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Eine Sage leitet den Ursprung des abessinischen Herrschergeschlechtes von weit her. Makeda, eine äthiopische Fürstin, in dem 1. „Buch der Könige“ der Bibel als Königin von Saba erwähnt, soll Salomo einen Sohn Namens Menelik geboren haben. Er ist nun nach der Volksüberlieferung der Stammherr der Könige Aethiopiens. In Wirklichkeit dürfte jedoch das äthiopische Reich älter sein. Wie die Forschung der Neuzeit annimmt, wanderten semitische Stämme, Verwandte der Araber, in grauer Vorzeit über das Rote Meer, ergriffen Besitz von Abessinien, vermischten sich hier mit der eingeborenen Bevölkerung und legten Grund zu dem Aethiopischen Reiche, das nach der Hauptstadt Aksum auch Aksumitisches Reich genannt wurde. Rege Beziehungen verbanden es mit dem alten Aegypten und später mit der in Alexandrien aufgeblühten griechischen Kultur. Von der Nilmündung drang im vierten Jahrhundert unserer Zeitrechnung das Christentum nach Abessinien vor und allmählich wandten sich der neuen Lehre das Herrscherhaus wie das Volk zu. Leider sind über die nachfolgenden Schicksale des christlich gewordenen Kaisers fast gar keine geschichtlich verbürgten Nachrichten erhalten, und sein Zusammenhang mit den Kulturländern wurde völlig abgeschnitten, als die mohammedanische Flut über Nordafrika sich ergoß. Im Abendlande erhielt sich nur eine dunkle Kunde, daß jenseit der Wüste Sahara ein christlicher König unter dem Titel Priester Johannes ein Land beherrsche und mit den Moslems in ewiger Fehde lebe. Als nun in Portugal das große Zeitalter der Entdeckungen anbrach, bildete dieses sagenhafte Reich eines der fernen Ziele, die den Weltentdeckern vorschwebten; man wollte den Priester Johannes aufsuchen und mit ihm gemeinsam den Halbmond bekämpfen. Aber erst spät wurde vom Abendlande her mit ihm Fühlung gewonnen, als die Portugiesen im Verlaufe ihrer Indienfahrten die Küste von Nordostafrika besetzten.

König Menelik von Schoa auf seinem Throne.
Nach einer Abbildung in der „Illustrazione italiana“.

Der damalige christliche Herrscher Abessiniens befand sich in einer schlimmen Notlage; hart wurde er von verschiedenen Seiten bedrängt. Von Süden her überfielen die kriegerischen heidnischen Gallavölker sein Land und von Norden und Westen unternahmen die Moslems ihre Verheerungszüge. In Trümmern lag bereits Aksum, die alte Krönungsstadt des Reiches, und das Ansehen des Herrschers im Innern war gesunken. Jeder der Gouverneure schaltete und waltete nach eigenem Ermessen in seiner Provinz, fühlte sich als ein selbständiger Fürst und der Negus Negesti, der König der Könige von Aethiopien, war nur ein Schattenkaiser. Der Bedrängte bat die europäische Christenheit, ihm Hilfe zu leisten. In der That erschienen um das Jahr 1540 unter Führung von Christoph da Gama 450 portugiesische Musketiere mit einigen Geschützen in den Hochländern Abessiniens, und mit ihrem Beistand gelang es, den Feind zurückzudrängen. Seit jener Zeit wurde Abessinien wiederholt von Europäern aufgesucht. Vor allem war man bestrebt, das abessinische Christentum neu zu beleben; denn in der Abgeschiedenheit hatte sich dort die Lehre des Evangeliums nicht fortentwickelt wie im Abendlande. Das Licht der abessinischen Kirche brannte recht trübe, der Gottesdienst war mehr zur Aeußerlichkeit herabgesunken und heidnischer Aberglauben machte sich im Volke breit. Missionare kamen also nach Aethiopien, aber sie fanden kein Gehör. Jahrhundertelang hatten die Abessinier ihre Kirche vor dem Ansturm des Heidentums und des Halbmonds mit Waffen in der Hand zu verteidigen gewußt; kein Wunder, daß sie ihnen lieb geworden, ans Herz gewachsen war, daß sie sich von ihr um keinen Preis trennen wollten. So blieb die Berührung mit dem Abendlande in kultureller Hinsicht völlig fruchtlos.

Die jüngere und jüngste Geschichte Abessiniens bewegte sich weiter in den alten Bahnen. Immerfort seufzte das Volk unter den trostlosen Zuständen, die es sich selbst bereitete oder die ihm feindliche Einfälle brachten. Der Krieg nach allen Seiten hin hörte hier nimmer auf. Die Gallavölker im Süden sind stets unruhige gefährliche Nachbarn geblieben und unaufhörlich tobten die Grenzkämpfe mit den Mohammedanern. Von Zeit zu Zeit gelang es wohl dem einen oder dem andern Kaiser, sich Ansehen zu verschaffen, aber die Macht der Unterkönige erstarkte immer mehr und schließlich zerfiel das Reich in eine Anzahl von Fürstentümern.

Erst im neunzehnten Jahrhundert gewann der Gedanke der Wiedervereinigung des alten Reiches an Lebendigkeit und wurde durch thatkräftige Häuptlinge wiederholt verwirklicht. Zunächst erhob sich im Jahre 1855 der Ras oder Häuptling von West-Amhara, beugte die andern unter seine Herrschaft und ließ sich im Jahre 1855 zum Negus Negesti krönen, wobei er den Herrschernamen Theodor II. annahm. Anfangs schien er von guten Absichten beseelt zu sein, suchte europäische Handwerker im Lande anzusiedeln und dasselbe wirtschaftlich zu heben. Um seine Macht zu behaupten, sah er sich jedoch genötigt, ein Heer, das 150000 Köpfe stark war, in Bereitschaft gegen verdächtige Häuptlinge zu halten. Diese Soldateska ernährte sich auch im Frieden von Raub und Plünderung und verheerte Abessinien derart, daß die befürchteten Aufstände erst recht ausbrachen. Kaiser Theodor erstickte sie in Strömen von Blut und nun wurde er durch seine Grausamkeit berüchtigt. Als er vollends eine Anzahl von Europäern, die in seinem Machtbereich sich aufhielten, wider alles Völkerrecht ins Gefängnis warf, sandte England im Jahre 1868 eine Expedition unter Lord Napier nach Abessinien.

Die Engländer trugen den Sieg davon, und zwar mit einer Schnelligkeit, die in Anbetracht der schwierigen Terrainverhältnisse geradezu erstaunlich war. Aber nicht allein ihre besseren Waffen sicherten ihnen den Erfolg; es gelang ihnen vielmehr, unter den Abessiniern einen Bundesgenossen zu gewinnen, der ihnen die

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 285. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0285.jpg&oldid=- (Version vom 26.12.2022)