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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

acht oder zehn Jahre alt sein sollte, lassen durch eigene Heiratsvermittler in den verschiedenen, ihnen im Range annähernd gleichen Familien nach einem passenden Mädchen Umschau halten. Ohne Heiratsvermittler giebt es in China keine Heirat. Der Chinese sagt: „Wie der Himmel ohne Wolken keinen Regen spenden kann, so kann auch keine Heirat stattfinden ohne Heiratsvermittler“; meist sind diese Vermittler pfiffige alte Weiber.

Die beiden Familien erkundigen sich eingehend nach den beiderseitigen Verhältnissen, und sind diese befriedigend, so wird die Summe festgestellt, welche die Eltern des angehenden Ehemanns den Eltern der Braut zu zahlen haben, denn die Ehe in China ist im Grunde nichts weiter als der Ankauf einer Frau. Unrichtige Angaben dürfen dabei nicht gemacht werden, sonst erhält der schuldige Papa vom Gerichte hundert Stockstreiche verabreicht und die Geschenke, welche der Braut beim Abschluß der Verlobung gemacht wurden, müssen zurückgeschickt werden. Auch darf kein Zwang eintreten. Sollte es sich herausstellen, daß jemand die Tochter eines freien Mannes zur Ehe mit seinem Sohn oder einem sonstigen Anverwandten gegen den Willen ihrer Eltern oder Vormünder veranlaßt hat, so wird er gerichtlich erdrosselt.

Sind die Erkundigungen nun befriedigend ausgefallen und die Verträge unterzeichnet, so sendet der Bräutigam seiner ihm gänzlich unbekannten Braut Verlobungsgeschenke, unter denen sich als wichtigstes häufig das nützliche, aber keineswegs besonders angesehene Haustier – eine Gans befindet. Die Gans gilt in China wie in Korea als das Symbol der ehelichen Treue! Mit der Annahme der Gans ist das Mädchen verlobt, obschon sie je nach ihrem Alter häufig noch Jahre warten muß, ehe ihr das zweifelhafte Glück zuteil wird, Frau zu werden! Was immer in manchen Werken über China behauptet werden mag, es kommt doch nur selten vor, daß Männer unter zwanzig Jahren, Mädchen unter fünfzehn Jahren wirklich heiraten.

Am Tage der Ehe wird die Braut von einem Freunde ihres Gatten abgeholt, in eine rote Sänfte eingesperrt und so nach ihrem zukünftigen Heim getragen. Aber ihre Stellung bleibt nach wie vor die gleiche, denn sie erhält keinen eigenen Hausstand. Als Mädchen war sie die unterwürfige Dienerin ihrer Eltern und älteren Bruder, als Frau ist sie die Dienerin ihrer Schwiegereltern und ihres Gatten. Der Verkehr mit dem Elternhause hört auf, die Eltern ihres Gatten sind nun ihre Eltern, und selbst wenn ihr Gatte sterben sollte, so bleibt sie in der Familie desselben und darf zu ihren eigenen Eltern nicht zurückkehren. Dies ist sogar der Fall, wenn der Tod ihres Verlobten vor der Heirat erfolgen sollte! Ein derartiges Los ist gewiß nicht beneidenswert! Sie gelangt mitten unter Fremde, die ihr keineswegs mit Liebe begegnen, ohne Murren muß sie die Befehle ihrer neuen Mutter, der Herrin des Hauses, ausführen; sie selbst hat nichts zu sagen, ja sie findet mit Beschwerden bei ihrem Manne kaum irgendwelche Unterstützung desselben, denn als erstes Gebot im chinesischen Familienleben gilt die Unterwerfung gegenüber den Eltern. Zeigt die junge Frau Unwillen oder Trotz, so kann sie von ihrem Manne geschlagen werden. Hilfe findet sie nirgends. Nur durch sklavische Befolgung ihrer Pflichten, durch Demut und Unterwürfigkeit kann sie sich allmählich die Neigung ihrer neuen Verwandten erwerben, und wird ihr ein Sohn geboren, so ist ihre Stellung gesichert, sie wird fortan mit Achtung und Liebe behandelt. Nur während des ersten Monats nach der Geburt ihres Kindes ist sie das Opfer einer Menge eigentümlicher Gebräuche. Mutter, Vater, ja ihr eigener Gatte meidet das Gemach, in dem die Kranke liegt. Niemand als ihre Dienerin darf es betreten, und ein großer Strauß von Immergrün, über der Thüre aufgehängt, warnt alle Besucher vor dem Eintritt. Ja die letzteren dürfen sogar ihre großen roten Visitenkarten nicht abgeben! Alle Personen, die mit ihr in demselben Hause wohnen, selbst Fremde, welche das Haus während dieses ersten Monats betreten sollten, werden „unrein“ und dürfen beispielsweise bis nach Ablauf des Monats keinen Tempel betreten! Stirbt die unglückliche Mutter während dieser Zeit, so hat sie im Fegefeuer schwere Strafen auszustehen, bis sie aus demselben durch besonders vorgeschriebene Tempelopfer befreit wird.

Ist das Kind ein Mädchen, so wird die Stellung der jungen Frau womöglich noch ungünstiger, denn nicht nur, daß sie in der Achtung ihrer Eltern und Verwandten sinkt, ihr Gatte wird sich auch bald, wenn es seine Mittel erlauben, nach einer zweiten Frau umsehen, da die Vielweiberei in China gestattet ist.

So gefügig und duldsam die chinesische Frau auch sein mag, eine Nebenbuhlerin im Hause muß auch ihr arge Seelenschmerzen bereiten. Um die Ruhe seines Hausstandes zu sichern, weist der Gatte der zweiten Gattin gewöhnlich eine eigene Haushaltung an, denn ein chinesisches Sprichwort sagt: „Ein Schlüssel macht keinen Lärm, zwei Schlüssel verursachen Gerassel“. Auch wenn die erste Frau ihm Söhne geschenkt haben sollte, nimmt der Chinese gerne noch eine zweite Frau; besonders Schiffer, Boots- und Handelsleute, die viel auf Reisen gehen, wohlhabendere Beamte, welche die Bäder besuchen wollen, u. s. w. Seine erste Frau kann er nicht mitnehmen, weil ihr die Leitung der Hausgeschäfte obliegt, als „Reisefrau“ nimmt er die zweite mit.

Der Ausdruck „zweite“ oder „dritte Frau“ ist nicht in strengem Sinne zu verstehen, denn nur die erste ist wirklich seine legitime Frau, und bei ihren Lebzeiten darf er keine zweite heiraten, er darf auch keine solche an die Stelle der ersten setzen, also ihre Stellungen in seinem Haushalte vertauschen. Die Nebenfrauen unterstehen der wirklichen Gattin. Sie allein hat im Hause zu befehlen, und das ist vielleicht die einzige Genugthuung, die ihr nach ihrer Demütigung durch ihren Gatten bleibt.

In Arbeit, Erziehung der Kinder und Verwaltung des Hauswesens vergehen die Jahre, und je älter sie wird, desto mehr steigt ihr Ansehen. In einigen Ländern soll es Sitte sein, daß Damen, wenn man sie nach ihrem Alter fragt, einige Jährchen davon unterdrücken. In China, diesem Lande der Widersprüche, ist das Gegenteil der Fall. Es gilt als ausgesuchte Höflichkeit, wenn nähere Bekannte einer Dame sagen, daß sie älter aussehe, als sie wirklich ist. War der Gatte einer Witwe der älteste Sohn der Familie und sterben seine Eltern, so hat sie die höchste Stellung in der Familie erreicht, ist umgeben und hochgeachtet von den Frauen der jüngeren Brüder, ihren Kindern und Enkeln, die alle unter ihrer Leitung in demselben Häuserkomplex wohnen. Stirbt der Gatte aber noch bei Lebzeiten seiner Eltern und so lange die Frau jung ist, so gilt es nicht für anständig, wenn sie sich einen zweiten Gatten nimmt, und die Fälle einer Wiederverheiratung kommen bei Witwen von Beamten niemals, bei solchen der höheren Stände nur selten vor. Aber ein chinesisches Sprichwort sagt: „Will der Himmel regnen und deine Mutter wieder heiraten, so kann sie nichts daran verhindern“. Um die althergebrachten Sitten zu wahren und angesehenen Familien die Schande zu ersparen, eine Witwe ihres Hauses in ein anderes Haus übertreten zu sehen, werden standhafte Witwen in China auf eigentümliche Weise belohnt. Ich habe in chinesischen Städten und Dörfern häufig freistehende Thorbogen aus Stein, mit Inschriften bedeckt, wahrgenommen. Ursprünglich dachte ich, sie wären Triumphbogen, zum Andenken an kriegerische Thaten oder tapfere Generale aufgeführt; aber diese tapferen Generale sind in diesem Falle gewöhnlich standhafte Witwen oder besonders brave Töchter gewesen. Ich kann mit meinem bescheidenen Europäerverstand freilich nicht begreifen, wie es bei einer Witwe besonderer Standhaftigkeit bedarf, nach den gewöhnlich sehr traurigen Erfahrungen der ersten Ehe dem Ansturm neuer Freier zu widerstehen. Aber in China scheint die Sache doch anders aufgefaßt zu werden, denn dieser tapfere Widerstand wird dem Distriktsvorsteher gemeldet, dieser macht einen Bericht an den Provinzgouverneur, und der sendet ihn an den Kaiser in Peking. Ich fand zuweilen in der Pekinger Staatszeitung Edikte, mit welchen Seine Majestät anordnet, daß der Witwe X. X. oder der braven Tochter Y. Y. in ihrem Heimatsorte ein Triumphbogen zu errichten sei.

Stirbt die gesetzliche Frau eines Mannes, so darf er sich wieder verheiraten oder eine seiner Nebenfrauen zur ersten Frau erheben, die mit zunehmendem Alter endlich die Herrschaft über den ganzen Familien-Clan erhält. Ja, sollte sie in dieser höchsten Familienstellung ihren Gatten verlieren, so tritt nicht etwa der älteste Sohn an dessen Stelle als Leiter der Familie, sondern die Mutter bleibt es in unumschränkter Weise bis zu ihrem Tode. Die chinesischen Ehen sind nicht etwa unauflöslich. Die Gesetze nennen sieben Gründe für die Ehescheidung, außerdem kann dieselbe auf gegenseitiges Einverständnis erfolgen.

Wie man sieht, ist das Los der Frauen bei den Chinesen kein glänzendes; wenig beachtet von den Männern, ohne Liebe, ohne Zärtlichkeit, verbringen sie ihr Leben unter sich in Arbeit und Einsamkeit, denn die Gatten vergnügen sich auswärts mit Spielen und Banketten. Selten lassen sie ihre Frauen an solchen Vergnügungen teilnehmen, selten begnügen sie sich mit den schönsten und erhabensten unserer Freuden, jenen der eigenen Familie.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 579. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0579.jpg&oldid=- (Version vom 10.7.2018)