesellen schob und bald mit zornigem Schelten, bald wieder mit Thränen seinen Verlust bejammerte – er war ja nun brotlos und hatte den Koffer mit seinen Habseligkeiten und all seinem ersparten Gelde verloren. „An wen soll ich mich jetzt denn halten?“ klagte er. „Wer macht mir denn mein’ Schaden gut? Die Bäckin? Mein Gott, die hat ja selber nix mehr! Man hat ja nix ’raus aus’m Haus .. und ich weiß, sie hat ihr ganz’ Vermögen in Papier’ droben im Kasten g’habt! Und ihr G’schäft is hin! Und ihr Haus brennt nieder bis auf’n Boden! Und kriegen thut s’ auch nix dafür, weil s’ allweil z’ geizig g’wesen is, als daß sie sich hätt’ versichern lassen.“

Die Nachricht, daß die Bäckenmahm’ ihr Haus nicht versichert hatte, weckte in Purtscheller eine Erinnerung, die ihn im ersten Augenblick um alle Fassung brachte. Jetzt erst schien es ihm zum Bewußtsein zu kommen, daß er nicht nur Feuerwehrkommandant, sondern auch noch Besitzer des Purtschellerhofes wäre, für den er am ersten Oktober die Feuerpolice zu bezahlen „vergessen“ hatte. Verstört blickte er zu dem Flug der durch die grell erleuchtete Nacht dahintreibenden Funken auf, rief stotternd dem Spritzenwart zu, daß er das Kommando „für ein paar Minuten“ übernehmen möchte, und rannte auf die Straße hinaus. In der blinden, stolpernden Eile verlor er den schönen, neuen, blitzblanken Messinghelm und nahm sich gar nicht die Mühe, ihn wieder aufzuheben.

Als er seinen Garten erreichte, kam ihm Karlin’ von der durch den Feuerschein erhellten Hausthür entgegengeeilt. Sie trug ihr Bübchen auf den Armen, das sie zum Schutz gegen die Kälte der Nacht in eine warme Decke gehüllt hatte.

„Gott sei Dank, Toni, daß Du heimkommst!“ stammelte sie mit halb erloschener Stimme. „Schau, ich weiß mir ja nimmer z’helfen! ’s Tonerl bleibt mir net allein in der Stuben droben … und es muß doch wer herunten sein und aufpassen, ob nix passiert! All’ unsere Leut’ sind davong’laufen … und schau nur, wie d’ Funken ’rüberfliegen über unser Haus! Um Gott’swillen, Toni! Ich bin so viel in Sorgen!“

„Karlin’,“ keuchte Purtscheller, als er nach dem hastigen Lauf

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 583. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0583.jpg&oldid=- (Version vom 25.7.2023)