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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Schorschl trat zurück und spähte nach der Dachstube; aber auch dort oben war alles finster. Da sah er, daß hinter dem Haus ein rötlicher Schimmer über das halb entlaubte Gezweig der Apfelbäume fiel. Hurtig sprang er um die Ecke und gewahrte ein kleines, von zuckendem Lichtschimmer erhelltes Fenster, über dessen roten Vorhang sich der Schattenriß eines Mädchenkopfes mit gelösten Zöpfen bewegte. „Jetzt bin ich aber recht dran!“ meinte Schorschl. Im gleichen Augenblick erlosch das Licht und schwarz lag das Fensterchen inmitten der vom Mond beschienenen Mauer.

Schorschl drückte sich in den Schatten eines Obstbaumes, und an den Stamm gelehnt, mit den Händen in den Hosentaschen – denn die Nacht begann kühl zu werden – stand er in geduldigem Warten. Von den Almen herunter klang das dumpfe Röhren eines starken Hirsches; doch Schorschl hatte kein Ohr für diesen Laut. Er verwandte keinen Blick von dem schwarzen Fensterchen und that nur manchmal einen brunnentiefen Atemzug. Als ihm so eine Stunde vergangen war, trat er aus dem Schatten des Baumes hervor und murmelte: „Jetzt, mein’ ich, schlafen s’ aber doch schon!“ Lautlos schlich er auf das Fenster zu, bekreuzte sich, als hätte er den Kampf mit einem gefährlichen Gespenste aufzunehmen, und pochte mit dem Fingerknöchel leis an die Scheibe.

Ein paarmal mußte er dieses Pochen wiederholen, ehe sich im Stübchen ein Geräusch vernehmen ließ.

„Was is denn? Wer klopft denn da draußen?“ fragte unwillig eine schlaftrunkene Stimme.

Schorschl drückte den Fensterrahmen ein wenig aus den Fugen und flüsterte in den Spalt: „Geh, sei so gut, mach’ ein bißl auf!“

„Was willst denn?“

„Geh, sei g’scheit, mach’ auf … ein bißl was Wichtig’s z’reden hätt’ ich halt mit Dir!“

„Jetzt in der Nacht? Wer bist denn?“

„Wer soll ich denn sein? Ich bin’s halt! Ich!“

Vroni mußte ihn an der Stimme erkannt haben.

„… Du?“ Das klang wie ein ellenlanges Wort.

„Ja! Ich! Geh, mach’ auf!“

Eine Weile war lautlose Stille in der Kammer, als ginge Vroni mit sich zu Rat, ob sie öffnen sollte oder nicht. Dann hörte Schorschl den raschen Tritt eines bloßen Fußes – und das kleine Fenster wurde aufgethan, doch kaum zur Hälfte und mit deutlich merkbarer Vorsicht.

„Was willst?“

Diese Frage klang so wenig freundlich, daß dem Daxen-Schorschl im ersten Augenblick die Sprache versagte. Er streckte den Hals und guckte sich fast die Augen aus dem Kopf; doch zwischen den mondbeglänzten, innen vom roten Vorhang verhüllten Scheiben sah er durch die schmale Spalte nur ein finsteres Stücklein der Kammer; wohl versuchte er das Fenster ein wenig weiter aufzudrücken, doch drinnen stemmte sich eine kräftige Hand gegen den Rahmen, und Vronis unwillige Stimme klang: „Sei net so keck, Du! Sondern sag’, was D’willst! Aber flink!“

Schorschl seufzte. „Schau, ich muß Dich was fragen!“

„Was?“

Nun kam die Frage, scheu und zögernd: „Is ’s wahr, Vroni .. auf Ehr’ und G’wissen … bin ich wirklich ein Lump?“

„Ja! Und was für einer! … Gut’ Nacht!“

Das Fenster wurde zugeschlagen, der Riegel knirschte, dann war’s wieder still in der Kammer.

Schorschl rückte das Hütlein in die Stirn, kraute sich hinter den Ohren, blickte melancholisch vor sich hin und murmelte: „Jetzt muß ich’s aber doch glauben!“ Lang’ währte diese gedrückte Ergebung in sein Urteil nicht; als wäre ihm plötzlich das Blut siedheiß zu Kopf gestiegen, richtete er sich auf und hob die geballte Faust gegen das Fenster.

„Wart’, Du! Dir will ich’s zeigen, ob ich einer bin! Du sollst Dich ’täuscht haben im Schorschl!“

Da klang hinter der Mauerecke, aus der Schlafstube der beiden Alten, die erregte Stimme des Simmerauer: „Um Herrgottswillen, was is denn da draußen?“

Schorschl hätte in seiner Wut mit dem Teufel gerauft …. aber Vronis Vater, das war für ihn eine stärkere Nummer! Erschrocken packte er seinen Hut, schwang sich über die Böschung hinauf und rannte querein in die Wiesen. Erst in der Nähe des Gaßner-Häuschens, das mit seinen verschobenen Balken und Mauern traurig und verlassen stand, hielt er inne, um sich zu verschnaufen.

„Jetzt muß ich’s glauben! Ja!“

Er stülpte den Joppenkragen auf, bohrte die Fäuste in die Taschen und trollte mit kleinen Schritten über den Berghang hinunter. Auf halbem Wege merkte er, daß er irgendwo seinen Bergstock gelassen hatte. Einen Augenblick besann er sich, ob er umkehren sollte.

„Ah was! Soll der auch noch hin sein!“

Seufzend ging er weiter.

„Aber der Stecken, der soll ’s Letzte g’wesen sein, was mir aus der Hand rinnt! Von jetzt ab wird zug’halten! Aber fest!“ Er blickte über die Schulter gegen die Simmerau hinauf. „Wart’, Du!“ Und trollte weiter.

Als er – nicht auf der Straße, sondern auf geradem Weg durch Wald und Gärten – das Dorf erreichte, schlug es elf Uhr. Der Heimweg führte ihn am Wirtshaus vorüber, an welchem die beiden Fenster des Extrastübchens noch beleuchtet waren – und nach alter Gewohnheit wollte er eintreten. Doch vor der Thüre blieb er stehen und schüttelte den Kopf.

„Nix da! Heut’ noch wird ang’fangt mit der Sollididätt!“

Aber ihn hungerte und die Kehle war ihm trocken – seit früh um drei Uhr, seit er sich aufgemacht hatte, um für den Purtscheller den starken Hirsch aufzuspüren, hatte er keinen Trunk und Bissen genossen.

„Kein Lump nimmer! Ja! Aber verhungern und verdursten braucht man sich deswegen doch net lassen!“

Zögernd griff er in alle Taschen, als wüßte er nicht, daß er keinen blanken Knopf bei sich trug.

„Gott sei Dank! Jetzt muß ich heim! Pumpen thun s’ mir eh’ nimmer gern da drin!“

Lachend, als hätte er seine Freude daran, daß die leeren Taschen seinen guten Vorsätzen so kameradschaftlich zu Hilfe kamen, wanderte er die Straße entlang. Da hörte er von einer heiser gröhlenden Stimme ein Schnaderhüpfl singen und erkannte den Bierbaß seines Gesellen.

„Natürlich! Der hat schon wieder ein’!“

Im Hof der Schmiede holte er den Betrunkenen ein, der bedenklich an der Mauer hin und her schwankte und ein Fenster für die Thüre zu nehmen schien.

Da hat der Zimmermann’s Loch g’macht!“ sagte Schorschl, stieß die Thür auf und versetzte dem Gesellen einen Puff, daß er in den Hausflur stolperte. „Du bist mir ein schöner Tagdieb!“

„Ich mach’s halt …. Dir nach ….“ lallte der Betrunkene, „wie der Meister …. so der G’sell!“

Schorschl hob die Hand auf – aber er ließ sie wieder sinken und sagte ernst: „Vergelt’s Gott, Steffel! Das will ich mir merken!“ Und als er sah, daß der Gesell im Dunkel mit den Händen auf den Dielen umhertappte, fragte er: „Was suchst denn?“

„Mein’ …. mein’ Hut ….“

„Leg’ Dich nieder und schlaf’ Dein’ Rausch aus! Morgen geht’s an d’ Arbeit! Den Hut such’ ich Dir schon!“

Schorschl suchte im Flur und suchte im Hof, aber der Hut wollte sich nicht finden lassen. Im Mondschein nach allen Seiten spähend, ging er die Straße zurück bis zum Wirtshaus.

„Wahrscheinlich hat er ihn drin liegen lassen?“ dachte er, schüttelte aber gleich den Kopf. „Na! ’Neingeh’n thu’ ich net! Ich kenn’ mich! Da komm’ ich nimmer fort! Lieber schenk’ ich ihm von mir ein’ Hut!“ Er nahm seinen mürben Filz herunter und betrachtete ihn beim Lichtschein, der aus dem Fenster fiel. „Den nimmt er net …. da muß ich ihm schon mein’ neuen schenken!“ Mit diesem Entschlusse wollte er den Heimweg antreten, aber da erwachte in ihm die Neugier. „Wissen möcht’ ich doch, wer so spät noch da drin hockt.“ Er gab sich einen Schwung, bekam mit den Händen das eiserne Fenstergitter zu fassen und zog sich an der Mauer in die Höhe ….

In der von der Hängelampe erleuchteten und von dickem Cigarrenrauch erfüllten Wirtsstube saß Purtscheller im Kartenspiel mit einem Viehhändler und einem Commis Voyageur um den runden Tisch; hinter ihm stand der Wirt und sah ihm über die Schulter in das Spiel, während die Kellnerin in der Ofenecke ihr Schläfchen machte.

Die Gesichter der drei Gäste waren von der Wirkung des Tirolers und von der Erregung des Hazardspiels, das sie trieben,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 451. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0451.jpg&oldid=- (Version vom 29.7.2021)