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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Michel sah über die Schulter, als hätte er Sorge, daß Mutter Katherl oder Vroni ihnen nachgegangen wäre. Dann sagte er leise: „Ja, Mathes, was ich fragen will … hast nix g’hört in der Nacht?“

„Heut’ net! Na! Ich bin steinmüd’ g’wesen und hab g’schlafen! … Warum?“

„Heut’ nacht hat ’s mir gar net g’fallen. Und kein Stündl net hab’ ich g’schlafen, vor lauter Angst. Wenn halt doch was passieren thät! … Ich glaub’s net! na! … Aber es müßt’ halt doch gleich einer da sein, der d’ Mutter weckt und die Kinderln packt! Und ich sag’ Dir’s, Mathes … die ganze Nacht hab’ ich’s g’hört … allweil hat’s bröckelt in der Mauer drin … ganz unt’ drin, mein’ ich, im Fundament muß’s g’wesen sein! Ein bißl hat’s allweil ausg’setzt, aber gleich hat’s nachher wieder ang’fangt. Und erst wie’s Tag worden is, hat’s aufg’hört!“

„Aber geh, Vaterl,“ sagte Mathes ruhig, „da hast Dich anführen lassen in Deiner Angst! Was soll’s denn g’wesen sein? D’ Mauer is fest! Da kannst Dich verlassen drauf! Ich denk’ mir halt, daß d’ Mäus unter die Bretter drin ’krabbelt haben.“

„D’ Mäus? … So? Meinst?“ Im Gesicht des Alten kämpfte Sorge mit dem Wunsch, zu glauben. „D’ Mäus? Ja ja! Das hätt’ ich mir selber schon gern eing’redt, aber …“

„So schau, es hat ja doch aufg’hört, wie’s Tag ’worden is … da hast ja gleich ein’ Beweis! Geh, sorg’ Dich net! Es is schon so! D’ Mäus sind’s g’wesen!“

„Ja ja! Möglich könnt’s schon sein! D’ Mäus? Ja! Und eigentlich wär’ das gar kein so schlecht’s Anzeichen net! Man sagt doch allweil: eh’ ein Haus fallt, ziehen die Mäus aus. Ja Mathes! Wenn’s d’ Mäus g’wesen wären … ja, das wär’ ein Glück! Ja! Wenn d’ Mäus noch allweil ihre Sicherheit haben, da mein’ ich, könnt’s doch gar so schlecht net steh’n um unser Häusl?“

„Gott bewahr’! Gut steht’s, Vater! Gut!“

„Ja, ich glaub’s! Komm, Mathes, fangen wir ’s Arbeiten wieder an!“

Während sie in den Hof zurückkehrten, spähte Mathes, der hinter dem Vater ging, mit sorgenvollem Blick über das Fundament der Mauer.

Vroni stand mitten in einem Gewirre abgehackter Zweige und hatte schon einen ganzen Stoß geputzter Ruten neben sich aufgeschichtet.

„Brav, Vronerl, brav!“ sagte Michel. Er wollte zur Scheune; aber da blieb er stehen und sah dem Mädchen ins Gesicht. „Geh, sag’, was is denn mit Dir?“

„Warum, Vater?“

„So viel blasseln thust’ mir heut’! Hast net schlafen können in der Nacht?“

„Aber ja!“ Leichte Röte huschte über Vronis Wangen. „Fest hab’ ich g’schlafen!“

„Oder gelt, wird Dir d’ Arbeit schon ein bißl z’viel?“

„Mir? Na, Vaterl! So bald noch net!“ Rascher und wuchtiger schwang sie das Beil, wie um dem Vater zu beweisen, daß ihre Arme keine Spur von Müdigkeit empfänden.

Mathes, der dieses Gespräch gehört hatte, wandte sich ab und lächelte.

(Fortsetzung folgt.) 


Tragödien und Komödien des Aberglaubens.

Schloßgespenster.
Von Rudolf Kleinpaul.

Ich kenne ein Schloß in Schottland, in der Grafschaft Dumfries, mitten in einem See. Es heißt Closeburn und gehört der Familie Kirkpatrick; eine Brücke führt vom Schlosse nach dem Ufer, wo die Patrickkapelle steht, nach der die Familie benannt ist. Der Heilige selbst hat sie gestiftet. Jeden Sommer stellte sich auf dem See ein Schwanenpaar ein – die zwei schönen Vögel waren gleichsam Schutzgeister der Familie Kirkpatrick, sie brachten das Glück mit sich. Bis einmal ein junger Kirkpatrick, der in Edinburg auf der Schule und eben in den Ferien war, das traute Verhältnis löste. Er hatte so viel von dem Gesange des sterbenden Schwans gehört und wollte einmal wissen, was dran wäre. Er nahm also eine Armbrust, legte auf das Männchen an und erschoß es mit einem Bolzen. Der Schwan sang nicht, nur ein paar klagende Töne gab er von sich; das Weibchen flog laut schreiend davon. Jetzt machte sich der vorwitzige Knabe ein Gewissen; er vergrub den toten Schwan am Ufer und sagte kein Sterbenswörtchen von dem Vorfall.

Seitdem wich das Glück von der Familie Kirkpatrick. Kein Schwan ließ sich mehr sehen; endlich nach drei Jahren flog auf einmal wieder einer zu, aber außerordentlich scheu und mit einer blutenden Wunde auf der Brust. Zugleich starb unerwartet der Besitzer von Closeburn. Zwei Jahre darauf erschien derselbe Schwan abermals, wiederum erfolgte ein Todesfall in der Familie. Von nun an war der wunde Schwan der Todesbote für die Bewohner von Closeburn. Seine letzte Wiederkunft geschah im 17. Jahrhundert: da erblickte ihn Roger Kirkpatrick, als er am See spazieren ging, am Vorabend der Hochzeit seines Vaters, der zum zweitenmal heiratete, des Baronet Sir Thomas Kirkpatrick. Der junge Mann verfiel in Schwermut und starb in der folgenden Nacht.

Giebt es wohl ein altes Schloß, um das die Sage nicht ähnliche Erzählungen von schützenden und warnenden Geistern gesponnen hätte? Wer die Geschichte der menschlichen Weltanschauung kennt, dem erscheint die Kunde von den Schloßgeistern und Schloßgespenstern durchaus natürlich. Es gab ja eine Zeit, wo die Welt sich anders im Kopfe unserer Vorfahren spiegelte. Scharen von Geistern oder Dämonen lebten und webten in der Natur; sie brachten Wind und Regen, sie wohnten in Baum und Quelle und griffen in die Schicksale der Menschen ein, Gesundheit und Krankheit, Leben und Tod waren ihr Werk. Einst herrschte auch allgemein der Glaube, daß jedes Haus seinen Geist oder Kobold habe, der die Sippe, die es bewohnte, beschützte und vor nahendem Unglück warnte oder der auch zu ihrem Verfolger wurde, wenn sie schwere Schuld und Missethat auf sich geladen. Die Geschichte der Hausgeister, die ärmliche Hütten einfacher Leute in ihrem Bann hielten, ist verschollen geblieben, die Kunde von den mächtigeren Schutzgeistern der Fürsten des Volkes hat sich aber von Geschlecht zu Geschlecht fortgepflanzt; sie hat sich noch lebendig erhalten, als die Aufklärung mit den Dämonen aufräumte, und so sind auch berühmte Burgen und Schlösser zu Stätten geworden, in welchen der Glaube an Hausgeister fortwuchern konnte. An ihrer Gestalt hat die Phantasie des Volkes vieles umgemodelt und sie den veränderten Anschauungen anzupassen gesucht; oft ist es aber nicht schwierig, zu erkennen, daß berühmte und berüchtigte Schloßgespenster ihre Entstehung dem alten Glauben an Schutzgeister des Hauses verdanken.

Giebt es nicht auch in Deutschland ein herrliches Schloß mitten in einem See, nur zugänglich durch eine Brücke? – Das ist das Schweriner Schloß, und es hat ebenfalls wie das von Closeburn seinen warnenden Geist, das sogenannte Petermännchen. Seine Statue steht im Schloßhof, in einer Nische rechts vom Hauptportale; Verehrerinnen setzen ihm wohl sogar ein Tellerchen rote Grütze vor. Denn Petermänken ist zwar ein Geist, aber ein Hausgeist, ein Kobold, der an den Schicksalen des großherzoglichen Hauses innigen Anteil nimmt; seine Farbe ist rot, wenn ein Freudenfest, schwarz, wenn ein Trauerfall in der Familie bevorsteht. Dann blickt Petermännlein traurig und zieht sein Hödeken, das spitze Hütchen, sein Hauptkennzeichen, tief über den Kopf, während es sich sonst vor Lustigkeit gar nicht zu lassen weiß, bei Mondschein über den Hof springt und im Winter Schlitten fährt. Unschwer erkennt man in dem Schweriner Schloßgeist einen Verwandten des Roten Männchens der Tuilerien in Paris, das von Béranger besungen und noch zu Zeiten Karls X., zum letztenmal 1871 beim Aufstand der Kommune „gesehen“ worden ist. Rot ist überhaupt die Leibfarbe aller Kobolde, weil sie eigentlich Herdgeister sind und auf dem Herde das Feuer brennt; daher sie auch für gewöhnlich am Kamine oder hinterm Ofen hocken und einen kleinen Schornstein als Kopfbedeckung haben. Die rote Farbe ist dem Petit Homme Rouge der Tuilerien, obgleich er hier immer Unglück ankündigte, geblieben, wie denn auch die Teufel, in welche sich bisweilen die Kobolde unter dem Einflusse des Aberglaubens

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 488. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0488.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)