Seite:Die Gartenlaube (1896) 0162.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

sowohl in der Nähe, als aus der Ferne betrachtet, vorzüglich. Noch nie im Leben hatte ich mich so wichtig und stolz gefühlt, als da ich diese Schätze in der bewußten obersten Schublade meiner Kommode barg. Leider sah ich bei dieser Gelegenheit, daß die Schublade des Ausräumens dringend bedurfte, aber ich konnte mich jetzt mit solchen Nichtigkeiten nicht abgeben. Alles zu seiner Zeit!

Als Mutter nach Hause kam, fand sie, anspruchsvoll, wie sie nun einmal in häuslichen Dingen war, mancherlei nicht nach ihrem Sinne, ich hatte mehr als einen Tadel zu schlucken, aber ich schluckte ihn schweigend nieder. Konnte Mutter einen Roman von achtundzwanzig Kapiteln schreiben? Nein! Hätte ich den Staub wischen und die anderen Alltagsdinge verrichten können, wenn ich gewollt hätte? Ja! Ich fühlte mich also in diesem Falle als die Ueberlegene.

Sommertage sind lang, und Begeisterung und guter Wille bringen viel fertig, und obgleich es mir vorkam, als wenn Mutter von Tag zu Tag höhere Ansprüche an mich stellte, lag doch in verhältnismäßig kurzer Zeit die fertige Reinschrift vor mir, ein, wenn ich jetzt daran zurückdenke, mir beängstigend dick erscheinendes Paket! Damals fand ich, daß gerade die Dicke ihm etwas Imponierendes verlieh, und ich gab mir die erdenklichste Mühe, mir vorzustellen, wie etwa der Totaleindruck auf jemand sein könnte, der noch nie einen Blick darauf geworfen hätte. Meiner Ansicht nach mußte er gut sein. Schon legte ich mir Papier und Feder zurecht, um den nötigen Begleitbrief zu schreiben, als ich hörte, daß Mutter nach mir rief. Eilig schloß ich alles fort und lief hinunter, denn es war Vesperzeit, und da lag mir ob, für unsere hungrige Schuljugend die Butterbrote zu schneiden und zu streichen.

Natürlich, ich brauchte nur die Thür zum Eßzimmer zu öffnen, da wurde mir auch schon in sechs verschiedenen jugendlichen Stimmlagen in Moll und Dur mitgeteilt, daß ich „immer so lange auf mich warten ließe“ und „man bei solcher Wirtschaft verhungern könnte!“

„Nun ja doch, ja, ich komme ja schon,“ sagte ich unfreundlich, schnell die Aermel meines hellen Kattunkleides ein wenig zurückstreifend, eine Hausschürze vorbindend und Brot und Butter herbeiholend. O, wie ich es haßte, dieses ewige Sorgen für die gewöhnlichsten Dinge! Und in meinem Aerger schnitt ich die Brotscheiben so dick, daß darob allgemeines Murren und lebhafter Protest im Kreise der anspruchsvollen Jugend entstand.

Da ging die Hausthürglocke. „Sieh nach, wer da ist, Peter Laß!“ kommandierte ich. Peter Laß, mit seinem richtigen Namen Max getauft, war einer der Kleinen und sah mich als große Schwester für eine Autorität an, eine Anschauung, der die anderen Geschwister nur bis zu sehr eng gezogenen Grenzen huldigten. Er ging deshalb ohne Widerrede, sein Butterbrot in der Hand, an die Thür und machte dieselbe hinter sich zu.

Gleich darauf trottete er wieder herein. „Da ist’n Mann,“ sagte er, sich mit großer Gemütsruhe wieder niedersetzend.

„So? was will der Mann denn?“

„Vater sprechen.“ Peter Laß griff nach seinem Milchbecher.

„Hast Du ihn denn hingeführt?“

„Nä,“ sagte mein liebenswürdiger kleiner Bruder, den Kopf schüttelnd und gemächlich in sein dickes Butterbrot beißend.

„Dummer Junge doch!“ Ich lief an die Thür, und dieselbe hinter mir weit offen lassend, das Brotmesser in der Rechten haltend, trat ich auf den Flur.

Da stand ganz geduldig wartend Doktor Forst und verbeugte sich wie ein rechter Gentleman, als er mich sah. Er hatte Vater im Klub gesprochen, von ihm die Zusage erhalten, ihm ein Buch, welches ihn interessierte, zu leihen, und kam, sich dasselbe abzuholen. Ich führte ihn bis zu Vaters Arbeitszimmer, und er warf im Vorbeigehen – es geschah gewiß unabsichtlich – einen Blick durch die weit offen stehende Thür unserer Eßstube.

„Wie reizend hausmütterlich Sie immer beschäftigt sind, Fräulein Peters,“ sagte er, meine Augen mit seinem Blick treffend, „man muß ja an Werthers Lotte denken, wenn man Sie so im Kreise Ihrer Geschwister walten sieht.“

Ich hatte „Werthers Leiden“ bis jetzt nicht gelesen, da ich neuere Litteraturerzeugnisse bevorzugte, aber ich kannte das anmutige Lottebild aus der Goethegalerie und fühlte mich geschmeichelt, obgleich ich mir bewußt war, wie wenig der Vergleich auf mich paßte. Ehe ich aber noch etwas Passendes antworten konnte, hatten wir Vaters Stube erreicht, und ich öffnete die Thür für den Gast, dem eine dichtere Tabakswolke entgegenströmte, als ihm vielleicht lieb war.

Nachher in meiner Dichterkammer warf ich, daß ich’s nur gestehe, schnell einen Blick in den Spiegel, um mich zu überzeugen, ob ich wirklich etwas „reizend Hausmütterliches“ an mir hätte, konnte aber nichts dergleichen entdecken, im Gegenteil, gerade mitten auf meiner ohnehin schon impertinenten kleinen Nasenspitze saß ein zwar winzig kleiner, aber kohlpechrabenschwarzer Tintenklex, den Lotte dort gewiß nie gehabt hat.

Jedoch ich sah mich nicht veranlaßt, mich lange darüber zu grämen, sondern schrieb nach einem bereits entworfenen Konzept den Begleitbrief für meinen Roman. Er erreichte eine Länge von etwa sechs eng beschriebenen Zeiten und klärte, wenn ich nicht irre, den Redakteur, an welchen er gerichtet war, nicht nur über meinen bisherigen Lebenslauf, sondern auch über meine Wünsche, Pläne und Hoffnungen, die ihn ja gewiß sehr interessierten, in ziemlich umfassender Weise auf. Wenn ich es auch nicht für wahrscheinlich hielt, daß ich das Manuskript zurückerhalten würde, so sah ich doch ein, daß ich auch diese Möglichkeit in Erwägung ziehen müßte. Ich bat also, mir das Paket nötigenfalls postlagernd unter X. Y. Z. wieder zugehen zu lassen.

Als die Adresse an die Redaktion einer sehr großen Zeitschrift in Berlin gemacht und alles gut verschnürt und versiegelt war, barg ich meinen kostbaren Schatz unter dem Regenmantel, suchte mir auf der Straße ein fremdes Kind und versprach dem selben einen Nickel, wenn es mir etwas auf die Post tragen wollte, was es bereitwillig that, während ich in einer Seitenstraße wartete, um dem zurückkehrenden kleinen Boten den ausbedungenen Lohn auszuzahlen.

So, nun war er fort, mein Roman. Glück auf den Weg!

Es war, als wenn der Dichtergeist in mir sich vorläufig nun einmal ausgetobt hätte, wenigstens hatte ich nicht das Bedürfnis, sofort wieder ein neues Werk in Angriff zu nehmen. Natürlich fing ich in den nächsten vierzehn Tagen den Briefboten jedesmal, wenn er unser Haus betrat, auf der Treppe ab, um zu fragen, ob kein Brief für mich aus Berlin da sei, aber er schüttelte immer den Kopf. Natürlich ging ich nach Ablauf dieser Zeit eines Abends in der Dämmerung auf die Post und fragte mit klopfendem Herzen nach einem postlagernden Paket „X. Y. Z.“ Man sah mich nur verwundert an und wußte von einer derartigen geheimnisvollen Sendung nichts. Natürlich hatte ich des Nachts schlaflose halbe Stunden, in denen ich meinte, vor Unruhe und Ungeduld überhaupt nicht wieder einschlafen zu können, – und natürlich kam mir, wie den meisten ungeduldigen Menschen, zuletzt die Erkenntnis, daß mir nichts übrig bliebe, als zu warten. Deshalb faßte ich den vernünftigen Entschluß, es mit so viel Fassung zu thun, als ich auftreiben konnte, wozu mir übrigens schließlich mancherlei, an das ich gar nicht vorher gedacht hatte, erheblich half.

Zuerst gaben wir eine kleine Abendgesellschaft, was bei uns immer ein besonderes und angenehmes Ereignis war. Die Eltern waren beide von Haus aus sehr gastfrei, aber die Kosten, welche eine lebhafte Geselligkeit ja leider zu veranlassen pflegt, ließen sie trotzdem mit ihren Einladungen sparsam umgehen. Nun hatte aber Vater sich im Klub mit dem jungen Doktor angefreundet und meinte, es wäre an der Zeit, ihn einmal bei uns zu sehen. Eigentlich war es auch keine rechte Gesellschaft, sondern nur ein ganz kleiner Kreis von Freunden, und wir gaben nur kalte Küche und Heringssalat. Aber es war sehr gemütlich, wie immer bei uns, wenn wir Besuch hatten.

Den Heringssalat hatte ich angefertigt. Ich war sonst nichts weniger als eine große Kochkünstlerin, aber für Heringssalat hatte ich ein ganz besonderes Talent, vielleicht weil ich ihn selbst sehr gern mochte, und Mutter vertraute mir seine Zubereitung auch immer unbedenklich an. Auch diesmal war mein einziges Paradestück mir wieder ausgezeichnet gelungen, so daß Tante Jule, die für eine große Feinschmeckerin gilt, ganz laut über den Tisch herüber zu Mutter sagte:

„Dein Heringssalat ist wieder einmal vorzüglich, Nanny, der hat bei Euch immer ein gewisses ‚je ne sais quoi‘, was er nirgend sonst hat. Wie machst Du das nur?“

„Ja, da mußt Du Lene schon fragen,“ sagte Mutter lächelnd, „die ist hier im Hause, was Heringssalat anbelangt, die erste Autorität.“ Worauf mir sofort mehrere Herren ihr Kompliment

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 162. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0162.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)