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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

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Blätter und Blüten.

Das „Karideln“ in der Mark. (Zu dem Bilde S. 69.) An Fastnachtsbräuchen war die Mark einst sehr reich, und diese Bräuche hielten sich lange mit großer Zähigkeit. Selbst in der nächsten Nähe Berlins, in Stralau und Köpenick, übte man einige von ihnen noch vor wenigen Jahrzehnten. Fastnacht und der Sonntag davor waren ja die Tage, wo das jetzt durch Landes-, Polizei- und andere Gesetze hart verpönte Betteln in Blüte stand, wo alle Welt „zemperte“, „hänselte“, „karidelte“. Des Morgens zogen die Kinder, nachmittags mit Musik die Knechte umher, von Hof zu Hof; dann stäupten sie in neckischer Weise mit Birkenreisern zuerst die Hausfrau, hierauf die Töchter und die Mägde, bis sie Eier, Mettwurst und Schnaps empfingen. Die Umzüge der Knechte kamen allmählich ganz „aus der Mode“, die der Kinder aber bestehen noch hier und da zu Recht. Die lustige Rotte schart sich in aller Frühe um ihren vortragskundigen Führer, der eine mächtige, mit mehreren Zweigen versehene Rute, an manchen Orten auch eine Gabel trägt; mit Hallo rückt man vor die Häuser der „Riken“, wozu gewohnheitsmäßig Schlächter, Bäcker und „Kooplüd“ gezählt werden, und jeder von den Gebrandschatzten bekommt das schön dialogisierte Lied zu hören:

 Anführer.
Hahn, Aeppel, Hahn!
Fastelnacht geht an!
De Kauken (Kuchen) will nich rutschen,
Gebt mir von eurem Speck,
Dann geh’ ich von der Thüre weg;
Ich stell’ die Leiter an die Wand
Und schneid’ mir ein Stück Speck drei Ellen lang!

 Alle.
Sie werden sich wohl bedenken
Und uns einen Fastelabend schenken!
Sie schenken uns einen Thaler,
Danach wohl vierundzwanzig;
Sie schenken uns einen Schweinskopp,
Ist besser as eine Bratwurst;
Sie schenken uns eine lange
Un laten de korte hangen!

 Anführer.
Wir wünschen dem Herrn ein’ vergoldenen Tisch,
Auf alle vier Ecken ein’ gebratenen Fisch,
Und in der Mitte eine Kanne voll Wein,
Das soll dem Herrn sien Fastelabend sein!
Wir wünschen der Frau zum Fastelabend
Einen jungen Sohn mit schwarzbraunem Haar!

 Alle.
Sie werden sich wohl bedenken
Und uns einen Fastelabend schenken!

Nunmehr sträuben sich die Angesungenen nicht länger und bringen ihre Gaben, zumeist Würste und allerhand Backwerk, auch wohl „en half Schock ollen Käse un en half Gulden Geld“. Die Geschenke werden fürsorglich auf die Rutenzweige gesteckt, und zwar befestigt man die Würste gern so, daß männiglich gleich sehen kann, welche Wirtin die generöseste war und die größte gespendet hat. Vorm Abzug singt noch der ganze Schwarm den Schlußreim:

Sie haben uns eine Verehrung gegeben
Fürs ganze Jahr;
Jahr ein und aus
All Unglück fahre zum Giebel heraus!

Hat die jauchzende Horde endlich das ganze Dorf abgeweidet, so beginnt unter Jubelgeschrei die Teilung der Beute, und da reichlich gegeben worden ist, also niemand zu kurz kommt, ist mit einem Schlage die rechte Feststimmung da. Wo aber fröhliche Kinder sind, da können die Erwachsenen gar nicht anders, sie ahmen ihnen die Fröhlichkeit nach, und so sieht denn der Krug, das Wirtshaus, abends beim Tanze lauter von herzlicher Freude überglühte und deshalb schöne Gesichter.

Eine Damenhand.
Nach dem Röntgenschen Verfahren aufgenommen von P. Spies in Berlin 1896.
(Vergl. den Artikel S. 75.)

Nachbarskinder. (Zu dem Bilde S. 81.) Sie waren Spielgenossen in der goldenen Kindheit; wie Bruder und Schwester wuchsen sie zusammen in dem holländischen Fischerdorf auf, und Freunde sind sie geblieben, da die Jugend mit ihren Träumen und ahnungsvollem Sehnen an sie herantrat. Da lehnte am schönen Frühlingsmorgen die erblühende Jungfrau am Fenster der Stube, unberührt stand vor ihr die Theekanne und das Stricken wollte nicht flecken. Wie wunderbar duftete heute der Flieder, wie seltsam drang der Finkenschlag in ihr Herz! Etwas Unbekanntes, eine heiße Sehnsucht drohte ihr die Brust zu sprengen – und da kommt er, ihr Jugendgespiele! Er reicht ihr die Hand zum Morgengruße und lehnt sich ins Fenster. Auch seine Stimme tönt heute so wundersam und sie versteht kaum die Worte, die er flüstert – und wie aus einem Traum erwacht sie, da er flehend zum drittenmal fragt: „Liebst Du mich?“ Daran – an die Liebe hatte sie nicht gedacht, und aus Träumen erwacht, versinkt das holde Kind wieder ins Träumen. – Wie lange wird er wohl auf die Antwort warten? Lassen wir Zeit den Nachbarskindern … ein Strohfeuer scheint’s nicht zu sein, das der Frühling in den jungen Herzen entfacht hat! *     

Die „eiserne Jungfrau“ in Marokko. In dem Staate Marokko, wo die europäische Kultur nur die Strandwacht hält und bei weiteren Abstechern ins Innere in unliebsamer Weise zurückgewiesen wird, wie ja die jüngst vorgekommene Ermordung eines deutschen Handlungsreisenden zur Genüge beweist, herrscht noch eine Barbarei der Justiz, welche der Barbarei der ungeregelten Zustände entspricht. Noch heutigestags ist der hölzerne „Tschelabi“ in Gebrauch, eine Art von „eiserner Jungfrau“, aus einem Holzkasten bestehend, der an den vier inneren Seiten mit scharfen Nägeln ausgestattet und gerade groß genug ist, um eine Person in sitzender Stellung aufzunehmen. Durch die hervorstehenden Nadelspitzen wird jeder Versuch, sich anzulehnen oder zu bewegen, verhindert, und in diesem Marterkasten bleiben die Bestraften mitunter tagelang. Die Bastonnade wird in Marokko nicht mit dem Stock, den die Türken „eine Gabe des Himmels“ nennen, erteilt, sondern mit einer drei Fuß langen, einen Centimeter dicken, geflochtenen Lederpeitsche, und zwar bei Männern auf den Rücken und nur bei Frauen auf die Fußsohlen. Eine sinnvolle Strafe wird über den Verleumder eines Höhergestellten verhängt: ihm werden die Lippen mit spanischem Pfeffer eingerieben. †     


Inhalt: Fata Morgana. Roman von E. Werner (4. Fortsetzung). S. 69. – Das „Karideln“ in der Mark. Bild. S. 69. – Die X-Strahlung. S. 75. Mit Abbildungen S. 75 und 84. – Deutsche Städtebilder. Regensburg. Von Max Haushofer. S. 76 Mit Abbilduugen S. 72, 73, 76, 77 und 79. – „Vons“ Erzählung von Hermine Villinger (2. Fortsetzung). S. 79. – Nachbarskinder. Bild. S. 81. – Blätter und Blüten: Das „Karideln“ in der Mark. S. 84. (Zu dem Bilde S. 69.) – Nachbarskinder. S. 84. (Zu dem Bilde S. 81.) – Die „eiserne Jungfrau“ in Marokko. S. 84.


Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig.


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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 84. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0084.jpg&oldid=- (Version vom 10.7.2023)