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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

noch, einen einzigen, aber Sonneck hat ja jetzt sein junges Weib, sein neues Glück, da bleibt für mich höchstens das Mitleid übrig, und ich will kein Mitleid. Ich will auch das Leben nicht, das sich so öde, so endlos vor mir ausdehnt wie eine Wüste, ich weiß es ja, daß ich endlich darin verschmachten und verderben muß! Es lohnt auch gerade der Mühe, sich dafür zu schonen!“

„Nun denn, so thun Sie es um – – meinetwillen!“

Es ging wie ein Beben durch die Gestalt der furchtbar erregten Frau, ihr Auge heftete sich groß und fragend auf Ehrwald, der sich jetzt zu ihr niederbeugte und leise wiederholte: „Um meinetwillen, Zenaide! Ich bitte Sie darum.“

Da fuhr sie auf und aus ihrer Brust rang es sich empor wie ein Weheruf. „Reinhart – warum hast Du mich damals verlassen?“

„Weil ich ein Thor war,“ sagte er dumpf. „Ein Thor, der einem Phantom nachjagte und darüber das Glück nicht sah, das an seiner Seite stand. Zenaide, ich fühle es jetzt erst, was ich Dir gethan habe, aber laß mir nicht diesen Vorwurf auf der Seele! Versprich mir, dem Arzte zu folgen! Versprich mir, dies unselige Mittel von Dir zu werfen, mit dem Du Dich elend machst und das Dir noch den Tod giebt! Du sollst nicht untergehen, Du mußt leben. Ich fordere es von Dir!“

Es sprach heiße Angst aus den Worten. Zenaide antwortete nicht, regte sich nicht, nur ein paar schwere Thränen rollten über ihre Wangen, auf welchen ein leises, glückliches Lächeln dämmerte.

„Das Versprechen!“ wiederholte Reinhart, ihre Hand fest in die seine schließend. „Du giebst es mir?“

„Ja!“ flüsterte sie kaum hörbar.

Er beugte sich nieder und drückte seine Lippen auf die Hand.

„Dank! Ich baue darauf – gute Nacht, Zenaide!“

Er ging, Zenaide blieb allein. Sie preßte das Antlitz in die Polster des Sessels und weinte; aber das war nicht jenes wilde Schluchzen, das sich bei ihr sonst wie in einem Krampfe Luft machte, das waren erlösende Thränen, die Ruhe und Schlaf brachten, Thränen, die sie seit Jahren nicht geweint.




Fast zwei Monate waren vergangen, der Hochsommer ging zu Ende und in Kronsberg begann es stiller zu werden, wenn es auch immer noch eine stattliche Zahl von Gästen aufweisen konnte.

Es war an einem schönen Augusttage, in den Nachmittagsstunden, als Fräulein Ulrike Mallner durch die Straßen des Kurortes schritt, in der Rechten ihren unzertrennlichen Begleiter, den großen Sonnenschirm, in der Linken eine Tasche von gleichfalls ziemlich bedeutendem Umfang. An ihrer Seite ging ein kleiner Herr, im grauen Touristenanzuge, mit einem sehr gutmütigen und freundlichen Gesicht. Er hatte ein großes Fernglas umgeschnallt und trug einen Schleierhut, der sich hier in dem nordischen Bergorte etwas komisch ausnahm. Aufmerksam hörte er der Dame zu, die eben sagte: „Ich glaube, es giebt nachgerade keinen Menschen, der nicht in Kronsberg gewesen ist. Wir haben im Sommer alle möglichen Sorten hier gehabt, Potentaten und Minister, Millionäre und Künstler, Engländer und Afrikaner – nun sind Sie auch noch da, Herr Ellrich, aber doch wohl nicht als Kurgast?“

„Nein, ich befinde mich Gott sei Dank ganz wohl,“ versetzte Herr Ellrich, der sich in den zehn Jahren kaum verändert hatte, nur sein Haar war grau geworden. „Ich habe eine Reise ins Gebirge gemacht und da wollte ich mir das jetzt so vielgenannte Kronsberg doch auch ansehen, um so mehr, als Hofrat Bertram hier Badearzt ist. Ich habe ihn in all den Jahren nicht gesehen, aber öfter von ihm gehört; es heißt ja, daß der Badeort vor allen ihm diesen schnellen Aufschwung verdankt.“

„Ja, er ist ein ‚großes Tier‘ geworden und spielt hier die erste Geige,“ bemerkte Ulrike trocken. „Die reichen und vornehmen Patienten laufen ihm nur so zu und der Hof hat vollends einen Narren an ihm gefressen. Kürzlich bekam er schon wieder einen Orden – der Mensch hat von jeher mehr Glück als Verstand gehabt!“

„Ich glaube, Doktor Bertram hatte stets Glück und Verstand,“ erlaubte sich der kleine Herr zu erwidern. „Er hat bereits einen Namen in der Wissenschaft und wird zweifellos später eine Berühmtheit werden.“

„Sind Sie noch immer so versessen auf die Berühmtheiten?“ fragte Fräulein Mallner, ärgerlich über das Lob, das ihrem alten Widersacher erteilt wurde. „Die wimmeln förmlich bei uns in Kronsberg! Sonneck ist hier, Ehrwald ist hier und die beiden können Sie gleich heute nachmittag anschwärmen, denn Ehrwald wohnt bei uns und Sonneck wollte mit seiner jungen Frau kommen. Sie wissen doch, daß er vor sechs Wochen geheiratet hat?“

„Ich weiß, es hat ja in allen Zeitungen gestanden, und er hat eine junge schöne Frau – der Glückliche!“

„Ja, das ist er!“ bestätigte Ulrike. „Man braucht ihn nur anzusehen, der Mann geht umher wie verklärt und thut, als ob er mitten im Paradiese säße. Nun, dem gönne ich es, dem allein auf der ganzen Welt, denn er verdient es!“

„Nun, Sie werden doch auch Ihrer Frau Schwägerin das Glück gönnen,“ warf Ellrich ein. „Nach allem, was ich hörte, ist die Ehe sehr glücklich und es sind auch drei liebe Kinderchen da.“

„Drei liebe Kinderchen?“ wiederholte das Fräulein höhnisch. „Jawohl, drei Kinder sind da – die gottlosesten, ungezogensten Rangen auf der weiten Welt! Natürlich, sie sind nach ihrem Vater geraten und bei dem ist von Erziehung keine Rede, der läßt sie aufwachsen wie die Wilden. In dem Hause wird überhaupt nur gelacht und die Lustigkeit reißt gar nicht ab vom Morgen bis zum Abend. Und Selma ist immer mitten darunter und prügelt ihre Jungen, daß es nur so eine Art hat.“

„Die Frau Hofrätin – prügelt?“ fragte Herr Ellrich ganz bestürzt. Er hatte immer noch die blasse kleine Frau im Sinne, die vor Schüchternheit gar nicht wagte, die Augen aufzuschlagen.

„Ja, das hat sie gelernt und es thut auch not,“ sagte Ulrike mit Anerkennung. „Aber helfen thut es nichts, diese wilde Berserkerbande tobt durch Haus und Garten, daß einem Hören und Sehen vergeht. Aber jetzt habe ich sie unter die Fuchtel genommen und das gründlich. Ich weiß schon, wie ich ihnen den Mund stopfe, ganz genau weiß ich das!“

Sie sah unendlich grimmig aus bei der Erklärung und schwenkte triumphierend ihre große Tasche. Der kleine Herr schielte ängstlich darauf hin; diese Tasche barg zweifellos verschiedene Strafinstrumente für die armen Kleinen, die vielleicht etwas ausgelassen waren. Er begriff nur nicht, wie der Hofrat es dulden konnte, daß seine Kinder so behandelt wurden, er hatte sich doch bei seiner Verlobung so energisch gezeigt der herrschsüchtigen Dame gegenüber und nun schien sie ihn und sein ganzes Haus unter der Fuchtel zu haben. Jedenfalls war sie in einer gefährlichen Stimmung und Herr Ellrich kannte das noch von früher her, wo seine verehrte Landsmännin wochenlang einem Pulverfaß mit brennender Lunte glich. Er versuchte deshalb vorsichtig abzulenken.

„Es war doch eine schöne Zeit damals in Aegypten,“ hob er wieder an. „Diese Palmenlandschaften, diese Tempel und Pyramiden, dieses Volk in seiner malerischen Ursprünglichkeit –“

„Nun, diese malerische Ursprünglichkeit können Sie auch hier genießen,“ unterbrach ihn Ulrike. „Wir haben das schwarze Ungetüm, den Achmet, im Hause, und drüben in der Villa der Lady Marwood sitzen auch ein paar von den braunen Affengesichtern. Sie hat sich einen ganzen orientalischen Hofstaat mitgebracht! Es fehlen nur noch die Kamele, dann haben wir das Wüstenland leibhaftig hier in Kronsberg.“

„O, das ist ja höchst interessant!“ rief Ellrich erfreut. „Da werde ich meinen Aufenthalt doch verlängern. Ich komme immer noch früh genug in mein einsames Heim. Ich trage mich freilich mit gewissen Zukunftsplänen –“

„So? Wollen Sie wieder nach Aegypten?“

„Das nicht, ich bin so viel gereist und fange nun an, mich nach Ruhe zu sehnen, aber was mir fehlt, ist eine Häuslichkeit, ist –“ Herr Ellrich seufzte und blickte verschämt zu Boden, als er leise hinzufügte: „eine Lebensgefährtin.“

„Sie sind wohl nicht bei Troste!“ fuhr ihn Ulrike an. „Sie haben reichlich Ihre fünfzig Jahre auf dem Rücken, haben schon graue Haare und wollen noch einen solchen Unsinn begehen!“

„Herr Sonneck hat ihn doch auch begangen,“ versetzte der kleine Herr empfindlich, „und er ist zwei Jahre älter als ich.“

„Herr Sonneck ist eben Herr Sonneck!“ erklärte Fräulein Mallner mit Nachdruck. „Der kann sich das erlauben. Sind Sie ein berühmter Afrikaforscher? Haben Sie die Nilquellen entdeckt?“

„Nein, aber eine Inschrift habe ich in Theben entdeckt, damals, als ich dem seligen Professor Leutold bei seinen Forschungen half. Ich fand sie zuerst und der Professor entzifferte sie dann. Sie gab uns sehr wertvolle Aufschlüsse über Ramses und Seti und über die Dynastien von –“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 295. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0295.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)