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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

widersprach wenigstens nicht und Bertram schien das für eine Zustimmung zu nehmen, er griff nach seinem Hute.

„Die neue Arznei werde ich Ihnen heute nachmittag herüberschicken, und nun noch eins. Elsa ist ja so lange nicht bei meiner Frau gewesen. Sie haben es ihr doch hoffentlich nicht verboten, unser Haus ist ja das einzige, das sie besuchen darf.“

„Sobald die Saison anfängt, lasse ich Elsa nicht mehr nach dem Bade hinüber,“ erklärte der Professor. „Ich will es nicht, daß sie von den Herren Kurgästen in der unverschämtesten Weise angestarrt wird.“

„Nun, das kann ich den Kurgästen eigentlich nicht verdenken,“ lachte der Hofrat. „Sie ist schon des Anschauens wert und dies unschuldige Vergnügen können Sie den jungen Herren immerhin gönnen.“

„So?“ rief Helmreich erbost. „Sie finden es wohl auch ganz in der Ordnung, daß im vorigen Sommer ein paar von den jungen Laffen mein Haus ausgekundschaftet haben und um die Mauern herumgeschlichen sind? Aber Bastian kam ihnen bald auf die Spur und hat sie gründlich heimgeschickt.“

„Kann ich mir denken,“ sagte Bertram ruhig. „Also deshalb erscheint Ihre Enkelin jetzt nur noch mit der Leibgarde, dem Bastian rechts und dem Wotan links? Mit den beiden Ungetümen zur Seite ist sie freilich sicher, da wagt es keiner, sie auch nur anzusehen! Adieu, Herr Professor, und wenn Sie nächstens einmal Selbstschüsse in Ihren Garten legen wollen, dann benachrichtigen Sie mich gefälligst davon, damit ich bei meinen ärztlichen Besuchen nicht Leib und Leben riskiere.“

Damit ging er. Der Professor sah ihm grollend nach, er verabscheute diesen jovialen Ton, wußte aber längst, daß der Hofrat sich darin keine Vorschriften machen ließ. Dieser schritt inzwischen durch den Garten und wurde als wohlbekannter Hausarzt von den beiden „Ungetümen“ natürlich nicht belästigt. Er gelangte unangefochten ins Freie und schlug den Weg nach der Stadt ein: da kam ihm von dort ein Herr entgegen, der grüßend stehen blieb.

„Ah, Herr Sonneck!“ rief Bertram ihm die Hand entgegenstreckend. „Wo steckten Sie denn heut’ morgen? Ich habe Sie ja nicht gesehen?“

„Ich machte direkt von der Quelle einen Morgenspaziergang in die Berge,“ entgegnete Sonneck, den Händedruck erwidernd. „Jetzt will ich zu Professor Helmreich; Sie kommen wohl eben von ihm?“

„Jawohl, ich habe wieder einmal versucht, ihm den Kopf zurechtzusetzen, natürlich umsonst! Er ist vollständig zum Hypochonder geworden und spinnt sich immer mehr in seine Grillen und Marotten ein. Ich bin froh, daß Sie da sind, Sie bringen ihn mit Ihren Erzählungen wenigstens stundenweise auf andre Gedanken. Sie und ich, wir sind ja überhaupt die einzigen, denen sich das verwunschene Schloß da droben öffnet.“

„Nun, ich habe mir den Eingang auch halb und halb erzwingen müssen,“ erklärte Sonneck mit einem flüchtigen Lächeln. „Der Professor war nichts weniger als entgegenkommend, als ich ihn im vorigen Sommer aufsuchte; aber er wollte dem Schüler und Freunde, der ihm einst so nahe gestanden hatte, doch nicht geradezu die Thür weisen. Da ich mich nicht an seine ablehnende Haltung kehrte und regelmäßig wiederkam, gewöhnte er sich schließlich an meine Besuche und ich glaube, im Winter hat er sie beinahe vermißt.“

„Das schien mir auch so; man muß den Alten förmlich zwingen zu dem, was ihm gut thut. Heute ist er wieder in seinen galligsten Launen. Sie werden Ihre Not mit ihm haben. Ich habe mich wie gewöhnlich mit ihm gezankt und ihm derb die Wahrheit gesagt, aber helfen wird es schwerlich. Mich dauert nur das arme Kind, die Elsa, sie ist ja wie lebendig begraben in dem düsteren Hause und bei diesem unvernünftigen Großvater, der alles haßt, was Leben und Freude heißt.“

„Sie hat ja nie die Lebensfreude gekannt,“ sagte Sonneck mit einem halbunterdrückten Seufzer, „oder doch nur als Kind gekannt und längst vergessen. Da scheint sie jetzt kaum etwas zu vermissen.“

„Ja, sie ist gut dressiert,“ stimmte der Hofrat ärgerlich bei. „Das war freilich nicht anders möglich bei einer solchen Erziehung. Der Alte ist ein Tyrann in seinem Hause und wehe dem, der sich nicht unbedingt seinem Willen beugt! – Doch nun zu Ihnen, Herr Sonneck, wie steht es mit Ihrem Befinden?“

„Ganz erträglich, lieber Hofrat. Ich fühle mich in den vierzehn Tagen, daß ich hier bin, schon bedeutend wohler und Sie wissen ja am besten, wie schlimm es mit mir stand, als ich im vorigen Jahre zu Ihnen kam. Ich setze meine ganze Hoffnung auf die Kronsberger Quellen.“

„Das dürfen Sie auch!“ sagte Bertrain zuversichtlich. „Nach dem Erfolge, den wir im vergangenen Jahre erzielten, hoffe ich das allerbeste von der jetzigen Wiederholung der Kur. Sie müssen freilich auch diesmal den ganzen Sommer hierbleiben, unsere Alpenluft ist die beste Arzenei für Sie.“

„Das weiß ich und habe mich schon darauf eingerichtet, aber ich möchte eingehender mit Ihnen darüber sprechen. Ist es Ihnen recht, wenn ich Sie ein Stück Weges begleite?“

„Selbstverständlich! Zu dem alten Isegrim da drüben kommen Sie noch immer früh genug,“ rief der Hofrat, und beide Herren traten gemeinschaftlich den Rückweg an.

Sonneck zog bei dem scharfen Winde den Mantel fester um die Schultern. Man sah es ihm an, daß er nicht mehr die frühere eiserne Gesundheit besaß, und er hatte auch sichtbar gealtert in den zehn Jahren. Die sehnige, einst so kraftvolle Gestalt hatte eine müde Haltung und in dem Antlitz stand ein unverkennbarer Leidenszug eingegraben. Das Haar war ergraut und der Ernst, der von jeher in den tiefen grauen Augen lag, war zur Düsterheit geworden. Aber trotzdem war in der ganzen Erscheinung noch etwas, das auf den ersten Blick fesselte und sie weit über das Gewöhnliche hinaushob. Wer in das tiefgebräunte und durchfurchte Gesicht dieses Mannes blickte, der fühlte es, auch ohne ihn zu kennen, daß er einem bedeutenden Menschen gegenüberstand.

„Ich möchte eine ernste Frage an Sie richten,“ hob er wieder an. „Es handelt sich für mich darum, gewisse Bestimmungen zu treffen und vielleicht einen weittragenden Entschluß zu fassen, deshalb wollte ich –“

„Nur nichts von Afrika!“ unterbrach ihn der Hofrat mit voller Entschiedenheit. „Ich habe es Ihnen nie verhehlt, daß von einer Rückkehr dorthin keine Rede sein kann. Das Tropenklima und die Ueberanstrengungen Ihrer Reisen haben Ihnen das Leiden zugezogen und es war ernst genug, als Sie herkamen. Sie sind ja in den letzten zwanzig Jahren kaum dreimal in Europa gewesen und dann immer nur auf wenige Monate. Sie haben sich entschieden zu viel zugemutet und hätten weit früher in die Heimat zurückkehren müssen.“

Ueber Sonnecks Züge flog ein schwermütiges Lächeln, als er entgegnete: „Das brauchen Sie mir nicht erst zu sagen, das fühle ich selbst und habe es eigentlich schon längst gefühlt, schon damals, als ich bei der Rückkehr von meinem großen Zuge in das Innere von Afrika so schwer erkrankte. Aber ich sträubte mich noch jahrelang dagegen, meinen Lebensberuf aufzugeben und meine übrigen Tage in Unthätigkeit hinzubringen. Ich raffte mich immer wieder auf und versuchte zu erzwingen, was sich doch nicht erzwingen ließ, bis ich schließlich zusammenbrach. Die letzte Krankheit ist mir eine harte Lehre gewesen. Ich habe mich jetzt vertraut gemacht mit der Notwendigkeit und bin entschlossen, in Deutschland zu bleiben.“

„Bravo! Auf der Grundlage können wir weiter verhandeln. Also, was wollten Sie wissen?“

„Ob es sich für mich überhaupt noch lohnt, Entschlüsse zu fassen und mein Leben neu zu gestalten, mit einem Worte, ob mein Leiden heilbar ist oder nicht. Seien Sie offen gegen mich, ich habe dem Tode so oft ins Auge gesehen und hänge so wenig mehr am Leben, daß mich ein Todesurteil aus Ihrem Munde sehr ruhig lassen würde. Ich fürchte nur eins – daß der Spruch auf lebenslängliches Siechtum lauten könnte. Jedenfalls will ich Gewißheit darüber haben, also sagen Sie mir die volle Wahrheit!“

„Fürchten Sie nichts, der Spruch lautet auf Gnade,“ sagte Bertram ernst. „Im Herbste, als Sie von uns gingen, konnte und wollte ich mich darüber noch nicht aussprechen, ich mußte erst den Winter abwarten, den ersten, den Sie wieder in Europa zubrachten. Jetzt habe ich die Ueberzeugung gewonnen, daß Ihr Leiden zu heben ist; Sie müssen nur Geduld haben und nicht erwarten, daß die Kronsberger Quellen in ein paar Monaten wieder gut machen, was ein zwanzigjähriger Aufenthalt in den Tropen verschuldet hat. Die alte eiserne Kraft und Gesundheit werden Sie freilich nie zurückgewinnen, das sage ich Ihnen offen, und von schweren körperlichen oder geistigen Anstrengungen kann auch in Zukunft keine Rede mehr sein. Wenn Sie aber in Europa bleiben und Ihr Leben so regeln, wie Ihre jetzigen Kräfte es nun einmal verlangen, hoffe ich, Ihnen die Herstellung verbürgen zu können.“

Ein tiefer befreiender Atemzug hob die Brust Sonnecks und

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