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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Die Wiener Kongreßausstellung.

Von Ludwig Hevesi.

Napoleons des Ersten Macht war gebrochen. Bedingungslos mußte er abdanken und saß, von vierhundert seiner Gardisten umgeben, ein Scheinsouverän auf der Insel Elba. Europa atmete auf und die Mächte, die den unruhigen Korsen bekriegt hatten, traten in Wien zu einem Kongreß zusammen, der über die künftige politische Gestaltung Europas entscheiden sollte. Vom September 1814 bis zum Juni 1815 dauerten die Verhandlungen, deren Ergebnis in der „Wiener Schlußakte“ ihren Ausdruck fand. Für Jahrzehnte wurde die Neugestaltung Europas in Grundzügen festgelegt und später durch die „heilige Allianz“ besiegelt.

In der Kongreßzeit war Wien der Sammelpunkt der hervorragendsten Männer und Frauen Europas; dank der freigebigen Gastfreundschaft des österreichischen Kaisers wurden die glänzendsten Feste veranstaltet und auf dem Wiener Kongreß spiegelte sich infolgedessen nicht nur das politische, sondern auch das gesellschaftliche Leben jener so interessanten Zeitepoche wieder.

Es war ein glücklicher Gedanke, die Erinnerung an jenes denkwürdige Jahr durch Veranstaltung einer Kongreßausstellung wieder zu beleben. Dieselbe ist am 15. Februar dieses Jahres im Oesterreichischen Museum daselbst durch den Kaiser eröffnet worden.

Das Arbeitszimmer des Kaisers Franz.

Die ganze Zeit des Wiener Kongresses, samt ihrem Vorher und Nachher, ist da als lebendes Geschichtsbild aufgestellt; eine Mosaik aus etlichen tausend Bildnissen, Möbelstücken, Schmucksachen, Waffen, Karikaturen und persönlichen Andenken jeder Art! Ganz eigen wird man berührt, wenn man diesen Säulenhof betritt, diese Bogengänge und Säle durchwandelt. Ist man nicht in jene Zeit zurückversetzt, die der Jetztlebende recht eigentlich die „gute alte“ nennt? Die Zeit, in der sein Großvater die Großmutter nahm, oder, sofern er jünger an Jahren, sein Urgroßvater die Urgroßmutter! Hingen nicht genau solche Bildnisse in unserer „guten Stube“, ja bis in unsere Kinderstube herein? Urgroßmama war noch der reine klassische Empirestil und sah genau so aus wie Maria Luise oder Karoline Bonaparte, im griechischen Kleid aus weißem Linon, so hoch als möglich gegürtet, und im blutroten Shawl, von dem sie nicht entfernt ahnte, daß die Töchter der Pariser Guillotinierten ihn zum Andenken an ihre Toten modern gemacht hatten. Und sie hatte einen dunklen krausen Tituskopf, denn der war bis 1813 Vorschrift; ganz so hat ihn die schöne Katharina Pawlowna von Oldenburg, die Schwester Kaiser Alexanders I. und spätere Königin von Württemberg, getragen. Und die Kamee an Urahnchens Brust war auch letztmodern, denn erst 1808 war es der Kaiserin Josephine eingefallen, die Kameen des Antikenkabinetts als Schmuck verarbeiten zu lassen, sehr gegen Napoleons Willen, der aber schließlich klein beigab und sagte: „Unsinn erster Klasse, aber man muß nun einmal thun, was die Weiber wollen“. Und einen Marabufächer hielt sie in der Hand, denn im Jahre 1806 hatte der Marabu, von dem der Modist behauptete, daß er selbst dem großen Naturforscher Buffon unbekannt sei, den Schwan mit seinem Schneegefieder entthront. Und echte Pariser Kunstblumen, wie sie nur der große Wenzell in der Rue de l’Echiquier seit 1800 fabrizierte, schmückten ihren Hut. Die hatte ihr der Urgroßvater noch als Bräutigam mitgebracht, schöne weiße Rosen, wie sie auf der Ausstellung in dem lebensgroßen Bilde der Großherzogin Stephanie von Baden, Nichte der Kaiserin Josephine, den untersten Kleidsaum umziehen. Und Urgroßpapa trug noch Stiefel à la Suwarow mit gelben Kappen, wie der schöne Wiener Graf Fries, der hier in Lebensgröße gemalt ist, mit seiner prächtigen Gemahlin, einer Prinzessin Hohenlohe, und einem Kindlein in der Wiege; gemalt vom Baron Gérard in Paris, dem „Maler der Könige und König der Maler“. Großpapa freilich, auf dem Miniaturbildchen unter unserer alten Schwarzwälderuhr, trägt keine solchen Kappenstiefel mehr, denn im Jahre 1815 kamen schon die Pantalons auf, gleich nach dem Kongreß; und Großpapa war sehr modern gesinnt. Selbst Napoleons Leibporträtist, der berühmte Isabey, der doch in seinem Leben so viele hoffähige weiße Kniehosen gemalt hatte, auch so enge wie die des Grafen von Artois, der sich durch vier kräftige Lakaien in die Luft heben und so in die knappen Unaussprechlichen hineinfallen ließ – selbst Isabey trägt als alter Großpapa auf einem Bilde dieser Ausstellung schon Pantalons und einen schneeweißen Backenbart dazu. In seiner Jugend mußte er alle Backenbärte schwarz malen, auch die blonden, denn das war damals Mode. Und was ist’s mit Großmama, deren Miniatur ja auch unter unserer alten Schwarzwälderin hängt? Ach, sie trägt eines der schönsten Kostüme, die dieses Jahrhundert hervorgebracht. Es ist das der Restaurationszeit, der Zeit Ludwigs XVIII. Weil er der Achtzehnte war, trug man sogar achtzehn Falten am Kleide, und weil er ein Nachkomme Heinrichs IV. war, trugen die Damen der ganzen Welt über der unvermeidlichen „Coquesfrisur“ weiße frisierte Federn (Monsieur Plaisir hatte dieses Federnkräuseln erfunden) wie König Henri-Quatre auf seinem Helm. Und die Damen, unsere Großmutter mit inbegriffen, trugen dazu ungeheure Capoten, wo nicht gar Kaleschenhüte, und jedenfalls gewaltige Pluderärmel. Manches à gigot hießen diese damals, Schinkenärmel nennt man sie wohl jetzt, da doch der Schinken auch ein gigot, d. h. die Keule eines Tieres, ist. Das war die royalistische Mode, nach der imperialistischen der Bonapartezeit, und genau so sind einige der höchsten und schönsten Damen der Ausstellung gekleidet. So manche dieser

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 364. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0364.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)