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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

„Ja Schorschl! Wie schaust denn aus?“ rief ihn der Vetter lachend an. „Als ob von der Arbeit kämst?“

„Von der Arbeit? Na! Aber zur Arbeit will ich schauen! Und das g’hörig!“

Mit dieser Beteuerung leitete Schorschl sein Anliegen ein, wobei der Vetter immer wieder unter Lachen seine kleinen Späße machte. Je ernster Schorschl redete, desto lustiger wurde der Zillerlenz, und schließlich klopfte er dem langen Burschen lachend auf die Schnlter. „Schau, Schorschl, eher beiß’ ich mir d’ Nasen ab, eh’ ich auf Dich noch ein’ roten Heller verwend’. Kerl, Du bist ja wie der Brunn’ da draußen! Was man da ’nunterwirft, is beim Teufel und kommt meiner Lebtag nimmer ans Licht! Alles, was D’ willst … aber nur kein Geld nimmer!“

Schorschl verlegte sich aufs Bitten, aber der Vetter fertigte ihn mit so lustigen Späßen ab, daß er schließlich selbst mitlachen mußte, obwohl ihm Aerger und Beschämung die Kehle zuschnürten. Und kaum wußte er, wie er zur Thüre hinaus kam.

Als er draußen auf der Straße stand, blies er die heißen Backen auf. Das Fünklein Hoffnung, das noch in ihm glomm, schrumpfte bedenklich zusammen. Jetzt trafen fünfhundert auf den Berghofbauer und ebensoviel auf die dicke Bäckenmahm’. Und die beiden, das wußte er vom letzten Mal, hatten eine zähe Hand, besonders die Mahm! Also zuerst zum Berghofbauer!

Den traf er nicht zu Hause, sondern mußte ihn auf dem Feld aufsuchen, weit drunten im Thal.

Als er zur Kirche kam, überholte ihn der Purtscheller-Toni, der auf dem flotten Gig saß wie ein Fürst auf dem Thron und eine Trainingfahrt mit seinem Traber machte.

„Was, Schorschl, der greift aus!“

Mehr zu sagen hatte Purtscheller nicht Zeit – so flink trabte der siegreiche „Bräunl“ an dem Fußgänger vorüber.

„Der thät den Tausender auch net spüren!“ seufzte Schorschl, während er dem Purtscheller nachblickte und von der Straße in den Fußpfad einlenkte, der zu den Feldern führte.

Er hatte sich den „Dischkurs“ mit dem Berghofbauer durchaus nicht in rosigen Farben ausgemalt. Aber die Sache kam weit schlimmer. Der Bauer schrie, als hätte Schorschl einen Raubanfall auf ihn versucht, und schimpfte so laut, daß es all die Leute auf den benachbarten Feldern hören konnten. Eine Weile ließ sich Schorschl das gefallen, dann aber rührte sich der Zorn in ihm, und mit einem groben Wort drehte er seinem Vetter den Rücken.

Um nicht an den lachenden Leuten vorüber zu müssen, die den Auftritt mit angehört hatten, stapfte er quer durch eine sumpfige Wiese der Straße zu.

Schwer atmend wischte er sich den Schweiß von der Stirne und machte zwei Fäuste. „Die G’schicht wird ein’ Haken haben! Jetzt möcht’ ich brav sein … jetzt lassen s’ mich net! Und jeder giebt mir noch ein’ Tritt dazu! Die Geizkragen übereinander!“

Die Straße war überschwemmt, und bis an die Knöchel mußte Schorschl in dem schlammigen Wasser waten, das mit dumpfem Rauschen aus den unterirdischen Klüften des laufenden Berges hervorströmte. Lange stand er vor solch einem Ausfluß, sah den Erdbrocken nach, die auf dem schießenden Wasser schwammen, und blickte trübselig über das Gehäng empor.

„Arm’s Madl! … Arme Leut’!“

Er streckte die Fäuste, als möchte er einen Felsblock packen und das Loch dort zustopfen, durch das der kleine Wohlstand und das bescheidene Glück so vieler Menschen unaufhaltsam davonrann.

Da fiel ihm die eigene Sorge wieder ein.

„Ich bin aber einer! Kann mir selber net helfen … und denk’ noch an andere Leut’!“

Den Kopf auf der Seite und die Hände hinter dem Rücken, stapfte er aus dem schlammigen Wasser hervor.

Wie ehrlich er sich es auch vorgenommen hatte, ein ordentlicher Kerl zu werden und stramm zu arbeiten … jetzt waren all seine guten Vorsätze nutzlos! Ein paar Monate konnte er sich ja noch durchbringen. Aber dann? Er wußte es: dann würden es seine Gläubiger genau so machen wie damals vor zwei Jahren, würden ihre Forderungen an den Juden verkaufen, und der würde die Daxen-Schmiede wieder auf die Gant bringen. Wer sollte ihm da noch helfen?

Die Bäckenmahm’?

Bekümmert schüttelte Schorschl den Kopf. Ein paar hundert Mark – das wäre vielleicht noch gegangen. Aber aus der dicken Mahm’ einen ganzen Tausender herausfischen?

„Na! Da trau’ ich mich lieber aus dem Bachl da ein’ Walfisch ziehen!“

Mit zerstreuten Blicken sah er in die gleitenden Wellen nieder, während er dem Ufer des schmalen Baches folgte. Zahlreiche Forellen, die aus den überschwemmten und verschlammten Gründen heraufgezogen waren, standen in dem klaren Wasser umher.

„Herrgott! Da könnt’ heut’ einer ein’ guten Fang machen!“

Das hatte er noch kaum gedacht, da erwachte schon der alte Schorschl in ihm und der Fang begann. Er krempelte die Hemdärmel auf und rollte das Schurzfell bis zur Hüfte. Mit sicher gezielten Steinwürfen scheuchte er eine Forelle, bis sie sich im seichten Wasser unter dem Ufer verbarg. Hurtig ließ er sich auf die Kniee nieder – ein gewandter Griff ins Wasser – und lachend hob Schorschl den zappelnden Fisch an die Luft.

„Soll mir’s einer nachmachen!“

Eine halbe Stunde trieb er das so weiter; dann war sein blaues Schnupftuch bis an die Zipfel mit Forellen gefüllt. Er sah sich überall um nach einem, dem er die Fische schenken könnte; doch die Straße war leer.

Da fiel ihm ein, daß Forellen ein Lieblingsgericht der Bäckenmahm’ waren. Wenn er ihr die Fische brächte? Ob sie in der Freude über diese leckere Mahlzeit nicht mit sich reden ließe?

„Probieren wir’s halt!“ seufzte Schorschl. „Mehr als Na sagen kann s’ ja doch net!“

Raschen Ganges erreichte er das Dorf und eilte am Purtschellerhof vorüber, mit geducktem Kopf, weil er auf der Steinbank neben der Hausthür den alten Rufel sitzen sah.

Gleich das nächste Anwesen war das Haus der Bäckenmahm’, ein zweistöckiger Bau, welcher mitten zwischen Apfelbäumen stand, an denen noch die rotbackigen Früchte hingen. Garten und Haus boten ein etwas verwildertes Ansehen. Als der Meister Bäck noch gelebt hatte, war das Haus in schmuckem Stand gewesen. Doch seine Witib konnte schon seit Jahren das Zimmer, das sie im oberen Stockwerk bewohnte, nicht mehr verlassen und hatte das Bäckereigeschäft an einen Gesellen verpachtet, der keine Veranlassung fühlte, sich um das Aussehen des Hauses zu kümmern. Und der Grund, weshalb die Bäckenmahm’ das Zimmer hüten mußte, war ein ganz merkwürdiger. Nicht etwa Krankheit war die Ursache. Im Gegenteil, sie war nur zu gesund. Schon zu Lebzeiten ihres Mannes hatte sie nah’ an drei Centner gewogen und hatte sich immer, wenn sie zur Thüre aus und einging, hart zwischen den Pfosten hindurchzwängen müssen. Einige Zeit nach ihres Mannes Tod passierte ihr das Unglück, daß sie sich mitten in der Stube den Fuß übertrat und eine Sehne verzerrte. Zwei Monate mußte sie liegen – aber statt in dieser Leidenszeit ein wenig abzumagern, legte sie Woche um Woche ihrem Gewicht noch ein paar schwere Pfunde zu und als der Fuß endlich geheilt war, hatte die Bäckenmahm’ an Breite so erschrecklich zugenommen, daß sie nicht mehr zur Thür hinauskonnte. Zwischen Stube und Schlafzimmer wurde ein geräumiger Durchgang ausgebrochen, aber die in den Flur führende Thür blieb wie sie war; auch diese zu erweitern, hätte keinen Zweck gehabt; denn auf die Hoffnung, jemals wieder den schmalen Flurgang und die noch schmälere Treppe passieren zu können, mußte die Bäckenmahm’ für alle Zeit ihres Lebens ohnehin verzichten. Mit seufzender Geduld ertrug sie dieses Kerkerlos, lebte sich schön langsam zwischen ihren vier Wänden ein, ließ sich Essen und Trinken schmecken und wurde bei dem behaglich schleichenden Wohlleben, das sie führte, zeitweise nur von der einen Sorge gequält: wie man sie nach ihrem seligen Ende … „Gott verhüt’s noch lang’!“ … einmal aus dem Hause bringen würde.

Der Weg zwischen dem ungetümen Bett in der Schlafkammer und dem weitarmigen Lehnstuhl in der Wohnstube, dazu manchmal ein Gang an das Fenster, das war die einzige Bewegung, die sie machte.

Und eben jetzt, als Schorschl mit seinem nassen Bündel die Straße einherkam, lag die Bäckenmahm’ im offenen Fenster, mit einem Gesichte so rund und groß wie drei Gesichter auf einmal. Langsam den mühsamen Atem vor sich hinblasend, blickte sie einem Mehlsack nach, den die Bäckergesellen an einem unter dem Dachgiebel angebrachten Kran vor ihrem Fenster in die Höhe zogen, um ihn auf dem Speicher einzulagern.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 471. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0471.jpg&oldid=- (Version vom 25.7.2022)