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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

der sich die ersten, müden Hammerschläge des Gesellen hören ließen, mahnte ihn sein knurrender Magen, daß er zuerst für sich und Steffel die Morgensuppc kochen müßte.

In der Küche ging ihm alles hurtig von der Hand, und als die Suppe am Feuer brodelte, lief er in die Stube, um die Teller aufzulegen. Auf der Schwelle blieb er stehen und blickte erschrocken in dem verwahrlosten Raum umher. Jahr und Tag hatte er hier gelebt, das heißt, alltäglich ein paar Minuten zwischen diesen Wänden zugebracht, und niemals hatte ihm diese graue Verwilderung eine Mahlzeit verdorben. Jetzt aber stotterte er: „Kreuz Teufel! Da packt ein’ ja ’s Grausen an! Da kann ja kein ordentlicher Mensch nimmer essen, da herin! Wenn da ein Madl ’reinschaut … ich dank’! Da müßt ich ja Schand und Spott erleben!“

Mit so heißem Eifer, als stünde bereits die gefürchtete Reinlichkeitskommission vor der Thüre, rannte er davon, kam mit einem Schaff voll Wasser zurück und goß es über die Dielen aus. Dann begann er mit Besen und Putzlumpen, mit Seife und Bürste drauf los zu arbeiten, als hätte er zeit seines Lebens nichts anderes getrieben, als Dielen geputzt und Tische und Bänke weißgescheuert. Doch mitten in allem Ernst, mit dem er bei der Arbeit war, überfiel ihn plötzlich eine komische Vorstellung seiner selbst: der „lüftige“ Daxen-Schorschl mit Besen und Bürste! Zuerst mußte er lachen, aber dann wurde er vor Aerger rot bis unter die Haare. „Wenn mich jetzt einer sieht, der lacht sich krank an mir! … Und die da droben?“ Er sah sich um, als könnte er durch die Mauer hinaufsehen nach dem Gehäng des laufenden Berges. „Was die sich alles einbilden möcht’!“ Wütend schleuderte er die Bürste in einen Winkel und wischte an den Hüften die nassen Hände ab.

Aber auf den Dielen stand das Wasser, auf der Tischplatte der graue Seifenschaum – ob Schorschl wollte oder nicht, jetzt mußte er die begonnene Arbeit doch wohl zu Ende bringen und die Stube wieder trocken legen. Brummend holte er die Bürste hinter dem Ofen hervor und fing wieder zu scheuern an. Dabei kamen ihm ernste Gedanken. Und einmal seufzte er vor sich hin: „Keine Schulden halt sollt’ ich net haben … da ging’s ja leicht!“

Er begann in Gedanken einen Ueberschlag zu machen, wie viel er ungefähr nötig hätte, um all seine Schulden zu bezahlen. Was er beim Wirt im Buch und bei der Kellnerin auf der Tafel stehen hatte, das konnte er nur so beiläufig schätzen: „Hundert Markln, mein’ ich … da wird net viel fehlen!“ Und beim Krämer waren es vierundsechzig – das wußte er ganz genau, denn die Krämerin hatte ihn erst vor ein paar Tagen angefordert und ihm den Kredit gekündigt. Dazu noch Schuster und Schneider! Und was er sich da und dort zuweilen ausgeborgt hatte, wenn er mit leerer Tasche vor einer Tanzmusik oder einer lustigen Hochzeit gestanden! Vierhundertfünfzig Mark, alles in allem! Er sann und sann – und da kam immer noch ein Bröcklein dazu. Endlich aber fiel ihm nichts mehr ein. Rund fünfhundert!

Er atmete auf. „Gar so arg is’s ja doch net!“ Im gleichen Augenblick aber fuhr ihm ein kalter Schreck in die Haare – denn draußen auf der Straße sah er einen alten jüdischen Händler vorübergehen, ein gebeugtes, eingeschrumpftes Männchen, in langem abgeschabten Rock, mit einem Kleidersack auf dem Rücken und ein paar Lammsfellen über dem Arm.

„Mar’ und Josef! Der Rufel! Auf den hab’ ich ganz vergessen!“

Bei dem hatte er seit Fasching einen Schuldschein über vierhundert Mark stehen, die an Neujahr zu bezahlen waren.

Also im ganzen neunhundert! Da stiegen dem Daxen-Schorschl doch die „Grausbirnen“ auf, und während er die Holzbank scheuerte, traten ihm kalte Schweißperlen auf die Stirn.

Aber war er denn nicht vor zwei Jahren, als der Daxenschmiede die Gant gedroht hatte, noch weit übler dran gewesen? Und dennoch hatten ihn seine gutherzigen Verwandten aus dem Wasser gezogen! Und jetzt war doch der ehrliche Wille in ihm, ein ordentlicher Mensch zu werden – vielleicht halfen sie ihm ein zweites Mal?

„Probieren muß ich’s! Und heut’ noch! Es laßt mir kein’ Fried’ nimmer!“

Während er scheuerte und bürstete, dachte er sich die Worte aus, mit denen er seinen Verwandten, dem Berghofbauer, dem Zillerlenz und der dicken „Bäckenmahm’“, sein Anliegen vorbringen wollte und dabei erwachte in ihm ein Fünklein von Hoffnung, freilich nur ein ganz schwaches.

Endlich war die Stube trocken und sauber. Aber draußen in der Küche sah es bitter aus – zwei Stunden hatte Schorschl gebürstet und gescheuert und inzwischen war die Suppe eingekocht, so daß in der Tiefe des Topfes nur eine schwarze, übelduftende Kruste lag. Schorschl mußte die Kocherei von vorne beginnen, und als er nach einer halben Stunde den Gesellen endlich zum Frühstück rufen konnte, brummte Steffel: „So? Mir fallt schon der Magen ’nunter! Hab’ eh’ g’meint, daß ich heut’ verhungern muß!“

Beim Eintritt in die frisch gescheuerte Stube machte der Gesell ein verblüfftes Gesicht; und dann brach er in ein Gelächter aus, daß ihm Schorschl vor Wut und Verlegenheit am liebsten eine gesunde Tachtel hinter die Ohren gepflanzt hätte.

„Lach’ net … und iß!“

Der zornige Blick, mit welchem Schorschl diese Aufforderung begleitete, machte den Gesellen stumm.

Schweigend löffelten sie die Brennsuppe aus, in die sie Schwarzbrot einbrockten.

Als Schorschl den Löffel niederlegte, fragte er ernst und bedächtig wie ein alter Meister: „Was is denn für Arbeit da?“

Die Augen des Gesellen wurden immer größer: „Ein’ Leiterwagen muß ich b’schlagen.“

„So? … Der muß fertig sein bis auf ’n Abend!“

„Was? Bis auf ’n Abend? Ich kann doch net hexen?“

„Nachher lern’ ich Dir’s, wenn ich heim komm’! Jetzt hab’ ich ein paar Weg’ z’ machen. Marsch, weiter, an d’ Arbeit!“

Als Steffel bei der Thüre war, fragte Schorschl etwas unsicher, während er den Tisch abräumte: „Is die letzten Tag’ her kein Geld net ein’gangen?“

Der Gesell wurde verlegen. „Ja, ein bißl was. Aber das hab’ ich selber ’braucht … auf Essen und Trinken.“

„Sooo? … Von heut’ an sollst Dein Essen und Trinken in der Ordnung kriegen! Aber ’s Geld wird abg’liefert! Verstehst! … Und jetzt schau, daß Du an d’ Arbeit kommst!“

Kopfschüttelnd, als hätte er nicht recht verstanden, zog Steffel hinter sich die Thüre zu und murmelte sorgenvoll: „Der arme Mensch! … Der is überg’schnappt von gestern auf heut’!“ Dabei schien aber doch auch die Befürchtung in ihm aufzutauchen, als ob seine guten Zeiten jetzt vorüber wären. „G’fallt’s mir nimmer, so geh ich halt!“ dachte er und schüttelte wieder den Kopf.

Drin in der Stube stand Schorschl vor dem offenen Kasten und kraute sich unschlüssig hinter dem Ohr.

„Vielleicht wär’s doch besser, wenn ich’s auf ’n Sonntag verschieben thät’? … Da triff ich die Leut’ g’wisser daheim.“

Trotz dieser Ueberlegung griff er in den Kasten und holte seine neue Lederhose und die Sonntagsjoppe hervor. Aber – aufgeputzt wie zu einer Hochzeit – und Geld borgen? „Das schaut sich net gar gut an!“

In Hemdärmeln, das lederne Schurzfell umgebunden, verließ er das Haus. Wie schmuck er aussah! Der richtige Schmied! Kraftvoll und hoch gewachsen! Nur der Ruß an den Händen fehlte.

Auch den Leuten, die dem Daxen-Schorschl begegneten, schien es so vorzukommen, als ob an seiner Erscheinung irgend etwas nicht in Richtigkeit wäre. Sie blieben stehen und sahen ihm lachend nach, als wäre „Fasnacht“ und als hätte sich der Daxen-Schorschl „vermaschkeriert“. Er merkte das Aufsehen, das er machte, wurde vor Aerger dunkelrot im Gesicht und brummte einen Fluch um den andern vor sich hin. Am liebsten wäre er wieder umgekehrt – aber er hatte nun einmal den Schuß in den Beinen; die gingen vorwärts, ob er wollte oder nicht.

Und da stand er auch schon vor dem Haus des Zillerlenz.

Zu dem hatte er seinen ersten Weg genommen, weil er auf ihn das meiste Zutrauen setzte; denn vor zwei Jahren hatte der Zillerlenz den größten Brocken für den Schorschl gezahlt, ganze sechshundert Mark. Da würden ihm doch jetzt die dreihundertundfünfzig auch nicht zu viel sein? So hatte sich Schorschl das eingeteilt: dreihundertfünfzig der Zillerlenz, ebensoviel der Berghofbauer und ebensoviel die dicke Bäckenmahm’! Da konnte er seine Schulden bezahlen und behielt auf der Hand noch ein Sümmchen für eine geregelte Wirtschaft während der nächsten Zeit.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 470. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0470.jpg&oldid=- (Version vom 15.7.2023)