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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Gerhard Rohlfs.

Von Emil Jung.

In seiner Vaterstadt Vegesack ist soeben die Asche eines Mannes zur letzten Ruhe bestattet worden, dem wir, wie kaum einem zweiten, die Entschleierung der Geheimnisse des Dunklen Weltteils zu danken haben. Wir betrauern in Gerhard Rohlfs einen Forscher, der in Bezug auf Kühnheit und Aufopferungsfähigkeit den ausgezeichnetsten Reisenden gleichstand, in Bezug auf Besonnenheit und Umsicht über viele derselben sich weit erhob.

Gerhard Rohlfs wurde am 14. April 1831 als Sohn eines Arztes in der genannten nahe bei Bremen gelegenen Stadt geboren. Seine Gymnasialstudien unterbrach 1849 der Schleswig-Holsteinsche Krieg, in dem er als Freiwilliger sich so auszeichnete, daß er nach der Schlacht von Idstedt zum Offizier befördert wurde. Dann studierte er einige Jahre Medizin auf den Universitäten Heidelberg, Würzburg und Göttingen, bis ihn sein unruhiger Geist zu einer abenteuerlichen Reise durch Oesterreich, Italien und die Schweiz und von da nach Afrika trieb. Pélissier, damals Generalgouverneur von Algerien, hatte den Entschluß gefaßt, um einer gefährlichen Verschwörung der Eingebornen zuvorzukommen und um die französische Herrschaft dauernd zu festigen, das Kabylenland zu erobern. Der junge Rohlfs trat sogleich in die Fremdenlegion ein und erwarb sich in harten Kämpfen den höchsten, einem Fremden erreichbaren Rang eines Sergeanten und mehrere Dekorationen.

Die darauffolgende ruhigere Arbeit des Friedens konnte ihm nicht genügen. Doch gewährte ihm seine Stellung den unschätzbaren Vorteil, die arabische Sprache gründlich zu erlernen und sich in orientalische Sitte und Lebensweise so einzugewöhnen, daß er wagen durfte, selbst unter den fanatischsten Bekennern des Islam als Mohammedaner aufzutreten. Unter dieser Maske begab er sich 1860 nach Marokko. Hier gewannen ihm einige glückliche Kuren schnell die Gunst des Sultans sowie der obersten Beamten, die ihn mit Ehren überhäuften und ihm Gelegenheit gewährten, das Reich nach verschiedenen Richtungen zu durchforschen. Vor allem aber wertvoll war für ihn die Zuneigung des in Wessan im nördlichen Marokko residierenden Großscherifs, der in einem großen Teil von Nordwestafrika die Macht und Verehrung eines „marokkanischen Papstes“ genießt.

Ausgerüstet mit warmen Empfehlungen dieses einflußreichen Mannes, entschloß sich Rohlfs, die noch gänzlich unbekannte marokkanische Sahara zu durchforschen – ein äußerst gefahrvolles Unternehmen, das nur durchgeführt werden konnte, wenn sich der Reisende in allem so hielt, als ob er Araber und Mohammedaner wäre. Er reiste allein, nur von einem Diener begleitet, meist im Anschluß an eine größere Karawane, denn nur solchen ist es möglich, durch das die ganze Gegend beherrschende Raubgesindel hindurchzukommen.

Gerhard Rohlfs.
Nach einer Aufnahme von Hofphotograph Louis Held in Weimar.

Was eine solche Art des Reisens für „Annehmlichkeiten“ im Gefolge hat, das sagt uns ein Brief des unverdrossenen Forschers. Fortwährend auf nackter Erde schlafen, beständig schmutzige Wäsche tragen, denn ein reines Hemd würde die Aufmerksamkeit zu sehr auf sich ziehen, Hunger und Durst erleiden, das nennt Rohlfs Kleinigkeiten gegen das, was man von dieser im höchsten Grade aufdringlichen und unverschämten, mit allen möglichen Parasiten behafteten Gesellschaft sonst noch zu ertragen hat. Da Fett und Butter stets in behaarten Ziegenfellen aufbewahrt werden, so findet man Haare auch in den Schüsseln der vornehmsten Küche. Selbst die Freundlichkeit seiner Reisegefährten, Maultiertreiber und Kamelwärter, stellte Rohlfs’ Höflichkeit auf die härteste Probe. „Sie wollen höflich sein und ergreifen aus der gemeinsamen Schüssel mit ihrer von Schmutz starrenden Hand einen besonders guten Bissen, den sie Dir vorlegen und den Du hinunterwürgen mußt, willst Du nicht gleich als Christ verschrieen, d. h. getötet werden.“ Dabei war die Kost eine dem Europäer wenig zusagende, auch abgesehen von ihrer Zubereitung; mit Wasser angerichtetes Mehl, Datteln, Fett, Kaffee, Zucker, das war beinahe die einzige Nahrung. Dazu eine unerträgliche Hitze, die fast täglich 40° C im Schatten überstieg, und die Plage räuberischer Berberstämme, welche die Karawane beständig belästigten. Diese Gesellen warfen einander ihre Schandthaten mit einem gewissen Galgenhumor vor. „Käme der Prophet in eigener Person, ihr würdet ihn ausrauben,“ ruft die eine Bande der anderen zu und erhält zur Antwort: „Und ihr würdet unsern Herrgott selbst töten, falls er persönlich unter euch erschiene!“

Kein Wunder, daß unser tapferer Landsmann nicht mit heiler Haut davonkam. Zwischen den Oasen Tafilet und Kenatsa wurde er im Schlaf von seinen Führern räuberisch überfallen und mußte hier, da sein Diener sich durch die Flucht gerettet hatte, mit zerschmettertem Arm und aus mehreren Wunden blutend zwei Tage und zwei Nächte hilflos liegen, in der Nähe von Wasser, aber unfähig, dasselbe zu erreichen, von versengendem Durst geplagt, bis zwei Marabuts, wie man in Nordwestafrika heilige Männer nennt, den als tot Gemeldeten zu bestatten kamen und ihn durch aufopfernde Pflege dem Leben zurückgaben. Denn Rohlfs galt ihnen infolge des Rufs, den er sich durch ärztliche „Wunderthaten“ erworben, als ein Abkömmling des Oheims des Propheten.

So durchzog Rohlfs die ganze Westhälfte der Sahara als erster Europäer von West nach Ost und gelangte endlich über Géryville nach Oran. Diese Reise erregte in hohem Grade die Aufmerksamkeit der europäischen Geographen, darunter namentlich die des einflußreichen Kartographen Petermann in Gotha, und der Bremer Senat bewilligte ihm für die Fortsetzung der Reise ein Stipendium. Nun faßte er den Plan, bis zu dem für Christen schwer zugänglichen Timbuktu durchzudringen, das trotz Barths Aufenthalt daselbst kaum bekannt war.

Aber nachdem er glücklich als „Scherif von Wessan“ durch fanatische Stämme, welche die Ermordung eines Christen für eine Eintrittskarte in das Paradies ansehen, über Tuat und Tidikelt nach Insalah gelangt war, zwangen ihn Nachrichten vom Ausbruch eines Krieges zwischen dem Scheich von Timbuktu und dem Wüstenstamme der Tuareg über Ghadames nach Tripolis zu gehen, wo er am 29. Dezember 1864 anlangte, nachdem er den Weihnachtsabend bei den Höhlenbewohnern im Dschebel Ghurian zugebracht hatte.

Im Februar kam er auf kurze Zeit nach Deutschland, aber schon im März war er wieder in Tripolis. Seinen Lieblingsplan, zum Niger vorzudringen, konnte er allerdings nicht ausführen; Unruhen, die im Innern der westlichen Sahara ausgebrochen waren, machten den Weg allzu unsicher. So faßte Rohlfs denn das Land Wadai ins Auge, ein gefahrvolles Unternehmen, denn dasselbe Wagnis hatte unseren Landsleuten Vogel und von Beurmann das Leben gekostet. Freilich war der alte grausame Sultan gestorben, der sogar Mohammedaner, wenn sie weißer Farbe waren, nicht schonte – aber Rohlfs reiste jetzt als Christ und auch der neue Sultan erwies sich den Fremden wenig geneigt.

Ehe jedoch die eigentliche Forschungsreise angetreten werden konnte, sah sich Rohlfs genötigt, in Mursuk zu verweilen. Er wollte hier die Rückkunft der Boten erwarten, die er nach Wadai geschickt hatte. Dieser südlich von Tripolis gelegene Ort ist ein wichtiger Sklavenmarkt, jährlich werden hier Tausende von Menschen verkauft, auch hat Mursuk eine der am weitesten ins Innere vorgeschobenen türkischen Besatzungen, welche in einer mächtigen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 476. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0476.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)