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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Er jagte sich nicht wie sonst lustig mit dem Hunde umher, sondern streichelte ihn nur, und dabei waren seine Augen mit einem träumerischen Ausdruck auf den Weg gerichtet, der am Ufer hinführte.

„Nun, Percy, jetzt geht es auf den See hinaus, Du liebst das ja so sehr,“ sagte Hartley. Der Knabe pflegte das sonst stets mit hellem Jubel zu begrüßen, diesmal aber nickte er nur stumm, zur Verwunderung des Hausherrn, der befremdet fragte: „Was hast Du denn heute, mein Junge?“

„Papa hat mich gescholten, weil ich von Mama sprach,“ sagte Percy halblaut, und plötzlich drängte er sich dicht an Hartley und fragte dringend: „Ist es wahr, daß Mama so böse ist, daß sie mich gar nicht lieb hat? Sie hat doch so sehr geweint.“

Hartleys Stirn verfinsterte sich, er strich über das Haar des Knaben und sagte begütigend: „Frage nicht, Percy, das sind Dinge, die Du noch nicht verstehst. Geh jetzt hinauf und hole Dir Dein Matrosenhütchen und wenn ich neben Dir sitze, darfst Du auch das Steuer halten.“

Darüber pflegte Percy sonst entzückt zu sein. Er war ungemein stolz, wenn er die Hand am Steuer haben und sich einbilden konnte, das Schiff zu lenken; aber heute verfing auch das nicht. Die großen Augen des Kindes blickten wieder träumerisch in die Ferne und leise und traurig wiederholte es: „Mama hat so sehr geweint!“




Das Wetter war heraufgekommen, ein Spätgewitter, das von den Bergen heranzog und jetzt gerade über dem See stand, wo es sich mit voller Macht entlud. Dabei hatte sich ein Sturm aufgemacht, der in seiner Heftigkeit schon der Vorbote des nahenden Herbstes zu sein schien, und die vor wenig Stunden noch so lachende, sonnige Landschaft lag jetzt dicht verschleiert im Regensturm.

Der sonst so friedliche See war in der That tückisch und gefährlich bei solchem Wetter, das wußten alle, die mit ihm vertraut waren, und die zahlreichen Boote, die sich auf der weiten Wasserfläche befanden, flohen denn auch beim ersten Anzeichen der Gefahr mit vollen Segeln den Ufern zu. Es war nicht leicht, sich rechtzeitig in Sicherheit zu bringen, denn der Sturm brach fast plötzlich los und der große Dampfer, der in der Nähe des Hotels seine Haltestation hatte, kam erst nach einem heftigen Kampfe mit den Wogen und mit genauer Not an das Ufer. Dort landete er die geängstigten Passagiere, aber die nächste Fahrt mußte unterbleiben, das Schiff blieb einstweilen liegen. Auch im Hotel war alles von der Terrasse in das Haus geflüchtet und die Gäste blickten von den Fenstern auf den See, der in seinem wilden Toben ein schauerlich schönes Bild bot.

Nur in einem Zimmer sah und hörte man nichts davon. Lady Marwood hatte sich seit ihrer Rückkehr von Malsburg eingeschlossen und war den ganzen Nachmittag hindurch unsichtbar geblieben. Sonneck und Ehrwald, die sie bei der Ankunft empfingen, erschraken bei ihrem Anblick; aber sie wehrte jede Frage ab und nicht einmal Elsa durfte bei ihr bleiben, sie wollte allein sein.

Erst gegen Abend hatte sie Reinhart zu sich rufen lassen. Er stand jetzt vor der Frau, die wie gebrochen in einem Sessel lag und matt und tonlos sagte: „Ich danke Ihnen, daß Sie gekommen sind, aber es bedarf dessen nicht mehr. Ich wußte mir keinen Rat in meiner Verzweiflung und der kluge, weise Sonneck bewies mir ja immer wieder von neuem, daß alle meine Pläne unsinnig, unmöglich, unausführbar seien. Sie wären nicht davor zurückgeschreckt, ich weiß es, Sie hätten mir geholfen – das ist jetzt zu Ende!“

„Sie haben eine Begegnung mit Lord Marwood gehabt?“ fragte Reinhart.

„Ja!“

„Und Sie haben Ihr Kind gesehen?“

„Ja, mein Kind, das man gelehrt hat, seine Mutter zu hassen! Es wandte sich von mir, weil ich ‚so bös bin‘, es riß sich aus meinen Armen und schlug nach mir – o mein Gott, womit habe ich das verdient!“

In dem Ausruf lag ein so grenzenloses Weh, daß Reinhart unwillkürlich die Hand ballte. „Der Elende!“ murmelte er.

„Nicht wahr, das haben Sie auch nicht geglaubt?“ fragte Zenaide mit zuckenden Lippen. „Er – Marwood – forderte meinen Verzicht auf Percy als Preis meiner Freiheit. Ich bäumte mich auf dagegen und erklärte, nun und nimmermehr einzuwilligen – er hat trotzdem gesiegt. Ich werde den Preis zahlen, mein Kind ist mir ja doch verloren!“

Sie barg das Gesicht in den Händen und brach in ein wildes thränenloses Schluchzen aus; es schien, als wollte der Weinkrampf sich wiederholen. Ehrwald trat rasch zu ihr und beugte sich über sie.

„Zenaide, Fassung, Ruhe! Sie töten sich ja mit diesen endlosen Aufregungen! Ich habe es gefürchtet, daß diese Begegnung so endigen würde, ich eilte hierher, um Sie zurückzuhalten, und kam zu spät. Zenaide, hören Sie mich nicht?“

Seine Stimme und seine Nähe übten die alte Macht über sie aus, ihr krampfhaftes Schluchzen wurde zu einem leisen Weinen und willenlos überließ sie ihm ihre Hand, die er ergriffen hatte und fest in die seinige schloß, während er fortfuhr: „Sie hätten es ahnen können, daß Marwoods Feindseligkeit Ihnen nicht einmal die Liebe Ihres Kindes lassen würde – nun aber reißen Sie sich auch los von diesem Manne, um jeden Preis! Retten Sie sich Ihre Freiheit und wenn Sie sie todeswund erringen! In den Ketten stirbt man an der Wunde – in der Freiheit kann man davon genesen.“

Er sprach mit leidenschaftlicher, glühender Teilnahme. Er maß sich ja die Schuld bei an dem Unglück der Frau, die, als sie ihm entsagen mußte, den Verzweiflungsschritt that und diese Ehe schloß. Aus jedem Worte sprach die Angst um sie, das stürmische Verlangen, sie von der selbstgeschmiedeten Kette zu lösen. Zenaide sah und fühlte das und mitten durch Weh und Schmerz dämmerte es ihr auf wie die Verheißung eines fernen Glückes.

„Genesen?“ wiederholte sie. „Können Sie mir dazu helfen, Reinhart?“

„Wenn ich es könnte! Aber, Sie wissen es ja, ich muß fort, schon in den nächsten Wochen verlasse ich Europa.“

„Und ich mit Ihnen! Ich bleibe nicht länger auf diesem Boden.“

Sie schien sich plötzlich zu diesem Entschluß aufzuraffen. Ehrwald hatte ihre Hand losgelassen und sah sie betroffen und fragend an.

„Sie wollten zurückkehren –?“

„Nach Kairo, ja! Was glauben Sie denn, das mich festgehalten hat in diesem kalten, rauhen Norden? Ich wollte nicht eine so endlose Weite zwischen mich und Percy legen, ich wollte mir die Möglichkeit wahren, ihn wiederzusehen. Was soll ich jetzt noch hier? Ich kehre zurück in meine Heimat, in mein Sonnenland – unser Weg ist der gleiche.“

„Ich gehe in das Innere Afrikas, Zenaide,“ sagte Reinhart ernst. „Es kann Jahre dauern, ehe ich wieder nach der Küste zurückkehre.“

„Ich weiß,“ entgegnete sie leise. „Ich werde lange, lange allein sein und ich muß ja auch erst losgesprochen werden von jenem Band. Aber ich will geduldig harren, auf meine Freiheit und – auf Dich!“

Ehrwald erbleichte und trat unwillkürlich einen Schritt zurück. Sie sah es nicht, denn in ihren Augen standen noch die heißen Thränen, als sie weiter sprach: „Du hast es ja nicht ausgesprochen, nicht aussprechen wollen, was wir doch beide wußten, und ich habe Dir oft gezürnt deswegen. Doch Du hattest recht – nun können wir uns ohne Vorwurf in die Augen sehen. Jetzt aber, wo wieder eine Trennung über uns verhängt wird, wo Du wieder hinausziehst in Kampf und Gefahr, jetzt muß es doch gesagt werden!“

Draußen jagten die schwarzen Gewitterwolken an den Fenstern vorüber, sie hüllten das Gemach in halbe Dämmerung und warfen ihren düsteren Schatten auf das Antlitz des Mannes, in dem es zuckte wie innerer Kampf und mühsam verhaltene Qual. Nun sollte er sprechen und der Frau, die so fest an seine Liebe glaubte, die sich daran klammerte wie an einen Rettungsanker, den Todesstoß geben! Sie war in diesem Augenblick so ganz wieder die Zenaide von einst, das holde Geschöpf, das noch unberührt von all den Stürmen, welche die Zukunft barg, mit so sehnsüchtigen Augen in das Leben hinausblickte und auf das Glück wartete. Es lag eine unendlich weiche, rührende Hingebung in ihrem ganzen Wesen, als sie, ohne sein seltsames Verstummen zu bemerken, sich erhob und zu ihm trat.

„Du hast mich geliebt, Reinhart, Du hast um mich geworben, aber Dein harter, böser Stolz wollte sich nicht beugen, und das haben wir beide so schwer büßen müssen. Nun stehst Du ja auf der einst erträumten Höhe und kannst Deiner Zenaide die Hand

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