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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Während er sich wusch, unter Prusten und Plätschern, kam einer der Gemeinderäte, welche die Kommission begleitet hatten, bergabwärts am Haus vorüber. Als der Simmerauer ihn erblickte, fuhr ihm die jähe Erregung so in die Hände, daß er die Säge verbog. „Leitner! He! Leitner!“ rief er mit halberstickter Stimme den Bauern an, humpelte auf ihn zu und faßte ihn am Joppenzipfel. „Seids denn schon fertig droben? Wo gehst denn hin?“

„Nunter ins Ort muß ich, ’s Mittagsessen b’stellen für die Kammissoni.“

Mutter Katherl trippelte auf einem Balken durch den Schlamm, Vroni verließ den Hackstock, das Beil in der Hand, und Mathes kam, mit dem Schlägel auf der Schulter. So standen sie alle viere um den Bauern her und hingen mit scheuen Augen an seinen Lippen.

„Und …“ Michel brachte die Frage kaum heraus, „was sagen s’ denn … die studierten Herrn?“

Der Bauer machte ein ernstes Gesicht und zuckte die Schultern. „Sagen? Was sollen s’ denn sagen? Helfen können s’ doch net! Und daß wir jetzt wissen, wie ’s Unglück ’kommen is, das macht uns auch net g’scheiter!“ Er fuhr sich mit der Hand über Mund und Nase und winkte gegen die Felswand hinauf. „Wie im Sommer da droben im Seekar der Almsee plötzlich ausg’laufen is, ohne daß man g’sehen hat, wo ’s Wasser hinkommt … das wär’ der Anfang g’wesen, sagen s’, die Herrn, ’s Wasser hätt’ ein’ unterirdischen Durchgang g’funden, und wie der Weg einmal offen war in die Darm’ vom Berg ’nein, is dem Seewasser auch ’s ganze Regen- und Schneewasser die Zeit her nachg’ronnen. Und der ganze Berghang thät’ auf schiefem Letten[1] liegen, sagen s’. Den wascht ’s versunkene Wasser schön langsam aus, und natürlich, wenn das Luderwasser unten drin ein recht ein grausigs Loch ausg’schwemmt hat, so muß der obere Boden nachsinken. Verstehst?“

„Ja, ja!“ Mit zitternden Händen strich sich der Simmerauer das weiße Haar in die Schläfe, während sein Weib und seine Kinder schweigend lauschten. „Ja, ja! … Natürlich! … Der Boden muß nachsinken … wenn unt’ drin ein Loch is!“

„So sagen s’, die Herrn! Aber wer weiß, ob s’ recht haben? Neinschauen in’Boden können s’doch net!“

Eine Weile standen sie alle schweigend. Dann fragte Michel zögernd: „Und sonst sagen s’ gar nix, die Herrn?“

„Na! Nix!“

„Gar nix, wie z’ helfen wär’?“

„Na! Nix! Drunten im Thal sollt’ man halt dem Wasser den Auslauf net verwehren. Sonst könnt’ man gar nix machen! Eh’ net der ganze Letten unten drin schön sauber ausg’schwabt is und die Löcher wieder ausg’füllt sind mit feste Steiner, eh’ hört der Berg ’s Laufen net auf und giebt kein’ Fried’ net. Oder es müßt ’s untrische Wasser wieder in d’ Höh’ steigen an’s Licht! Verstehst?“

„Ja, ja!“ Der Simmerauer wollte an seinem Hemd den Halskragen schließen und nestelte immerzu, ohne zu merken, daß der Knopf abgerissen war. „’s Wasser! Freilich … ’s Wasser müßt’ wieder in d’ Höh’! Da thät’ er ein’ Fried geben, der Berg … wann ’s Wasser wieder ans Licht käm’!“ Er blickte langsam umher, als müßte er schon irgendwo in einem versteckten Winkelchen das steigende Wasser sprudeln sehen. „Und … was alles noch ’nunter muß, eh’ ’s Wasser wieder steigen kann … da haben s’ gar nix g’sagt, die Herrn?“

Langsam kam die Antwort. „Ja! … Da haben s’ schon ein bißl was g’sagt! Der ganze Purtschellerwald, meinen s’, müßt’ noch ’nunter! Und ’s Häusl vom Gaßner, der grad’ ausräumt! Und die ganzen Wiesen zwischen drin. Und …“ Der Bauer stockte, und vier Menschen hielten in banger Sorge den Atem an. „Es wird mir hart, daß ich Dir’s sagen muß, aber … es is doch allweil besser, man weiß, wie man dran is! Das ganze Gratl da, wo Dein Häusl steht, wird wohl noch ’nunter müssen, haben s’ g’sagt, die Herrn.“

„Nunter? So? Nunter müssen?“ wiederholte der Simmerauer mit erloschenem Ton, während seinem Weibe zwei Thränen über die runzligen Wangen kollerten. Mathes und Vroni sahen sich wortlos an.

„Trag’ mir’s net nach, Michel, daß ich Dir so harte Botschaft hab’ bringen müssen! … Derbarmst mich, ja! … Und b’hüt’ Dich Gott!“

„B’hüt’ Dich Gott!“

Der Bauer ging, kehrte wieder um und legte dem Simmerauer die Hand auf die Schulter. „Laß Dir ein’ guten Rat geben, schau! Räum’ aus, Michel … räum’ aus, solang ’s noch Zeit is! Nimm Vernunft an! Und b’hüt’ Dich Gott!“

Sie waren mit dem Leitner ihrer fünfe beisammen gestanden – doch als der Bauer den Hofraum verlassen hatte, waren es wieder fünf, denn der Daxen-Schorschl war mit langsamen Schritten vom Brunnen gekommen. Er hatte das „Saubermachen“ nicht zu Ende gebracht – die nassen Haare klebten ihm an Stirn und Schläfen, trauernd hing ihm der durchweichte Schnurrbart über den Mund und in dicken Tropfen rann ihm das schlammige Wasser von den Händen nieder. Und sein Gesicht war

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 413. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0413.jpg&oldid=- (Version vom 17.6.2023)
  1. Lehm.