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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

als sehr schlank. Ueberhaupt nein – etwas Besonderes war er ja nicht – nur etwas Frankes, Frisches lag in seinem Wesen und auf seinem Gesichte, und dann lächelte er so hübsch, beinahe kindlich, – und wenn er einen ein klein wenig von der Seite ansah, – so – ich ahmte es unwillkürlich nach – dann gefiel er mir auch, und dann, wenn er etwas Ernsthaftes sagte, hatte er solchen schönen, klaren Blick, und mit einem Wort, er war nett, sehr nett sogar, und ich hoffte, daß die Eltern ihn mitunter einladen würden, den armen Menschen, damit er doch ein bißchen Familienanschluß haben möchte an dem fremden Ort.

Noch vor einer halben Stunde hatte ich den Augenblick herbeigesehnt, wo ich wenigstens den letzten, halb fertig geschriebenen Satz meines Romans vollenden konnte. Der armen Heldin war ja das Wort auf der Zunge schweben geblieben – jetzt dachte ich gar nicht daran, sondern kehrte, ein wenig langsam zwar, aber doch ohne Aufenthalt an mein Plättbrett zurück.

Ich möchte nicht gern bei voreiligen Menschen, deren es ja immer giebt, in den Verdacht geraten, als hätte ich mich in Herrn Franz Forst, Dr. med., auf den ersten Blick innerhalb einer guten Viertelstunde verliebt. Durchaus nicht! Ich möchte in keiner Weise so verstanden werden. Aber ich – nun, ich fand ihn nett, ich habe es schon mehrmals gesagt, und das darf man ja doch wohl, ohne Anstoß zu erregen.

Abends, als ich bei einem Lichtstümpfchen noch ein Stück Roman schrieb, geschah mir allerdings etwas sehr Sonderbares: anstatt gedankenvoll über seinen blonden Vollbart zu streichen, drehte mein Held sinnend an seinem braunen Schnurrbart; doch ich bemerkte den Irrtum gleich, verbesserte ihn empört und beging einen ähnlichen nicht wieder …

Nach wenigen Tagen waren wir mit der unerquicklichen Scheuerei, für welche selbst Mutter zuletzt keine Begeisterung mehr in ihrem Herzen hatte auftreiben können, fertig, das ganze Haus strahlte zum großen Verdruß unserer Gymnasiasten, die nirgends derb hintreten durften, von unerhörter Sauberkeit und Ordnung, und Mutter hielt infolgedessen den Zügel, mit welchem sie mich zu nützlichem Thun anzuleiten pflegte, nicht mehr ganz so straff. Ich konnte mein siebzehntes Kapitel in den nächsten acht Tagen erheblich fördern, und der beschriebene Papierballen, den ich von einem Versteck in das andere schleppte, schwoll mehr und mehr an.

Dann kamen die Pfingstferien. Unsere sämtlichen Schulkinder, mit Einschluß des Herrn Primaners und des Herrn Sekundaners, wurden während derselben alljährlich, wenn das Wetter es nur irgend erlaubte, aufs Land zu verschiedenen opferfreudigen Verwandten ausgethan und zogen auch diesmal, mit Butterbroten und einigen Reisegroschen wohlversehen, unter einem wahrhaft rothautmäßigen Jubelgeschrei ab. Es wurde auf einmal ganz wundervoll still bei uns.

Als das Jungvolk fort war, verleitete das prächtige Festwetter die Eltern zu dem Plan, auch einen kleinen achttägigen Ausflug in das schöne pfingstfröhliche Land zu machen, und nur der Gedanke, daß es die Reise über Gebühr verteuern würde, auch mich mitzunehmen, und man nicht recht wußte, was sonst aus mir werden sollte, erregte Bedenken. Da erbot ich mich zum nicht geringen Erstaunen der Eltern, die solche Selbstlosigkeit bisher nie an mir bemerkt hatten, freiwillig, allein mit Male das Haus zu hüten, und nach einigem Zögern und Schwanken wurde beschlossen, daß es wirklich so geschehen solle. Ich nahm die meinem Edelmut gespendeten Lobsprüche mit kleidsamer Bescheidenheit, das Mitleid wegen meiner langen Einsamkeit mit einer Miene heiterer Gefaßtheit und Mutters viele Ermahnungen, wie ich mich in ihrer Abwesenheit zu benehmen hätte, mit stiller Demut entgegen. In Wirklichkeit konnte nur, wenn ich doch nicht verreisen durfte, gar kein größerer Gefallen geschehen, als ohne Pflichten gegen irgend jemand allein gelassen zu werden. Mein Roman wurde gerade jetzt so fabelhaft spannend und verwickelt, daß ich wirklich notwendig einmal der Ruhe bedurfte, um an ihm weiter zu schreiben, wenn ich nicht selbst den durch das Labyrinth führenden Faden aus der Hand verlieren wollte. Ganz vergnügt begleitete ich die Eltern auf den Bahnhof, was mir ein anerkennendes Wangenstreicheln von Vater, dessen Lieblingskind ich im stillen war, eintrug.

Am Bahnhof war ein großes Menschengedränge. Alle Welt wollte reisen. Auch der neue Doktor, den ich inzwischen nur ein paarmal auf der Straße gesehen, welchem Vater aber seinen pflichtschuldigen Gegenbesuch längst erstattet hatte, war da. Als er uns sah, kam er gleich auf uns zu und fragte, ob wir verreisen wollten.

„Meine Frau und ich.“ sagte Vater, „wir machen eine kleine Rundreise durch das östliche Schleswig-Holstein – und Sie, Herr Doktor?“

„Auf ein paar Tage nach Hause, es giebt jetzt wenig Kranke,“ berichtete er, „der Sonnenschein macht alle Patienten gesund ohne Zaubertränke und Mixturen. Und Ihr Fräulein Tochter nehmen Sie auch mit?“

„Nein, unsere brave Lene bleibt daheim und sorgt fürs Haus,“ sagte Vater, mir freundlich zunickend, „nicht wahr, mein Töchterchen?“

Der junge Arzt zog lächelnd den Hut mit einer Verbeugung. „Alle Achtung, mein Fräulein, da werden Sie aber ein recht mühsames und bewegtes Fest haben. Hoffentlich machen Ihnen die Geschwister das Leben nicht gar zu sauer.“ Es lag etwas in seinen Augen von wirklicher Anerkennung, trotz seines Lächelns, und ich wurde unwillkürlich rot. Was für hübsche Augen er doch hatte, und wie deutlich sie sagten: Du gefällst mir, Du kleines, tüchtiges, zuverlässiges Mädchen. Schade, daß ich das Lob so gar nicht verdiente!

„Warum nicht gar,“ sagte ich schnell, „sie sind ja alle –“

„Einsteigen nach Ascheberg!“ – Ja, da war nun keine Zeit zu Erläuterungen. Der Herr Doktor stieg in ein Rauchcoupé, die Eltern gaben mir einen Kuß und die letzten Ermahnungen, die Thüren schlugen zu – und fahrwohl! dahin ging der Zug, keuchend und schnaubend wie ein scheußliches Ungeheuer, und barg doch nicht nur ein fröhliches Herz im Innern, sondern viele, viele!

Die Beschreibung der nächsten acht Tage kann ich in drei Worte zusammenfassen: ich schrieb Roman.

Ich vermute, daß die Sonne strahlte, wie sie es nur in einem wirklich schönen Mai kann, daß der See flimmerte und blitzte wie lauter Licht und Glanz, daß die großen Buchen sich in ihm spiegelten bis zu den allerobersten Wipfelblättern hinauf, daß Vogel jubilierten und holde kleine Blumen sich der Sonne entgegenstreckten und dufteten, eine immer noch süßer als die andere – wie gesagt, ich setze das voraus, aber ich merkte nicht viel davon: ich schrieb. Andere Leute machten sehr wahrscheinlich Bootfahrten und Waldpartien, mir kommt jetzt eine Erinnerung, als wenn Freundinnen bei mir gewesen wären, um mich ebenfalls zu dergleichen aufzufordern, doch muß ich sie wohl unter irgend einem Vorwande wieder fortgeschickt haben, denn ich weiß mit Bestimmtheit, daß ich immer nur schrieb. Ich entsinne mich, daß Male, der ich in der Küche freie Hand ließ, jeden Tag Klöße mit Pflaumenmus auf den Tisch brachte, einmal, weil dies ihr Lieblingsgericht war, und dann weil es sich als die einzige Speise erwies, auf deren Zubereitung sie sich verstand. Ich aß die zuletzt doch etwas einförmige Kost ohne Widerrede in mich hinein, denn mich hob die Geistesarbeit, die mich so ganz fesselte, über die kleinen Miseren des Alltagslebens hinaus. Ich schrieb, daß mir die Finger weh thaten und die Backen glühten, aber „wer ausharret, wird gekrönt“, und der Erfolg meines Fleißes war ein beinahe verblüffender.

Beängstigend schnell schwoll mein Manuskript an, und als ich an den Bahnhof ging, um die erste Portion Heimkehrender wieder in Empfang zu nehmen, da waren alle Verwicklungen, auch die scheinbar unentwirrbarsten, glücklich gelöst, fünf liebende Paare hatten sich gefunden, drei Bösewichter waren entlarvt und vernichtet, mehrere Personen, mit denen ich sonst nichts anzufangen wußte, waren eines rührenden Todes verblichen, und kurz und gut, mein Roman, der es allerdings doch nur auf achtundzwanzig Kapitel gebracht hatte, war fertig! Freilich konnte ich mich eines sehr tiefen Seufzers nicht erwehren, als ich den nach und nach angesammelten Papierballen nun aufrollte und die vielen, vielen Seiten überzählte, die es abzuschreiben gab; aber im großen und ganzen erfüllte mich doch ein Gefühl unbeschreiblichen Stolzes und Vergnügens. Ich hatte es also doch fertig gebracht, da lag er vor mir, mein Roman, der so viel Herzen schneller schlagen machen sollte! Der erste Schritt zur Berühmtheit war gethan!

Noch ehe ich zum Bahnhofe ging, kaufte ich für das Geld, welches eigentlich für ein Paar neuer Handschuhe bestimmt gewesen war, das nötige Ries Schreibpapier, extragute Federn und ein neues Glas Tinte, um recht aus dem vollen wirtschaften zu können, und schrieb mit meiner besten Schrift das Titelblatt: „Des Lebens Mai, Roman von Viola Odorata.“ Es machte sich,

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