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seines Kapitals an Nervenkraft verbraucht hat und nun der Erholung, Ablenkung, Ruhe oder des Schlafes, kurz, naturgemäßer Mittel bedarf, um den Zinsverlust zu decken. Nimmt er so lange und so viel Reizmittel, bis er die volle Frische, vielleicht noch belebt durch das trügerische Gefühl einer behaglichen Angeregtheit, wieder erlangt hat, so lebt er vom Kapital der Nerven. Ein solches Kapital, eine gewisse Summe von Nervenkräften, groß oder klein, bringt jeder Mensch mit sich, als ererbt von seinen Eltern und Voreltern. Mit diesem Kapital muß er wirtschaften das ganze Leben hindurch. Er kann es vermehren und vergrößern durch Einnahmequellen kleiner und größerer, aber sämtlich natürlicher Art, wie wir sie vorgezeichnet. Er kann es verkleinern, ja erschöpfen durch Ausgaben künstlicher Art. Wer mehr von seinen Nervenkräften ausgiebt, als er einnimmt, der ist auf der schiefen Ebene angelangt, die zur Erschöpfung führt, und wer seine Nervenkräfte dauernd erschöpft, der ist bankerott, und wenn er auch ein Millionär wäre.

Die besten Genuß- und Stärkungsmittel für geistig arbeitende und mehr oder weniger an die sitzende Lebensweise gebundene Menschen sind geeignete Nahrungsmittel. Angestrengtes Denken, selbst die geistigen Genüsse bewirken ebensosehr Ermüdung, erfordern ebenso reichlich die Befriedigung des Nahrungsbedürfnisses wie körperliche Arbeit. Nur muß dieselbe in zweckmäßiger Weise erfolgen. Als man einen berühmten englischen Dichter fragte, warum er nichts mehr schaffe, antwortete er: „Ich bin zu fett geworden.“ Dies giebt uns eine Lehre. Wir müssen unsere Einnahme von Nahrung mit unseren Ausgaben vor allem an Körperbewegung in Einklang bringen, wenn nicht ein für geistige und – körperliche Leistung, für geistiges und körperliches Wohlbefinden nachteiliger Ueberschuß sich in unserem Körper anhäufen soll. Darum sind für den Stubenhocker die leicht verdaulichen Nährmittel empfehlenswert. Gut ausgebackenes Brot, die leichteren und fettärmeren Fleischspeisen, vermischt mit den an Nährsalzen reichen und leicht bekömmlichen jungen Wurzel- und Stengelgemüsen, sind angestrengten Denkern zuträglich, während fettes Fleisch, fette Mehlspeisen, schweres, an Kleie reiches Brot ihm weniger dienlich sind und von ihm weniger gut vertragen werden. Zusatz von Früchten, Kompott ist sehr zu empfehlen. Man hüte sich vor künstlichen Reizmitteln bei träger Verdauung. Natur verlangt nur Natur.




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Christian Hengst,
der Gründer des Pompier-Corps
in Durlach i. Baden.

Ein Jubeltag der deutschen Feuerwehr.

(Mit dem nebenstehenden Bilde.)

Die deutschen Städte, wie lebensfreudig blühen sie; wie gedeihen sie im Schatten des Rechts, das Leben und Eigentum aller beschirmt, wie können sie in tiefem Frieden die Wohlthaten der Kultur ihren Bürgern vermitteln! Im vollen Genuß dieser hohen Errungenschaften der Neuzeit können wir uns kaum in die Vergangenheit zurückversetzen, uns kaum vorstellen, mit welchen Schwierigkeiten einst unsere Altvordern kämpfen mußten, um ihr Hab’ und Gut zu bewahren. Wer das Städteleben des Mittelalters nur aus dichterischen Schilderungen kennt, in denen eine träumerische Romantik die vergangenen Zustände im Glanze ihrer verklärenden Auffassung darstellt, ahnt wenig, wie viel Not und Elend die hohen, in ihrem Verfall so malerischen Stadtmauern umgaben. Um so mehr muß eine strenge, wahrheitsliebende Geschichte davon singen und sagen. Hinter turmgekrönte Mauern, hinter Wall und Graben mußten sich einst die Städter flüchten, um Schutz vor äußeren Feinden zu finden; aber sie wurden auch dort von inneren Feinden verfolgt, und eine der schlimmsten elementaren Mächte, welche ihr Gedeihen hinderte, war die Feuersbrunst. Mit Recht hat man im Mittelalter dem Feuer den düstern Beinamen des „Städtefressers“ beigelegt. In der That giebt es keine größere Stadt, die in früheren Zeitläuften unter gewaltigen Schadenbränden nicht aufs empfindlichste gelitten hätte, und wie viele wurden nicht von den fressenden Flammen ganz und gar zerstört!

Jahrhunderte hindurch kämpfte die civilisierte Menschheit gegen dieses feindliche Element an und Jahrhunderte hindurch mußte sie den kürzeren ziehen. Erst in der Neuzeit gelang es, durch treffliche, schlagfertige Organisation die Schrecken und Gefahren der Feuersbrünste zu mildern und Hab’ und Gut, dessen Wert sich auf viele Millionen beziffert, alljährlich vor Vernichtung zu bewahren. Die Feuerwehr, wie sie heute jeden Augenblick kampfbereit dasteht, ist zweifellos eine der größten Errungenschaften der modernen Kultur. Soweit Deutschland in Frage kommt, schickt sie sich an, in diesem Jahre das Jubelfest ihres fünfzigjährigen Bestehens zu begehen. Das ist fürwahr eine denkwürdige Jubelfeier, an der im Geiste die wertesten Kreise der Bevölkerung teilnehmen sollten. Es sei uns darum gestattet, in die Geschichte des Löschwesens zurückzublicken und zwischen sonst und jetzt einen Vergleich anzustellen. Die Thatsachen werden deutlich für sich sprechen und uns die Größe des Errungenen zeigen.

Mit der ersten Blüte der Städte begann die Organisation des Feuerlöschwesens. Schon im Mittelalter wurden überall „Feuerordnungen“ erlassen, in denen auf Grund sorgfältigster Erwägungen eine Menge Vorschriften gegeben war, die einerseits die Verhütung der Feuersbrünste, anderseits eine zweckmäßige Rettung bei Bränden bezweckten. Was nun die letztere Aufgabe, die eigentliche Feuerwehr, betrifft, so ging man überall von dem Grundsätze aus, daß jeder Einwohner verpflichtet sei, in Zeiten der Gefahr helfend einzugreifen, und darum wurde auch die Teilnahme am Rettungswerk gleichmäßig über alle Bürger verteilt. Jedes Haus mußte mit den notwendigsten Rettungsgeräten alter Zeit, mit Ledereimern und Leitern, versehen sein; auf dem Rathaus waren gleichfalls Ledereimer, Handspritzen, Feuerhaken u. dergl. aufbewahrt; jeder Zunft war je nach ihrem Handwerk eine besondere Pflicht auferlegt und bei jedem Feuerlärm wurde die gesamte Bevölkerung vom Bürgermeister bis zum einfachsten Manne aufgeboten. Die Thätigkeit jedes einzelnen war auf dem Papier genau vorgesehen. Gaben nun die Sturmglocken oder Hornsignale der Wächter das Lärmzeichen, so war die Stadt mit einem Schlage in Kriegszustand versetzt. Sofort schloß man die Stadtthore und besetzte sie mit Wächtern, um das Eindringen von Raubgesindel zu verhüten, und mitten in der Stadt eilte alles auf die im voraus bestimmten Posten. Brach das Feuer in der Nacht aus, so mußten die Bürger vor ihren Häusern Pechfackeln oder Laternen aufstellen und so eine Straßenbeleuchtung schaffen und die „Feuerherren“ des Rats eilten auf die Brandstätte, um die Leitung des Rettungswerks zu übernehmen. Die Geschichte lehrt jedoch leider, daß es ihnen selten gelang, des Feuers „Herr“ zu werden und die Ausbreitung der Brunst zu verhüten. Daran waren zweifellos verschiedene Umstände schuld: die Bauart der Häuser war lange Zeit derart, daß sie leicht Feuer fingen, und die Löschgeräte der Vorzeit waren im Vergleich zu den unsrigen recht unzulänglich. Das sind Thatsachen, durch welche die geringen Erfolge der alten Pflichtfeuerwehr wohl schon hinreichend erklärt werden können.

Der Hauptgrund war aber ein anderer. Durch die Feuerordnung wurde eine große Volksmasse auf den Brandplatz entboten; mochte sie auch von den besten Absichten beseelt sein, so blieb sie doch ein regelloser, ungeübter Haufe, der sich schwer leiten ließ. Ihm fehlte die Zucht und nur laß wurden die Befehle der „Feuerherren“ ausgeführt, die meisten der Rettenden waren in der Handhabung der Geräte ungeschickt, einer störte den andern und gar oft herrschte um die brennenden Häuser die heilloseste Verwirrung. Die allgemeine Feuerwehr taugte wenig, weil sie von

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 300. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0300.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)