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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

einen Sessel und verbarg das Gesicht in den Polstern. Sonneck trat zu ihr und legte leise seine Hand auf ihren Arm.

„So dürfen Sie nicht sprechen, Zenaide,“ sagte er mit tiefem Ernst. „Sie sind ja Mutter!“

„Eine Mutter, der man ihr Kind genommen hat!“ fuhr sie auf, mit sprühenden Augen. „Ich habe meinen Percy ja zurücklassen müssen. Marwood beansprucht natürlich seinen Sohn und Erben und doch ist er mein Kind, er hat mein Blut in den Adern. Da sehen Sie es selbst, ob er seinem Vater gleicht oder mir!“ Sie wies auf ein Aquarellbild, das auf dem Schreibtische den Hauptplatz einnahm und einen Knaben in Matrosenkleidung darstellte. Es war ein schönes Kind mit dunklen Haaren und den großen dunklen Augen der Mutter. Lothar schritt dorthin und blickte prüfend auf das Bild.

„Ja, er hat Ihre Züge,“ sagte er mit voller Bestimmtheit. „Vor allem Ihre Augen.“

„Nicht wahr? Und seit drei Jahren habe ich ihn nicht gesehen und muß es dulden, daß er fern von mir, daß er im Hasse gegen mich erzogen wird!“

„Sie übertreiben, ein achtjähriges Kind kann man doch noch nicht zum Haß erziehen.“

„Warum denn nicht, wenn es planmäßig geschieht? Und daran wird Marwood es nicht fehlen lassen! Sie kennen ihn nicht, wie ich ihn kenne! Wie oft habe ich daran gedacht, mein Kind heimlich zu entführen und mit ihm zu fliehen, zunächst nach Kairo und dann weiter, immer weiter und wäre es bis in die fernste Wüste, wo niemand uns findet, wo –“

„Um Gottes willen, nur das nicht!“ fiel Sonneck erschrocken ein. „Marwood würde Sie zu finden wissen, er würde Ihnen das Kind gewaltsam entreißen, ihm steht das Gesetz zur Seite.“

Die junge Frau lachte wieder auf, so wild und verzweifelt wie vorhin. „O ja, das weiß ich, das hat man mir hinreichend klar gemacht: der Sohn gehört dem Vater! Die Rechte der Mutter schützt kein Gesetz, die darf man ungestraft mit Füßen treten – ich habe es erfahren!“

Ein leises Klopfen an der Thür unterbrach die erregte Scene und gleich darauf trat ein Diener ein, um zu melden, daß Herr Hofrat Bertram soeben vorgefahren sei. Zenaide sah auf und fuhr mit dem Taschentuch über das glühende Antlitz.

„Ah, der Arzt! Ich vergaß, daß er sich für diese Stunde angemeldet hat. – Sie wollen schon fort? Nein, nein, das dürfen Sie nicht! Wir haben noch gar nicht von Ihnen gesprochen und ich habe noch so unendlich viel zu fragen und zu hören.“

„Der Arzt hat immer den Vortritt,“ warf Sonneck ein, der in der That Miene machte, zu gehen, obgleich auch er noch eine Mitteilung auf dem Herzen hatte.

„O, sein Besuch wird nicht allzulange dauern und dann bin ich wieder ganz zu Ihrer Verfügung. Das Gute muß man festhalten, es wird einem selten genug zu teil. Nicht wahr, Sie bleiben?“

Die Bitte klang beinahe leidenschaftlich und Lothar gab nach. Er übernahm es, den jetzt eintretenden Hofrat vorzustellen, und betonte, daß er mit ihm befreundet sei. Lady Marwood empfing denn auch infolgedessen den Arzt sehr liebenswürdig.

„Herr Sonneck ist mir eigentlich mit seinem Besuche zuvorgekommen,“ sagte Bertram nach der ersten Begrüßung. „Ich wollte mich mit der Nachricht von seinem Hiersein bei Ihnen einführen, Mylady, und hoffte dann nicht so unwillkommen zu sein, als es der Arzt gewöhnlich ist.“

Zenaide hatte sich längst wieder gefaßt, sie war jetzt ganz die vornehme Dame und ihre Lippen kräuselten sich spöttisch, als sie erwiderte: „Unwillkommen? Man lehrt uns ja die Aerzte als Retter und Heilbringer zu betrachten!“

„Aber Sie glauben nicht daran, Mylady?“

„Ich bin in diesem Punkte sehr ungläubig, Sie sehen jedoch, ich gebe mich trotzdem in Ihre Hände. Herr Sonneck, ich bitte Sie, mich für eine Viertelstunde zu entschuldigen. Ich sende Ihnen inzwischen eine Erinnerung an Kairo. Betrachten Sie sich ganz als zu Hause, Sie haben das ja bei uns stets gethan.“

Sie klingelte, gab mit leiser Stimme einen Befehl und ersuchte den Arzt dann, ihr in das Nebenzimmer zu folgen. Sonneck war wieder an den Schreibtisch getreten und betrachtete nachdenklich das Bild des kleinen Percy, als die Mittelthür sich öffnete und ein junger Orientale erschien.

Er war kaum dem Knabenalter entwachsen, etwa sechzehn Jahre alt und von tiefbrauner Färbung, mit einem Gesicht, das durchaus nicht hübsch zu nennen war, denn die charakteristischen Kennzeichen der afrikanischen Rasse, die niedrige Stirn und die breiten, aufgeworfenen Lippen prägten sich sehr deutlich darin aus. Er trug die reiche Tracht, in welche die vornehmen Familien Kairos ihre eingeborenen Diener zu kleiden pflegen, weite orientalische Beinkleider, über dem weißen, faltigen Obergewand ein offenes goldgesticktes Jäckchen und einen gleichfalls reichgestickten Fez auf dem dunklen Haar. Der junge Aegypter brachte ein vergoldetes Kaffeeservice von feinster arabischer Arbeit und ein mit Elfenbein ausgelegtes Kästchen, in dem sich Cigaretten befanden. Verwundert riß er die glänzend schwarzen Augen auf, als der fremde Herr ihn in der Sprache seiner Heimat anredete.

„Nun, Hassan, bist Du mit nach Europa gekommen? Wie gefällt es Dir in dem fremden Lande mit den hohen Bergen und den dunklen Wäldern?“

„Herr, Du kennst mich?“ stammelte Hassan ganz verwirrt und bestürzt.

„Ich sah Dich vor sechs Jahren in Kairo bei Deinem Herrn und auch schon früher in Luksor. Weißt Du noch von Luksor und von dem schönen weißen Kinde, das Deine junge Herrin damals begleitete, und mit dem Du spielen durftest? Es trug immer weiße Kleidchen –“

„Und langes goldenes Haar!“ fiel Hassan mit aufleuchtenden Augen ein, „aber es ging fort, weit über das Meer und kam nicht wieder.“

„Nun, wer weiß, vielleicht siehst Du es einmal hier wieder,“ sagte Sonneck lächelnd. Es freute ihn, daß Elsa noch nicht vergessen war. Das „schöne weiße Kind mit dem langen goldenen Haar“ hatte freilich bei dem damals so verwahrlosten kleinen Aegypter die Rolle einer Märchenfee gespielt, und deshalb mochte ihm die Erinnerung an sie nicht ganz erloschen sein.

Hassan staunte noch immer darüber, daß der Fremde, der so ganz das Aussehen eines vornehmen Europäers hatte, das Arabische so fließend sprach, aber es machte ihn zutraulich und er antwortete bereitwillig auf alle Fragen. Er berichtete, daß sein Vater, der einstige Gärtner auf der Osmarschen Besitzung, schon seit Jahren tot sei. Seine ältere Schwester war schon als Kind für den persönlichen Dienst der jungen Herrin bestimmt und ihrer Fürbitte verdankte es der Bruder, daß man auch ihn später mit nach Kairo nahm. Nach dem Tode des Konsuls hatte Lady Marwood den Knaben mit nach Europa genommen, wo er und die Schwester sie auf ihren Reisen begleiteten. Er hatte auch schon etwas Deutsch gelernt, denn die Herrin liebte nichts, was an England erinnerte, sie sprach immer nur deutsch oder arabisch mit ihrer Umgebung.

Die orientalische Unterhaltung wurde durch die Rückkehr Bertrams unterbrochen. Lothar ging ihm rasch entgegen und fragte mit gedämpfter Stimme: „Nun, wie steht es? Doch hoffentlich kein ernstes Leiden?“

Der Arzt zuckte die Achseln.

„Wir haben es mit den Nerven zu thun. Damit ist eigentlich nichts und doch wieder alles gesagt, denn hier handelt es sich leider um mehr als um die Modekrankheit. Lady Marwoods Nerven sind in einer so gefährlichen Weise überreizt, daß es die höchste Zeit ist, ernstlich einzugreifen, wenn nicht schweres Unheil entstehen soll. Leider scheint die Dame keine sehr gehorsame Patientin zu sein und ich werde wohl öfter auf Ihren Einfluß rechnen müssen, denn wir haben einen schlimmen Feind zu bekämpfen – das Morphium! Doch darüber sprechen wir noch, jetzt muß ich fort.“

Er reichte ihm die Hand und ging. Gleich darauf erschien auch Zenaide, gab Hassan einen Wink, sich zu entfernen, und nahm ihrem Gaste gegenüber auf dem Diwan Platz.

„Nun wollen wir es uns heimisch machen,“ sagte sie. „O, ich habe Ihre kleinen Liebhabereien nicht vergessen, ich kenne sie noch ganz genau.“ Sie reichte ihm den Kaffee und die Cigaretten. Sonneck bemerkte mit einigem Befremden, daß sie gleichfalls eine der letzteren nahm. Die Damen rauchten ja viel in Kairo, Zenaide hatte das jedoch nie gethan, sondern stets den größten Widerwillen dagegen gezeigt. Das war eben auch „anders geworden“, wie so vieles!

„Wie gefällt Ihnen Hofrat Bertram?“ fragte er. „Flößt er Ihnen Vertrauen ein?“

„Wenigstens mehr als meine römischen Aerzte, er hat eine ruhige, bestimmte Art, die sehr angenehm berührt. Im übrigen singt er genau dasselbe Lied wie seine Herren Kollegen. Ruhe,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 206. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0206.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2022)