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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)


„Feldern –!“

„Unterbrich mich nicht immer,“ herrschte er die Gattin an.

„Ich weiß ja, daß Du für zehn, für zwanzig gearbeitet hast, aber alles nur fürs ‚von‘. In Zukunft soll es anders werden, ich will in Zukunft Vergnügen haben, und die Kinder sollen auch Vergnügen haben –“

Herr von Feldern sank erschöpft in seinen Lehnstuhl zurück und seine Frau erhob sich rasch und schenkte ihm ein Gläschen von dem Wein ein, den sie sich eigens für den Hofmeister hielt. Feldern nippte an dem Wein mit dem Vergnügen eines Kindes, das recht lange an einer Sache haben möchte; seine Wangen röteten sich ein wenig von dem seltenen Genuß und er schlief ein.

Seine Gattin nähte beim Licht der Lampe und sah zuweilen nach dem kaum hörbar atmenden Mann hin; es war ihr eine merkwürdige Entdeckung, daß der stille, gleichgültig neben ihr hergehende Gemahl doch allerlei in sich verarbeitet, ja, gleichsam ihr Thun und Lassen bekrittelt hatte. Und wieder klopfte die Wahrheit bei ihr an, diesmal durch die Stimme des Gatten, der zum erstenmal seit mehr als zwanzig Jahren das Wort genommen.

Und wieder wollte sie nicht hören und nicht sehen und hüllte sich nur um so fester in das Gewebe ihres Selbstbetrugs ein.

Herr von Feldern starb am andern Tag; leise fiel er vom Leben ab wie ein welkes Blatt; Blutarmut nannte der Arzt die Todesursache.

Eduard hatte wohl mit den Seinen an der Bahre des Vaters gestanden, aber es war zwischen ihm und der Mutter kein versöhnendes Wort gefallen.

Frau von Feldern zog nach dem Tode ihres Mannes in eine andre Wohnung; sie ging aus dem Hause, ohne ein Wort des Abschieds, ja, als sie Herrn Schneider im Flur traf, schritt sie steif und stumm, ohne seines Grußes zu achten, an ihm vorbei. Er aber lachte sich ins Fäustchen. „Den schlimmsten Tort hab’ ich ihr doch angethan – daß ihr Sohn ein Krämer geworden ist, das verwindet sie nie!“

Nein, sie verwand es nicht, obwohl sie alles that, um sich den Sohn aus dem Sinn zu schlagen; sie und Kuno sprachen nie von dem Abtrünnigen; aber des Nachts, wenn sie nicht schlafen konnte, fielen ihr die Worte ihres Mannes ein: „Du wirst ihn schon noch schätzen lernen – denk’ an mich, Du wirst ihn schätzen lernen“ – und wenn ihr die Thränen in die Augen traten, dann sagte sie: das ist Zorn, Empörung! – es war aber etwas andres – das langsame, peinvolle Erkennen: dein Sohn ist ein Mann geworden, wenn auch nicht nach deinem Sinn!

Um so leidenschaftlicher gab sie sich der Hoffnung hin, durch Kunochen ihren Zweck zu erreichen.

Sie hatte ihr Geschäft vergrößert; in einer hintern Stube saßen vier Nähmädchen, für die sie zuschneiderte, denen sie eine gestrenge Herrin war. Aber sie lernten alle etwas bei ihr, und sie entließ nie ein Mädchen, das ihr nicht zum Schluß dankbar gewesen wäre für die Ordnung und die Manieren, die sie im Umgang mit Frau von Feldern sich angeeignet hatte.

Im Salon war sie dann wieder die Dame, die gnädige Frau, präsidierte nach wie vor an ihren Sonntagnachmittagen am Theetisch, hinter dem blank gescheuerten Theekessel, aber die Gesellschaft hatte sich vergrößert. Außer den beiden Freundinnen erschienen junge Kameraden Kunos, Söhne aus den besten Familien, denn man traf am Theetisch der Frau von Feldern immer einige von Malchen herbeigezogene junge Schauspielerinnen. Es ging lebhaft zu; Frau von Feldern sparte nicht mit feinem Backwerk; die Herren labten sich am teuersten Bier der Stadt, nannten die Dame des Hauses gnädige Frau, und diese schwelgte in dem Hochgenuß, endlich wieder die Sprache jener Kreise zu hören, in die sie von Rechts wegen gehörte!

Frau von Feldern hatte schon lange aufgehört, sich irgend etwas klar zu machen oder eine Sache so anzusehen, wie sie war; sie fragte sich nicht – wissen die Eltern dieser jungen Leute von ihren Besuchen bei mir und sind sie damit einverstanden?

Sie log sich vor: keinen Menschen geht es etwas an, und niemand braucht es ja in jenen Kreisen zu erfahren, daß ich da hinten eine Nähstube habe; sobald mein Sohn Offizier ist, steht mir an seinem Arm die Welt offen!

Längst schon hatte sie in ihrem Innern beschlossen, Frau Müller auf irgend eine Weise ihrem Theetisch fern zu halten, denn diese taktlose gewöhnliche Frau verstand es, immer wieder den mühsam aufrecht erhaltenen Nimbus der Familie über den Haufen zu werfen. Entweder sie sprach von einer Taille, die ihr Frau von Feldern gemacht und die ihr nicht recht sitze, oder sie war im Schneiderschen Laden gewesen und hatte Eduard gesehen. Obwohl Malchen sie fortwährend unter dem Tisch anstieß, ließ sie sich ein Langes und Breites darüber aus, wie nett manierlich Eduard hinter dem Ladentisch stehe, immer mit der gleichen Artigkeit die Kunden bedienend, ob sie jung oder alt seien, und wie er geradezu „das Geriß“ habe und alle Käufer sich zu ihm drängten, als hätten die Dinge, die er in der Hand gehabt, einen besonderen Wert und Geschmack.

„Ich hab’s ja immer gesagt,“ schloß sie ihren Bericht, „aus dem wird ’was, und dabei sieht er aus wie ein Borsdorferapfel und nicht wie ein gewisser Junker Spärling –“

„Spärlich,“ flüsterte ihr Malchen zu, „aus Shakespeare –“

„Geh’n Sie mir weg mit dem,“ fuhr Frau Müller sie an, „wer kann denn dem seinen Namen schreiben – so einen mag ich von vornherein nicht –“

„Aber Frau Müller,“ entsetzte sich Frau von Feldern, während die Jugend, die immer ihren Spaß hatte, wenn die Müller redete, vor Lachen fast erstickte, „ich bitte Sie, wie können Sie nur dergleichen ungebildet thun –“

„Dergleichen? ich thu’ nie dergleichen,“ protestierte die Witwe, „so wie ich red’, so bin ich; wem’s nicht gefällt, der soll einen Stock dazu stecken –“

Frau Müllers Aeußerungen über Eduard waren in der That nicht übertrieben. Er machte Aufsehen im Lädchen des Herrn Schneider, indem er sich durch seine Lebensart aufs vorteilhafteste vor den übrigen jungen Leuten auszeichnete; sie grollten ihm darob alle, waren aber im stillen aufs eifrigste bemüht, ihm sein Benehmen, seinen Anstand abzulauern. Es regnete plötzlich die tiefsten Diener im Lädchen des Herrn Schneider; es gab keine unfreundlichen Antworten mehr, keine verstimmten Gesichter. Herr Schneider lief herum, rieb sich die Hände und hatte ein Heidenvergnügen, alle Augenblicke schreien zu dürfen: „Von Feldern, zwei Heringe – von Feldern, ein Aufwaschlumpen – Petroleum, von Feldern!“

Das war ein Genuß, dieses „von“ zu meistern, zu demütigen, sich von diesem „von“ bedienen zu lassen! Herr Schneider bildete sich ein, den ganzen Adel in diesem „von“ unter den Händen zu haben, und ging nicht menschenfreundlich mit ihm um.

Aber Eduard hatte es dabei nicht schlecht; er bewohnte die beste der für die jungen Leute bestimmten Mansarden und erhielt schon nach einem Jahr den höchsten Gehalt, den Herr Schneider auszuzahlen pflegte.

Bald war auch mit dem früher so finstern und unordentlichen Lädchen eine Veränderung vorgegangen; Herr Schneider sperrte sich zwar gegen jede Neuerung, erklärte, er wolle ein einfacher Bürger bleiben und nicht in das einfältige Nobelthun verfallen; aber es half nichts. Es war nachgerade eine Freude, in den wohl aufgeräumten kleinen Laden zu treten. Nicht anders war’s im Eßstübchen; hier waltete ein munteres, sonniges Wesen von sechzehn Jahren, und außer dem Hausherrn erlaubte sich niemand mehr, mit struppigen Haaren oder ungewaschenen Händen an den Tisch zu kommen; der war hübsch gedeckt, mit einem weißen Tischtuch, das jeder aufs äußerste respektierte – wieder mit Ausnahme des Hausherrn, der sich unablässig gegen den neuen Geist wehrte, der in seinen vier Wänden eingezogen war. Wenn er in die Küche rannte und die Köchin anfuhr: „Was ist das wieder für eine Mode? zwei Teller! Bin ich ein Baron? Ich bin der Kaufmann Schneider, bei dem alles auf einem Teller gegessen wird –“ so gab ihm die Köchin zur Antwort: „Was ist da zu machen, die Gustl will’s –“

„So, die Gustl, na, der will ich’s sagen,“ ärgerte sich der Vater, fuhr aber statt der Tochter die jungen Leute an, welche zur Sonntagsmahlzeit in einem Staat erschienen, wie das bisher im Schneiderschen Hause nicht üblich gewesen war.

„Wie schaut Ihr aus, seid Ihr verrückt geworden? Will ich feine Herren an meinem Tisch haben? Was helfen Euch die Krawatten? Ihr seid Ladenschlingel, nichts als gemeine Ladenschlingel, ich will, daß man sich das in Zukunft merkt!“

Nun ja, hieß es, aber wenn die Gustl so nett sei, wolle man auch nicht ausschauen wie ein Handwerksbursche, denn es sei nicht notwendig, daß einen der Feldern immer in den Schatten stelle; an den Feldern möge sich der Herr Schneider halten, wenn ihm die Eleganz im Hause nicht recht sei, denn der Feldern allein habe den Luxus eingeführt, sonst keiner.

(Schluß folgt.)


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